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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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Neuern, die sie z. B. nach Phönizier, verlegt haben. Was sonst von Kunst¬
werken bei Homer vorkommt, ist von sidonischen Männern über das Meer ge¬
bracht, und diese Arbeiten aus dem Orient, vielleicht auch einige einheimische
Versuche mögen den Dichtern als Kern gedient haben, an den sie sich bei ihren
Beschreibungen hielten. Wie lächerlich es sein würde, selbst in der Schilderung
der griechischen Königshäuser bei Homer alles buchstäblich zu nehmen, darauf
hat Schömann sehr gut aufmerksam gemacht. Griechenland selbst hatte wenig
Gold und wenig Producte, gegen die es das Gold des Ostens hätte ein¬
tauschen können. Wäre eS aber auch so reich als Indien gewesen, so würde
die Verschwendung der edelsten Metalle, mit denen Homer die griechischen
Königspalaste ausgestattet hat, sich noch nicht erklären lassen. Goldene Gie߬
kannen und Waschbecken, goldene Pokale sind etwas Gewöhnliches, selbst ein
goldner Schild kommt vor. "Aber sollte wirklich jemand im Ernste bezweifeln
können, daß dies alles nur poetisches Gold sei, mit welchem ihre Heroen aus¬
zustatten den griechischen Sängern ebensowenig schwer wurde, als den mittel¬
alterlichen Dichtern die Helden der germanischen Sage, wo es auch des
rothen Goldes die Fülle gibt?" -- Um wieder auf die bildende Kunst zurück¬
zukommen, so kann bei Homer nicht einmal ein einziges Tempclidol mit Sicher¬
heit nachgewiesen werden, also nicht einmal die Werke, von denen die bildende
Kunst ihren Anfang genommen hat. Ebensowenig ist von Malerei die Rede,
die Anwendung der Farben beschränkt sich aus Anstreichen von Schiffen und
Rothfärben von Elfenbein. Ebensowenig gibt es eine künstlerische Architektur.

Aber diese Zeit, die von den übrigen Künsten nichts als rohe Anfänge
besaß, übertraf alle Folgezeiten in einer Kunst, der Poesie. Aus der Fülle
des Stoffs, welche die Sage rastlos schaffend immer neu hervorbrachte, ge¬
stalteten die Sänger Lieder, die nach Jahrtausenden in jedem cultivirten Lande
, jedes Alter und Geschlecht entzücken. Sie gehören zu den edelsten Besitz-
thümern der Menschheit, und welche Phasen unser Geschlecht auch noch
durchmachen sollte, ihr Werth wird sich stets als ein unvergänglicher erweisen.




Denkwürdigkeiten des Generals Grasen Toll.

Denkwürdigkeiten 'des kaiserl. russ. Generals von der Infanterie Carl Friedrich
Grafen von Toll. Von Theodor v. Bernhardt. Erster Band. Leipzig,
O. Wtgand. 1836. --

Das vorliegende Werk gehört nicht in die Memoirenliteratur und kann
auch, so viel sich aus dem ersten Bande ersehen läßt, nicht als eigentliche Bio-


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Neuern, die sie z. B. nach Phönizier, verlegt haben. Was sonst von Kunst¬
werken bei Homer vorkommt, ist von sidonischen Männern über das Meer ge¬
bracht, und diese Arbeiten aus dem Orient, vielleicht auch einige einheimische
Versuche mögen den Dichtern als Kern gedient haben, an den sie sich bei ihren
Beschreibungen hielten. Wie lächerlich es sein würde, selbst in der Schilderung
der griechischen Königshäuser bei Homer alles buchstäblich zu nehmen, darauf
hat Schömann sehr gut aufmerksam gemacht. Griechenland selbst hatte wenig
Gold und wenig Producte, gegen die es das Gold des Ostens hätte ein¬
tauschen können. Wäre eS aber auch so reich als Indien gewesen, so würde
die Verschwendung der edelsten Metalle, mit denen Homer die griechischen
Königspalaste ausgestattet hat, sich noch nicht erklären lassen. Goldene Gie߬
kannen und Waschbecken, goldene Pokale sind etwas Gewöhnliches, selbst ein
goldner Schild kommt vor. „Aber sollte wirklich jemand im Ernste bezweifeln
können, daß dies alles nur poetisches Gold sei, mit welchem ihre Heroen aus¬
zustatten den griechischen Sängern ebensowenig schwer wurde, als den mittel¬
alterlichen Dichtern die Helden der germanischen Sage, wo es auch des
rothen Goldes die Fülle gibt?" — Um wieder auf die bildende Kunst zurück¬
zukommen, so kann bei Homer nicht einmal ein einziges Tempclidol mit Sicher¬
heit nachgewiesen werden, also nicht einmal die Werke, von denen die bildende
Kunst ihren Anfang genommen hat. Ebensowenig ist von Malerei die Rede,
die Anwendung der Farben beschränkt sich aus Anstreichen von Schiffen und
Rothfärben von Elfenbein. Ebensowenig gibt es eine künstlerische Architektur.

