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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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erklärte, er sei bei den Maßregeln gegen die Presse persönlich nicht betheiligt
gewesen.

Die Redner von der rechten Seite gehören fast ausschließlich der äußersten
Rechten an, die, wie ich höre, 38 Personen stark sein soll. In den Doctrinen
ist nun zwar zwischen dieser Fraction und der übrigen Rechten ein großer Un¬
terschied, denn fast bei jeder Streichung eines Verfassungsparagraphen erklären
die ministeriellen Redner, es handle sich hier gar nicht um einen principiellen
Gegensatz, sondern nur um eine Rücksicht der Zweckmäßigkeit, während von der
äußerstes Rechten versichert wnd, es handle sich allerdings um einen princi¬
piellen Gegensatz, und die Zweckmäßigkeitsfrage komme erst in zweiter Linie in
Betracht. Abgesehen von diesem theoretischen Widerspruch habe ich in den
Resultaten keinen Unterschied entdecken können. Die beiden Fractionen stimmen
regelmäßig zusammen, sie unterstützen einander, und die in meinem vorigen Brief
erwähnte dramatische Action des Lachens, Murrens u. s. w. ist beiden gemein¬
sam. Die Fraction Schmückert-Karl, die aus Is Mitgliedern bestand und zu¬
weilen mit der Linken stimmte, soll sich in der letzten Zeit aufgelöst haben, weil
es öfters vorkam, daß die beiden Führer bei den wichtigsten Abstimmungen
fehlten.

Auf der Rechten sucht man zunächst nach Herrn von Gerlach, und man
hat auch fast bei jeder Debatte Gelegenheit, ihn kennen zu lernen. Jm Jahr18S0
erschien ein Buch: Parlamentarische Größen, von Walter Rogge; in diesem
finden Sie eine Charakteristik des berühmten Redners, in der jeder Zug ge¬
troffen ist. Man muß in dem Redner und Deputirten keine Spur von dem
Rundschauer der Kreuzzeitung suchen. Er spricht nicht mit der Salbung eines
Predigers, sondern mit der Grazie eines feinen, gebildeten Weidmanns, der
gern einen Scherz macht und der ein großes Talent besitzt, in allen Dingen
die komische Seite herauszufinden. Wenn man seine Reden liest, so begreift
man nicht, wie so etwas Aussehen machen kann, denn von Reichthum der Ge¬
danken, von logischer Disposition oder von Wärme ist keine Rede darin; aber
wenn man ihn hört, kann man sich eines gewissen Interesses selbst nicht er¬
wehren. Er spricht mit der Gewandtheit eines Weidmanns, der nie verlegen
ist, seine Einfälle sind mitunter wirklich überraschend komisch, man glaubt, einer
Unterhaltung im Salon beizuwohnen. Dazu kommt sein schönes, ausdrucks¬
volles Gesicht, was bei einem Redner doch auch zur Sache gehört. Er macht
den Eindruck eines stattlichen alten Herrn , der sich viel in guter. Gesellschaft
bewegt hat, der sich in seine Doctrinen so weit drapirt, als es nöthig ist, um
ein persönliches Interesse zu erregen, und der zwar nie im Stande ist, einen
Scherz zu unterdrücken, aber der auch sür diesen Scherz in der Regel die
schickliche Form findet. Auf die Sache selbst geht er niemals ein, im Grunde
auch wenig aus seine eignen Theorien, denn diese sind sür ihn eine so ab-


erklärte, er sei bei den Maßregeln gegen die Presse persönlich nicht betheiligt
gewesen.

Die Redner von der rechten Seite gehören fast ausschließlich der äußersten
Rechten an, die, wie ich höre, 38 Personen stark sein soll. In den Doctrinen
ist nun zwar zwischen dieser Fraction und der übrigen Rechten ein großer Un¬
terschied, denn fast bei jeder Streichung eines Verfassungsparagraphen erklären
die ministeriellen Redner, es handle sich hier gar nicht um einen principiellen
Gegensatz, sondern nur um eine Rücksicht der Zweckmäßigkeit, während von der
äußerstes Rechten versichert wnd, es handle sich allerdings um einen princi¬
piellen Gegensatz, und die Zweckmäßigkeitsfrage komme erst in zweiter Linie in
Betracht. Abgesehen von diesem theoretischen Widerspruch habe ich in den
Resultaten keinen Unterschied entdecken können. Die beiden Fractionen stimmen
regelmäßig zusammen, sie unterstützen einander, und die in meinem vorigen Brief
erwähnte dramatische Action des Lachens, Murrens u. s. w. ist beiden gemein¬
sam. Die Fraction Schmückert-Karl, die aus Is Mitgliedern bestand und zu¬
weilen mit der Linken stimmte, soll sich in der letzten Zeit aufgelöst haben, weil
es öfters vorkam, daß die beiden Führer bei den wichtigsten Abstimmungen
fehlten.

Auf der Rechten sucht man zunächst nach Herrn von Gerlach, und man
hat auch fast bei jeder Debatte Gelegenheit, ihn kennen zu lernen. Jm Jahr18S0
erschien ein Buch: Parlamentarische Größen, von Walter Rogge; in diesem
finden Sie eine Charakteristik des berühmten Redners, in der jeder Zug ge¬
troffen ist. Man muß in dem Redner und Deputirten keine Spur von dem
Rundschauer der Kreuzzeitung suchen. Er spricht nicht mit der Salbung eines
Predigers, sondern mit der Grazie eines feinen, gebildeten Weidmanns, der
gern einen Scherz macht und der ein großes Talent besitzt, in allen Dingen
die komische Seite herauszufinden. Wenn man seine Reden liest, so begreift
man nicht, wie so etwas Aussehen machen kann, denn von Reichthum der Ge¬
danken, von logischer Disposition oder von Wärme ist keine Rede darin; aber
wenn man ihn hört, kann man sich eines gewissen Interesses selbst nicht er¬
wehren. Er spricht mit der Gewandtheit eines Weidmanns, der nie verlegen
ist, seine Einfälle sind mitunter wirklich überraschend komisch, man glaubt, einer
Unterhaltung im Salon beizuwohnen. Dazu kommt sein schönes, ausdrucks¬
volles Gesicht, was bei einem Redner doch auch zur Sache gehört. Er macht
den Eindruck eines stattlichen alten Herrn , der sich viel in guter. Gesellschaft
bewegt hat, der sich in seine Doctrinen so weit drapirt, als es nöthig ist, um
ein persönliches Interesse zu erregen, und der zwar nie im Stande ist, einen
Scherz zu unterdrücken, aber der auch sür diesen Scherz in der Regel die
schickliche Form findet. Auf die Sache selbst geht er niemals ein, im Grunde
auch wenig aus seine eignen Theorien, denn diese sind sür ihn eine so ab-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/422>, abgerufen am 23.07.2024.