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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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Ueber folgende Punkte war man einig. Die Opposition gestand zu, daß
der Ausfall der Abstimmung auf die Giltigkeit der Wahlen keinen'Einfluß
ausüben sollte, ja die meisten unter ihren Rednern waren der Ansicht, daß an
dem schlimmen Ausgang der Wahlen weniger die Beeinflussung derselben, als
die Gleichgiltigkeit des Volks schuld sei. Dagegen wurde von Seiten der
Rechten und von Seiten des Ministeriums nicht in Abrede gestellt, daß Un¬
regelmäßigkeiten vorgekommen wären. Ueber den Umfang derselben konnte
nichts festgestellt werden, da eine Prüfung der vorgelegten Actenstücke durch die
Commission von Seiten der Linken, durch das Haus von Seiten der Rechten
abgelehnt war. Der Minister des Innern versprach, seinerseits eine Unter¬
suchung einzuleiten, zugleich aber erklärte der Regierungscommissär, Geheimerath
Hahn, daß die Regierung sich nicht verpflichtet fühle, über das Resultat der¬
selben dem Haus der Abgeordneten Bericht zu erstatten. Mir scheinen diese
vereinzelten Thatsachen von untergeordneter Bedeutung, und ich will mich da¬
mit begnügen, den principiellen Gegensatz, wie er am bestimmtesten vom
Grafen Schwerin und vom Regierungscommissär aufgefaßt wurde, hervorzu¬
heben.

Nach der Ansicht des Grafen Schwerin hatte das Ministerium die Wahl-
freiheit in drei Punkten beschränkt: 1) indem es den Beamten unmöglich machte,
das verfassungsmäßig ihnen zustehende Recht der Wahl auszuüben; A) durch
willkürliche Bildung von Wahlbezirken nach Gründen politischer Opportunist;
3) durch Maßregeln gegen die Presse. Die beiden ersten Punkte wurden von
den Vertretern der Negierung zugegeben, es wurde aber behauptet, daß sie
keineswegs gegen die Verfassung wären; der dritte Punkt wurde bestritten.
Wenn ich auf das Einzelne eingehe, so habe ich dabei nicht die Folgen im
Auge, die bei der gegenwärtigen Lage der Dinge daraus entspringen können,
sondern ich möchte nur darauf aufmerksam machen, daß in der Verfassungs¬
urkunde Bestimmungen vorkommen, deren Unklarheit die Bildung eines wirk¬
lichen Rechtszustandes verhindert, die also ausgemerzt werden müssen, wenn
nicht die Verfassung mehr schädlich als nützlich wirken soll. Ob Preußen
überhaupt eine Verfassung, Kammern und dergleichen haben soll, kann dabei
als eine offene Frage betrachtet werden. Die Rechte hat die Majorität; so
gut sie einzelne Paragraphen streicht, so gut kann sie auch auf gesetzlichem Wege
die ganze Verfassung streichen. Wenn sie das aber nicht will, so muß auch
ihr daran gelegen sein, daß die Wahl nach gesetzlich feststehenden Normen er¬
folgt. Eine Verfassung hat nur dann einen conservativen Sinn, wenn Wäh¬
lende und Gewählte möglichst unabhängig von augenblicklichen Einflüssen sind,
unabhängig sowol von den wechselnden Neigungen der Menge, wie von >fen
Einflüssen der Verwaltung, die ja auch wechseln kann, die seit 4830 bereits ge¬
wechselt hat. Wenn das nicht der Fall ist, so ist die Kammer nur ein Duplicat


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Ueber folgende Punkte war man einig. Die Opposition gestand zu, daß
der Ausfall der Abstimmung auf die Giltigkeit der Wahlen keinen'Einfluß
ausüben sollte, ja die meisten unter ihren Rednern waren der Ansicht, daß an
dem schlimmen Ausgang der Wahlen weniger die Beeinflussung derselben, als
die Gleichgiltigkeit des Volks schuld sei. Dagegen wurde von Seiten der
Rechten und von Seiten des Ministeriums nicht in Abrede gestellt, daß Un¬
regelmäßigkeiten vorgekommen wären. Ueber den Umfang derselben konnte
nichts festgestellt werden, da eine Prüfung der vorgelegten Actenstücke durch die
Commission von Seiten der Linken, durch das Haus von Seiten der Rechten
abgelehnt war. Der Minister des Innern versprach, seinerseits eine Unter¬
suchung einzuleiten, zugleich aber erklärte der Regierungscommissär, Geheimerath
Hahn, daß die Regierung sich nicht verpflichtet fühle, über das Resultat der¬
selben dem Haus der Abgeordneten Bericht zu erstatten. Mir scheinen diese
vereinzelten Thatsachen von untergeordneter Bedeutung, und ich will mich da¬
mit begnügen, den principiellen Gegensatz, wie er am bestimmtesten vom
Grafen Schwerin und vom Regierungscommissär aufgefaßt wurde, hervorzu¬
heben.