Aber diese Zeit, die von den übrigen Künsten nichts als rohe Anfänge
besaß, übertraf alle Folgezeiten in einer Kunst, der Poesie. Aus der Fülle
des Stoffs, welche die Sage rastlos schaffend immer neu hervorbrachte, ge¬
stalteten die Sänger Lieder, die nach Jahrtausenden in jedem cultivirten Lande
, jedes Alter und Geschlecht entzücken. Sie gehören zu den edelsten Besitz-
thümern der Menschheit, und welche Phasen unser Geschlecht auch noch
durchmachen sollte, ihr Werth wird sich stets als ein unvergänglicher erweisen.




Denkwürdigkeiten des Generals Grasen Toll.

Denkwürdigkeiten 'des kaiserl. russ. Generals von der Infanterie Carl Friedrich
Grafen von Toll. Von Theodor v. Bernhardt. Erster Band. Leipzig,
O. Wtgand. 1836. —

Das vorliegende Werk gehört nicht in die Memoirenliteratur und kann
auch, so viel sich aus dem ersten Bande ersehen läßt, nicht als eigentliche Bio-


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[0339] Neuern, die sie z. B. nach Phönizier, verlegt haben. Was sonst von Kunst¬ werken bei Homer vorkommt, ist von sidonischen Männern über das Meer ge¬ bracht, und diese Arbeiten aus dem Orient, vielleicht auch einige einheimische Versuche mögen den Dichtern als Kern gedient haben, an den sie sich bei ihren Beschreibungen hielten. Wie lächerlich es sein würde, selbst in der Schilderung der griechischen Königshäuser bei Homer alles buchstäblich zu nehmen, darauf hat Schömann sehr gut aufmerksam gemacht. Griechenland selbst hatte wenig Gold und wenig Producte, gegen die es das Gold des Ostens hätte ein¬ tauschen können. Wäre eS aber auch so reich als Indien gewesen, so würde die Verschwendung der edelsten Metalle, mit denen Homer die griechischen Königspalaste ausgestattet hat, sich noch nicht erklären lassen. Goldene Gie߬ kannen und Waschbecken, goldene Pokale sind etwas Gewöhnliches, selbst ein goldner Schild kommt vor. „Aber sollte wirklich jemand im Ernste bezweifeln können, daß dies alles nur poetisches Gold sei, mit welchem ihre Heroen aus¬ zustatten den griechischen Sängern ebensowenig schwer wurde, als den mittel¬ alterlichen Dichtern die Helden der germanischen Sage, wo es auch des rothen Goldes die Fülle gibt?" — Um wieder auf die bildende Kunst zurück¬ zukommen, so kann bei Homer nicht einmal ein einziges Tempclidol mit Sicher¬ heit nachgewiesen werden, also nicht einmal die Werke, von denen die bildende Kunst ihren Anfang genommen hat. Ebensowenig ist von Malerei die Rede, die Anwendung der Farben beschränkt sich aus Anstreichen von Schiffen und Rothfärben von Elfenbein. Ebensowenig gibt es eine künstlerische Architektur. Aber diese Zeit, die von den übrigen Künsten nichts als rohe Anfänge besaß, übertraf alle Folgezeiten in einer Kunst, der Poesie. Aus der Fülle des Stoffs, welche die Sage rastlos schaffend immer neu hervorbrachte, ge¬ stalteten die Sänger Lieder, die nach Jahrtausenden in jedem cultivirten Lande , jedes Alter und Geschlecht entzücken. Sie gehören zu den edelsten Besitz- thümern der Menschheit, und welche Phasen unser Geschlecht auch noch durchmachen sollte, ihr Werth wird sich stets als ein unvergänglicher erweisen. Denkwürdigkeiten des Generals Grasen Toll. Denkwürdigkeiten 'des kaiserl. russ. Generals von der Infanterie Carl Friedrich Grafen von Toll. Von Theodor v. Bernhardt. Erster Band. Leipzig, O. Wtgand. 1836. — Das vorliegende Werk gehört nicht in die Memoirenliteratur und kann auch, so viel sich aus dem ersten Bande ersehen läßt, nicht als eigentliche Bio- 42*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/339>, abgerufen am 23.07.2024.