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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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reichen Erwähnungen der Löwen in den homerischen Gedichten zeigen, daß sie
damals in Griechenland noch nicht selten gewesen sein können, denn diese
Dichter nehmen ihre Vergleichungen nur von Dingen, die sie aus Anschauung
kenne". Nierhundert Jahre später, zur Zeit der Perserkncge, kamen Löwen
nur auf einem beschränkten Gebiet im Norden vor, und verschwanden allmÄlig
ganz in Europa. Auch Fischfang wurde mit Angeln, und Netzen betrieben,
doch nur von Geringern; die Nahrung der Edeln war ausschließlich Fleisch.

Wenn auch die Edeln selbst die Feldarbeit beaufsichtigten und Königs¬
söhne bei den Herden waren, so verrichteten die eigentliche Arbeit doch die
Dienstleute. Dies waren theils Leibeigne, theils besoldete Freie. Sklaverei
war ein Unglück, das in jener Zeit durch Kriegsgefangenschaft oder Raub
jeden treffen konnte, uno der im Ueberfluß aufgewachsene Königssohn, wenn er
in die Hände von Piraten gefallen war, mußte oft in fremdem Lande die
Schweine als Leibeigner hüten, wie der göttliche Sauhirt Eumäos. Aber darum
war auch zwischen Sklaven und Freien keine weite Kluft, die Sklaven scheinen
im Ganzen nicht anders behandelt worden zu sein, als die freien Dienstleute,
nur die Sklavinnen wurden strenger gehalten. Persönlicher Werth verschaffte
den Sklaven ihren Herrn gegenüber die Stellung fast gleichberechtigter Freunde,
sie konnten Eigenthum und selbst wieder Leibeigne besitzen, und erwarben durch
ihre Verdienste um ihren Herrn die Freiheit.

Handel und Schiffahrt waren, wie bemerkt, äußerst beschränkt. Zwar auf
das Meer wies die Griechen schon in der ältesten Zeit die Formation ihres
Landes und die Menge von Inseln an, die stehengebliebenen Pfeiler der
Brücke, die einst die beiden Welttheile verbunden hatte. Aber entferntere Meere
als dies Jnselmeer befuhren die homerischen Griechen freiwillig so gut als nie.
Libyen, Aegypten und Phönizien lag ihnen unendlich fern. Wol wagte sich
ausnahmsweise ein kretischer Abenteurer nach Aegvpten; bei günstigem Winde
sollte man in fünf Tagen dahin gelangen können. Aber schon eine Tages¬
fahrt zur See galt als lange und beschwerliche Reise, und das Meer zwischen
Griechenland und Libyen, hieß es, könne ein Vogel in einem Jahr nicht über¬
fliegen. In der That kannten die meisten Griechen nur Griechenland, die
Inseln und die asiatische Küste, Libyen, Phönizien und Aegypten von Hören¬
sagen, das schwarze Meer gar nicht; und doch sind neuerdings wieder die
Irrfahrten des Odysseus ins schwarze Meer verlegt worden, denen überhaupt
irgendein wirkliches Terrain anweisen so viel Sinn hat, als die Geschichten
von Tausend und einer Nacht localisiren. Phönizische Waaren wurden nicht
von Griechen geholt, sondern von Phöniziern gebracht. Dies merkwürdige
Volk, das schon längst mit seinen Kolonien alle Küsten des Mittelmeeres be¬
deckt hatte und dessen Culmination im homerischen Zeitalter schon vorüber
war, erscheint bei Homer ähnlich den Juden des Mittelalters. Ueberall waren sie


reichen Erwähnungen der Löwen in den homerischen Gedichten zeigen, daß sie
damals in Griechenland noch nicht selten gewesen sein können, denn diese
Dichter nehmen ihre Vergleichungen nur von Dingen, die sie aus Anschauung
kenne». Nierhundert Jahre später, zur Zeit der Perserkncge, kamen Löwen
nur auf einem beschränkten Gebiet im Norden vor, und verschwanden allmÄlig
ganz in Europa. Auch Fischfang wurde mit Angeln, und Netzen betrieben,
doch nur von Geringern; die Nahrung der Edeln war ausschließlich Fleisch.

Wenn auch die Edeln selbst die Feldarbeit beaufsichtigten und Königs¬
söhne bei den Herden waren, so verrichteten die eigentliche Arbeit doch die
Dienstleute. Dies waren theils Leibeigne, theils besoldete Freie. Sklaverei
war ein Unglück, das in jener Zeit durch Kriegsgefangenschaft oder Raub
jeden treffen konnte, uno der im Ueberfluß aufgewachsene Königssohn, wenn er
in die Hände von Piraten gefallen war, mußte oft in fremdem Lande die
Schweine als Leibeigner hüten, wie der göttliche Sauhirt Eumäos. Aber darum
war auch zwischen Sklaven und Freien keine weite Kluft, die Sklaven scheinen
im Ganzen nicht anders behandelt worden zu sein, als die freien Dienstleute,
nur die Sklavinnen wurden strenger gehalten. Persönlicher Werth verschaffte
den Sklaven ihren Herrn gegenüber die Stellung fast gleichberechtigter Freunde,
sie konnten Eigenthum und selbst wieder Leibeigne besitzen, und erwarben durch
ihre Verdienste um ihren Herrn die Freiheit.