Nach der Ansicht des Grafen Schwerin hatte das Ministerium die Wahl-
freiheit in drei Punkten beschränkt: 1) indem es den Beamten unmöglich machte,
das verfassungsmäßig ihnen zustehende Recht der Wahl auszuüben; A) durch
willkürliche Bildung von Wahlbezirken nach Gründen politischer Opportunist;
3) durch Maßregeln gegen die Presse. Die beiden ersten Punkte wurden von
den Vertretern der Negierung zugegeben, es wurde aber behauptet, daß sie
keineswegs gegen die Verfassung wären; der dritte Punkt wurde bestritten.
Wenn ich auf das Einzelne eingehe, so habe ich dabei nicht die Folgen im
Auge, die bei der gegenwärtigen Lage der Dinge daraus entspringen können,
sondern ich möchte nur darauf aufmerksam machen, daß in der Verfassungs¬
urkunde Bestimmungen vorkommen, deren Unklarheit die Bildung eines wirk¬
lichen Rechtszustandes verhindert, die also ausgemerzt werden müssen, wenn
nicht die Verfassung mehr schädlich als nützlich wirken soll. Ob Preußen
überhaupt eine Verfassung, Kammern und dergleichen haben soll, kann dabei
als eine offene Frage betrachtet werden. Die Rechte hat die Majorität; so
gut sie einzelne Paragraphen streicht, so gut kann sie auch auf gesetzlichem Wege
die ganze Verfassung streichen. Wenn sie das aber nicht will, so muß auch
ihr daran gelegen sein, daß die Wahl nach gesetzlich feststehenden Normen er¬
folgt. Eine Verfassung hat nur dann einen conservativen Sinn, wenn Wäh¬
lende und Gewählte möglichst unabhängig von augenblicklichen Einflüssen sind,
unabhängig sowol von den wechselnden Neigungen der Menge, wie von >fen
Einflüssen der Verwaltung, die ja auch wechseln kann, die seit 4830 bereits ge¬
wechselt hat. Wenn das nicht der Fall ist, so ist die Kammer nur ein Duplicat


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[0371] Ueber folgende Punkte war man einig. Die Opposition gestand zu, daß der Ausfall der Abstimmung auf die Giltigkeit der Wahlen keinen'Einfluß ausüben sollte, ja die meisten unter ihren Rednern waren der Ansicht, daß an dem schlimmen Ausgang der Wahlen weniger die Beeinflussung derselben, als die Gleichgiltigkeit des Volks schuld sei. Dagegen wurde von Seiten der Rechten und von Seiten des Ministeriums nicht in Abrede gestellt, daß Un¬ regelmäßigkeiten vorgekommen wären. Ueber den Umfang derselben konnte nichts festgestellt werden, da eine Prüfung der vorgelegten Actenstücke durch die Commission von Seiten der Linken, durch das Haus von Seiten der Rechten abgelehnt war. Der Minister des Innern versprach, seinerseits eine Unter¬ suchung einzuleiten, zugleich aber erklärte der Regierungscommissär, Geheimerath Hahn, daß die Regierung sich nicht verpflichtet fühle, über das Resultat der¬ selben dem Haus der Abgeordneten Bericht zu erstatten. Mir scheinen diese vereinzelten Thatsachen von untergeordneter Bedeutung, und ich will mich da¬ mit begnügen, den principiellen Gegensatz, wie er am bestimmtesten vom Grafen Schwerin und vom Regierungscommissär aufgefaßt wurde, hervorzu¬ heben. Nach der Ansicht des Grafen Schwerin hatte das Ministerium die Wahl- freiheit in drei Punkten beschränkt: 1) indem es den Beamten unmöglich machte, das verfassungsmäßig ihnen zustehende Recht der Wahl auszuüben; A) durch willkürliche Bildung von Wahlbezirken nach Gründen politischer Opportunist; 3) durch Maßregeln gegen die Presse. Die beiden ersten Punkte wurden von den Vertretern der Negierung zugegeben, es wurde aber behauptet, daß sie keineswegs gegen die Verfassung wären; der dritte Punkt wurde bestritten. Wenn ich auf das Einzelne eingehe, so habe ich dabei nicht die Folgen im Auge, die bei der gegenwärtigen Lage der Dinge daraus entspringen können, sondern ich möchte nur darauf aufmerksam machen, daß in der Verfassungs¬ urkunde Bestimmungen vorkommen, deren Unklarheit die Bildung eines wirk¬ lichen Rechtszustandes verhindert, die also ausgemerzt werden müssen, wenn nicht die Verfassung mehr schädlich als nützlich wirken soll. Ob Preußen überhaupt eine Verfassung, Kammern und dergleichen haben soll, kann dabei als eine offene Frage betrachtet werden. Die Rechte hat die Majorität; so gut sie einzelne Paragraphen streicht, so gut kann sie auch auf gesetzlichem Wege die ganze Verfassung streichen. Wenn sie das aber nicht will, so muß auch ihr daran gelegen sein, daß die Wahl nach gesetzlich feststehenden Normen er¬ folgt. Eine Verfassung hat nur dann einen conservativen Sinn, wenn Wäh¬ lende und Gewählte möglichst unabhängig von augenblicklichen Einflüssen sind, unabhängig sowol von den wechselnden Neigungen der Menge, wie von >fen Einflüssen der Verwaltung, die ja auch wechseln kann, die seit 4830 bereits ge¬ wechselt hat. Wenn das nicht der Fall ist, so ist die Kammer nur ein Duplicat 46*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/371>, abgerufen am 23.07.2024.