Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

zum Neuen. Wenn nur im Ganzen das Recht der Freiheit anerkannt
wird, so kann ich mich der hergebrachten Form immer noch fügen und meine
Gedanken arbeiten nicht schöpferisch, sondern fassen die Erkenntnisse, die sich
allmälig durch viele einzelne Denker der Zeit emporgearbeitet haben, so zu¬
sammen, daß sie das Gemeingut aller werden können." Daß bei der Bildung
der freien Gemeinden nicht immer rein religiöse Motive obwalteten, gesteht
Uhlich selbst zu. "So sehr hatte die Sache das Volk angeregt, daß in gar
manchem Dorfe, wenn Wahlen oder Stolgebühren oder dergl. Dinge Unzufrie¬
denheit erweckten, sofort die Aeußerung laut wurde: wir wollen eine freie Ge¬
meinde bilden. Darüber war natürlich ein immer entschiednerer Widerstand
Seitens des Alten erwacht." Unter solchen Umständen konnte bei durchgreifen¬
den! Maßregeln der Polizei der Rückschlag nicht ausbleiben. ,,Da gab es
seine Leute, die sagten: ach nein! diese Verwicklungen mit der Polizei gefallen
mir nicht, ich trete ab. Da gab es schlichte Leute, die sagten: ach nein, unter
solchen Verhältnissen leide ich an meiner Einnahme Schaden, ich trete aus; da
gab es leidenschaftliche Leute, deren Erregung nur eine Zeitlang vorhält, die
sagten: diese Sache kann doch nicht bestehen, ich verlasse sie." Noch schlim¬
mer stand es mit der sogenannten öffentlichen Meinung. "Bei den Anfech¬
tungen, die wir jetzt eine nach der andern erlebten, hatten wir vielfache Ge¬
legenheit zu merken, wie wir im Publicum standen. Es hatte uns so ziem¬
lich vergessen. Wenn durch irgend ein Ereigniß, durch eine Mittheilung
desselben in öffentlichen^ Blättern, sein Auge auf uns gelenkt wurde, so war
in vielen Gemüthern die Frage: sind denn die auch noch da? In solche Gleich-
giltigkeit hatte sich die Stimmung des Jahres -1847 verwandelt, wo so viele
Menschen in allen Ständen, die nicht zu uns getreten waren, in dieser Be¬
ziehung nur das Eine zu sagen wußten: ich bin ganz der Eurige, werde auch
zur Gemeinde treten, laßt mir nur Zeit, meine Zeit ist noch nicht gekommen!"
Und so, steht es im Wesentlichen mit der freien Gemeinde noch jetzt. Sie ist
seit dem Anfang des vorigen Jahres polizeilich geschlossen, zur völligen Gleich-
giltigkeit des größern Publicums, das längst die Erwartung aufgegeben hat,
es könne sich eine allgemeine Bewegung daraus entwickeln und mit nur sehr
geringem Widerstand von Seiten der freien Gemeinde selbst, der es im Grunde
an allem positiven Inhalt fehlt. Der gutmüthige Mann, der sich sonderbarer¬
weise in die Rolle eines Reformators träumte, mag darüber verwundert den
Kopf schütteln, sür den ruhigen Beobachter hat die Sache, nichts Auf¬
sallendes.

Aus dem bloßen Mißbehagen an den bestehenden Zuständen geht niemals
eine Reformation hervor; sie ist nur möglich, wenn dem Gemüth oder der
Phantasie ein neuer Inhalt geboten wird. Die Lehre der Lichtfreunde ist
nüchtern bis zum Uebermaß, sie lockt die Masse, so lange es ihr äußerlich