Handel und Schiffahrt waren, wie bemerkt, äußerst beschränkt. Zwar auf
das Meer wies die Griechen schon in der ältesten Zeit die Formation ihres
Landes und die Menge von Inseln an, die stehengebliebenen Pfeiler der
Brücke, die einst die beiden Welttheile verbunden hatte. Aber entferntere Meere
als dies Jnselmeer befuhren die homerischen Griechen freiwillig so gut als nie.
Libyen, Aegypten und Phönizien lag ihnen unendlich fern. Wol wagte sich
ausnahmsweise ein kretischer Abenteurer nach Aegvpten; bei günstigem Winde
sollte man in fünf Tagen dahin gelangen können. Aber schon eine Tages¬
fahrt zur See galt als lange und beschwerliche Reise, und das Meer zwischen
Griechenland und Libyen, hieß es, könne ein Vogel in einem Jahr nicht über¬
fliegen. In der That kannten die meisten Griechen nur Griechenland, die
Inseln und die asiatische Küste, Libyen, Phönizien und Aegypten von Hören¬
sagen, das schwarze Meer gar nicht; und doch sind neuerdings wieder die
Irrfahrten des Odysseus ins schwarze Meer verlegt worden, denen überhaupt
irgendein wirkliches Terrain anweisen so viel Sinn hat, als die Geschichten
von Tausend und einer Nacht localisiren. Phönizische Waaren wurden nicht
von Griechen geholt, sondern von Phöniziern gebracht. Dies merkwürdige
Volk, das schon längst mit seinen Kolonien alle Küsten des Mittelmeeres be¬
deckt hatte und dessen Culmination im homerischen Zeitalter schon vorüber
war, erscheint bei Homer ähnlich den Juden des Mittelalters. Ueberall waren sie


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[0336] reichen Erwähnungen der Löwen in den homerischen Gedichten zeigen, daß sie damals in Griechenland noch nicht selten gewesen sein können, denn diese Dichter nehmen ihre Vergleichungen nur von Dingen, die sie aus Anschauung kenne». Nierhundert Jahre später, zur Zeit der Perserkncge, kamen Löwen nur auf einem beschränkten Gebiet im Norden vor, und verschwanden allmÄlig ganz in Europa. Auch Fischfang wurde mit Angeln, und Netzen betrieben, doch nur von Geringern; die Nahrung der Edeln war ausschließlich Fleisch. Wenn auch die Edeln selbst die Feldarbeit beaufsichtigten und Königs¬ söhne bei den Herden waren, so verrichteten die eigentliche Arbeit doch die Dienstleute. Dies waren theils Leibeigne, theils besoldete Freie. Sklaverei war ein Unglück, das in jener Zeit durch Kriegsgefangenschaft oder Raub jeden treffen konnte, uno der im Ueberfluß aufgewachsene Königssohn, wenn er in die Hände von Piraten gefallen war, mußte oft in fremdem Lande die Schweine als Leibeigner hüten, wie der göttliche Sauhirt Eumäos. Aber darum war auch zwischen Sklaven und Freien keine weite Kluft, die Sklaven scheinen im Ganzen nicht anders behandelt worden zu sein, als die freien Dienstleute, nur die Sklavinnen wurden strenger gehalten. Persönlicher Werth verschaffte den Sklaven ihren Herrn gegenüber die Stellung fast gleichberechtigter Freunde, sie konnten Eigenthum und selbst wieder Leibeigne besitzen, und erwarben durch ihre Verdienste um ihren Herrn die Freiheit. Handel und Schiffahrt waren, wie bemerkt, äußerst beschränkt. Zwar auf das Meer wies die Griechen schon in der ältesten Zeit die Formation ihres Landes und die Menge von Inseln an, die stehengebliebenen Pfeiler der Brücke, die einst die beiden Welttheile verbunden hatte. Aber entferntere Meere als dies Jnselmeer befuhren die homerischen Griechen freiwillig so gut als nie. Libyen, Aegypten und Phönizien lag ihnen unendlich fern. Wol wagte sich ausnahmsweise ein kretischer Abenteurer nach Aegvpten; bei günstigem Winde sollte man in fünf Tagen dahin gelangen können. Aber schon eine Tages¬ fahrt zur See galt als lange und beschwerliche Reise, und das Meer zwischen Griechenland und Libyen, hieß es, könne ein Vogel in einem Jahr nicht über¬ fliegen. In der That kannten die meisten Griechen nur Griechenland, die Inseln und die asiatische Küste, Libyen, Phönizien und Aegypten von Hören¬ sagen, das schwarze Meer gar nicht; und doch sind neuerdings wieder die Irrfahrten des Odysseus ins schwarze Meer verlegt worden, denen überhaupt irgendein wirkliches Terrain anweisen so viel Sinn hat, als die Geschichten von Tausend und einer Nacht localisiren. Phönizische Waaren wurden nicht von Griechen geholt, sondern von Phöniziern gebracht. Dies merkwürdige Volk, das schon längst mit seinen Kolonien alle Küsten des Mittelmeeres be¬ deckt hatte und dessen Culmination im homerischen Zeitalter schon vorüber war, erscheint bei Homer ähnlich den Juden des Mittelalters. Ueberall waren sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/336>, abgerufen am 23.07.2024.