zum Neuen. Wenn nur im Ganzen das Recht der Freiheit anerkannt
wird, so kann ich mich der hergebrachten Form immer noch fügen und meine
Gedanken arbeiten nicht schöpferisch, sondern fassen die Erkenntnisse, die sich
allmälig durch viele einzelne Denker der Zeit emporgearbeitet haben, so zu¬
sammen, daß sie das Gemeingut aller werden können." Daß bei der Bildung
der freien Gemeinden nicht immer rein religiöse Motive obwalteten, gesteht
Uhlich selbst zu. „So sehr hatte die Sache das Volk angeregt, daß in gar
manchem Dorfe, wenn Wahlen oder Stolgebühren oder dergl. Dinge Unzufrie¬
denheit erweckten, sofort die Aeußerung laut wurde: wir wollen eine freie Ge¬
meinde bilden. Darüber war natürlich ein immer entschiednerer Widerstand
Seitens des Alten erwacht." Unter solchen Umständen konnte bei durchgreifen¬
den! Maßregeln der Polizei der Rückschlag nicht ausbleiben. ,,Da gab es
seine Leute, die sagten: ach nein! diese Verwicklungen mit der Polizei gefallen
mir nicht, ich trete ab. Da gab es schlichte Leute, die sagten: ach nein, unter
solchen Verhältnissen leide ich an meiner Einnahme Schaden, ich trete aus; da
gab es leidenschaftliche Leute, deren Erregung nur eine Zeitlang vorhält, die
sagten: diese Sache kann doch nicht bestehen, ich verlasse sie." Noch schlim¬
mer stand es mit der sogenannten öffentlichen Meinung. „Bei den Anfech¬
tungen, die wir jetzt eine nach der andern erlebten, hatten wir vielfache Ge¬
legenheit zu merken, wie wir im Publicum standen. Es hatte uns so ziem¬
lich vergessen. Wenn durch irgend ein Ereigniß, durch eine Mittheilung
desselben in öffentlichen^ Blättern, sein Auge auf uns gelenkt wurde, so war
in vielen Gemüthern die Frage: sind denn die auch noch da? In solche Gleich-
giltigkeit hatte sich die Stimmung des Jahres -1847 verwandelt, wo so viele
Menschen in allen Ständen, die nicht zu uns getreten waren, in dieser Be¬
ziehung nur das Eine zu sagen wußten: ich bin ganz der Eurige, werde auch
zur Gemeinde treten, laßt mir nur Zeit, meine Zeit ist noch nicht gekommen!"
Und so, steht es im Wesentlichen mit der freien Gemeinde noch jetzt. Sie ist
seit dem Anfang des vorigen Jahres polizeilich geschlossen, zur völligen Gleich-
giltigkeit des größern Publicums, das längst die Erwartung aufgegeben hat,
es könne sich eine allgemeine Bewegung daraus entwickeln und mit nur sehr
geringem Widerstand von Seiten der freien Gemeinde selbst, der es im Grunde
an allem positiven Inhalt fehlt. Der gutmüthige Mann, der sich sonderbarer¬
weise in die Rolle eines Reformators träumte, mag darüber verwundert den
Kopf schütteln, sür den ruhigen Beobachter hat die Sache, nichts Auf¬
sallendes.

Aus dem bloßen Mißbehagen an den bestehenden Zuständen geht niemals
eine Reformation hervor; sie ist nur möglich, wenn dem Gemüth oder der
Phantasie ein neuer Inhalt geboten wird. Die Lehre der Lichtfreunde ist
nüchtern bis zum Uebermaß, sie lockt die Masse, so lange es ihr äußerlich


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0492" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/101485"/>
          <p xml:id="ID_1466" prev="#ID_1465"> zum Neuen. Wenn nur im Ganzen das Recht der Freiheit anerkannt<lb/>
wird, so kann ich mich der hergebrachten Form immer noch fügen und meine<lb/>
Gedanken arbeiten nicht schöpferisch, sondern fassen die Erkenntnisse, die sich<lb/>
allmälig durch viele einzelne Denker der Zeit emporgearbeitet haben, so zu¬<lb/>
sammen, daß sie das Gemeingut aller werden können." Daß bei der Bildung<lb/>
der freien Gemeinden nicht immer rein religiöse Motive obwalteten, gesteht<lb/>
Uhlich selbst zu. &#x201E;So sehr hatte die Sache das Volk angeregt, daß in gar<lb/>
manchem Dorfe, wenn Wahlen oder Stolgebühren oder dergl. Dinge Unzufrie¬<lb/>
denheit erweckten, sofort die Aeußerung laut wurde: wir wollen eine freie Ge¬<lb/>
meinde bilden. Darüber war natürlich ein immer entschiednerer Widerstand<lb/>
Seitens des Alten erwacht." Unter solchen Umständen konnte bei durchgreifen¬<lb/>
den! Maßregeln der Polizei der Rückschlag nicht ausbleiben. ,,Da gab es<lb/>
seine Leute, die sagten: ach nein! diese Verwicklungen mit der Polizei gefallen<lb/>
mir nicht, ich trete ab. Da gab es schlichte Leute, die sagten: ach nein, unter<lb/>
solchen Verhältnissen leide ich an meiner Einnahme Schaden, ich trete aus; da<lb/>
gab es leidenschaftliche Leute, deren Erregung nur eine Zeitlang vorhält, die<lb/>
sagten: diese Sache kann doch nicht bestehen, ich verlasse sie." Noch schlim¬<lb/>
mer stand es mit der sogenannten öffentlichen Meinung. &#x201E;Bei den Anfech¬<lb/>
tungen, die wir jetzt eine nach der andern erlebten, hatten wir vielfache Ge¬<lb/>
legenheit zu merken, wie wir im Publicum standen. Es hatte uns so ziem¬<lb/>
lich vergessen. Wenn durch irgend ein Ereigniß, durch eine Mittheilung<lb/>
desselben in öffentlichen^ Blättern, sein Auge auf uns gelenkt wurde, so war<lb/>
in vielen Gemüthern die Frage: sind denn die auch noch da? In solche Gleich-<lb/>
giltigkeit hatte sich die Stimmung des Jahres -1847 verwandelt, wo so viele<lb/>
Menschen in allen Ständen, die nicht zu uns getreten waren, in dieser Be¬<lb/>
ziehung nur das Eine zu sagen wußten: ich bin ganz der Eurige, werde auch<lb/>
zur Gemeinde treten, laßt mir nur Zeit, meine Zeit ist noch nicht gekommen!"<lb/>
Und so, steht es im Wesentlichen mit der freien Gemeinde noch jetzt. Sie ist<lb/>
seit dem Anfang des vorigen Jahres polizeilich geschlossen, zur völligen Gleich-<lb/>
giltigkeit des größern Publicums, das längst die Erwartung aufgegeben hat,<lb/>
es könne sich eine allgemeine Bewegung daraus entwickeln und mit nur sehr<lb/>
geringem Widerstand von Seiten der freien Gemeinde selbst, der es im Grunde<lb/>
an allem positiven Inhalt fehlt. Der gutmüthige Mann, der sich sonderbarer¬<lb/>
weise in die Rolle eines Reformators träumte, mag darüber verwundert den<lb/>
Kopf schütteln, sür den ruhigen Beobachter hat die Sache, nichts Auf¬<lb/>
sallendes.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1467" next="#ID_1468"> Aus dem bloßen Mißbehagen an den bestehenden Zuständen geht niemals<lb/>
eine Reformation hervor; sie ist nur möglich, wenn dem Gemüth oder der<lb/>
Phantasie ein neuer Inhalt geboten wird. Die Lehre der Lichtfreunde ist<lb/>
nüchtern bis zum Uebermaß, sie lockt die Masse, so lange es ihr äußerlich</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0492] zum Neuen. Wenn nur im Ganzen das Recht der Freiheit anerkannt wird, so kann ich mich der hergebrachten Form immer noch fügen und meine Gedanken arbeiten nicht schöpferisch, sondern fassen die Erkenntnisse, die sich allmälig durch viele einzelne Denker der Zeit emporgearbeitet haben, so zu¬ sammen, daß sie das Gemeingut aller werden können." Daß bei der Bildung der freien Gemeinden nicht immer rein religiöse Motive obwalteten, gesteht Uhlich selbst zu. „So sehr hatte die Sache das Volk angeregt, daß in gar manchem Dorfe, wenn Wahlen oder Stolgebühren oder dergl. Dinge Unzufrie¬ denheit erweckten, sofort die Aeußerung laut wurde: wir wollen eine freie Ge¬ meinde bilden. Darüber war natürlich ein immer entschiednerer Widerstand Seitens des Alten erwacht." Unter solchen Umständen konnte bei durchgreifen¬ den! Maßregeln der Polizei der Rückschlag nicht ausbleiben. ,,Da gab es seine Leute, die sagten: ach nein! diese Verwicklungen mit der Polizei gefallen mir nicht, ich trete ab. Da gab es schlichte Leute, die sagten: ach nein, unter solchen Verhältnissen leide ich an meiner Einnahme Schaden, ich trete aus; da gab es leidenschaftliche Leute, deren Erregung nur eine Zeitlang vorhält, die sagten: diese Sache kann doch nicht bestehen, ich verlasse sie." Noch schlim¬ mer stand es mit der sogenannten öffentlichen Meinung. „Bei den Anfech¬ tungen, die wir jetzt eine nach der andern erlebten, hatten wir vielfache Ge¬ legenheit zu merken, wie wir im Publicum standen. Es hatte uns so ziem¬ lich vergessen. Wenn durch irgend ein Ereigniß, durch eine Mittheilung desselben in öffentlichen^ Blättern, sein Auge auf uns gelenkt wurde, so war in vielen Gemüthern die Frage: sind denn die auch noch da? In solche Gleich- giltigkeit hatte sich die Stimmung des Jahres -1847 verwandelt, wo so viele Menschen in allen Ständen, die nicht zu uns getreten waren, in dieser Be¬ ziehung nur das Eine zu sagen wußten: ich bin ganz der Eurige, werde auch zur Gemeinde treten, laßt mir nur Zeit, meine Zeit ist noch nicht gekommen!" Und so, steht es im Wesentlichen mit der freien Gemeinde noch jetzt. Sie ist seit dem Anfang des vorigen Jahres polizeilich geschlossen, zur völligen Gleich- giltigkeit des größern Publicums, das längst die Erwartung aufgegeben hat, es könne sich eine allgemeine Bewegung daraus entwickeln und mit nur sehr geringem Widerstand von Seiten der freien Gemeinde selbst, der es im Grunde an allem positiven Inhalt fehlt. Der gutmüthige Mann, der sich sonderbarer¬ weise in die Rolle eines Reformators träumte, mag darüber verwundert den Kopf schütteln, sür den ruhigen Beobachter hat die Sache, nichts Auf¬ sallendes. Aus dem bloßen Mißbehagen an den bestehenden Zuständen geht niemals eine Reformation hervor; sie ist nur möglich, wenn dem Gemüth oder der Phantasie ein neuer Inhalt geboten wird. Die Lehre der Lichtfreunde ist nüchtern bis zum Uebermaß, sie lockt die Masse, so lange es ihr äußerlich

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/492
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/492>, abgerufen am 23.07.2024.