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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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aber an einem eclatanten Beispiele sehen zu lassen, wie sehr der Laie im Be¬
reiche der Sternenkunde Ursache hat, seine Phantasie zu zügeln, sich vor Trug¬
schlüssen zu hüten und sich des Unterschiedes zwischen Neugier und Wissens¬
drang bewußt zu bleiben. Die Frage, ob es auf andern Himmelskörpern
menschenähnliche Wesen geben kann, ist im Vergleich mit näher liegenden
Problemen der Astronomie nicht viel mehr als eine Curiosität, im Vergleich
mit den Mitteln zu ihrer Lösung und den bis jetzt erreichten Resultaten in Be¬
treff der zu beantwortenden Vorfragen gradezu eine müßige. Deutsche Astro¬
nomen haben deshalb, seit die Astrologie zur Astronomie geworden ist, nur
vorübergehend einen Blick aus sie geworfen. Den Laien aber und den Dilet¬
tanten hat es auch hier, wie in andern Dingen, oft das Herz verbrennen
wollen, glauben zu müssen, daß wir nichts wissen können. Mehr bewohnte
Welten als eine, ist ein Lieblingsgedanke, der, wo er sich mit Gründen
nicht stützen läßt, mit Vermuthungen einer stets bereiten Phantasie auf¬
recht erhalten wird. Bringt man es nicht bis zur Wahrscheinlichkeit, so
begnügt man sich, die Möglichkeit mit gutklingenden Erfindungen auszufüllen
und dann für Gewißheit zu halten. Es scheint der Größe des Schöpfers zu
entsprechen, daß die ganze Sternenwelt nicht blos mit Licht, sondern auch mit
Geist erfüllt ist, und es schmeichelt dem menschlichen Stolze, trotz der Berge
von Schwierigkeiten zu wissen, daß hinter dem Berge auch Leute wohnen. Die
eigentliche Ursache dieser Neugier aber ist oft ein heimlicher Glaube an Seelen¬
wanderung, ein unbewußter Swedenborgianiömus, der sich -- den Lehren des
Christenthums beiläufig diametral entgegengesetzt -- gewiß zu werden bestrebt
ist, daß "drüben auf jenen bessern Sternen" eine verbesserte Auflage des
Erdenlebens beabsichtigt, und daß der Tod nur das Verlassen einer Station der
Seele auf ihrer Weltreise ist.

Bekannt sind die Aufschlüsse der schwäbischen Hellseherinnen über diesen
Punkt, zahlreich die populären Schriften, in denen empfindsame Gemüther
mit einigem Wissen und viel Phantasie ihre Mitmenschen auf diesem Wege
über den unbehaglichen Tod trösten und auf ein schöneres, bequemeres und er¬
leuchteteres Dasein jenseit der großen Kluft vorbereiten zu müssen meinten. Wir
haben es aber hier nicht mit der populären Literatur, sondern mit den An¬
sichten über die Bewohnbarkeit der Sterne zu thun, welche die ausländisch''
Wissenschaft geäußert hat, und die eben jetzt in England zu einem ziemlich er¬
bitterten Streite zwischen den Gelehrten geführt haben.

Das erste ausdrücklich dem Gegenstande gewidmete Buch waren Fonte-
nelles "Gespräche über die Mehrheit von Welten." Sie erschienen
1686, bewiesen im zweiten und dritten Capitel, daß der Mond und die Plane¬
ten bewohnbare Himmelskörper seien, machten auch in Deutschland, wo Gott¬
sched sie übersetzte, ungeheures'Aufsehen und äußerten allenthalben den größten


aber an einem eclatanten Beispiele sehen zu lassen, wie sehr der Laie im Be¬
reiche der Sternenkunde Ursache hat, seine Phantasie zu zügeln, sich vor Trug¬
schlüssen zu hüten und sich des Unterschiedes zwischen Neugier und Wissens¬
drang bewußt zu bleiben. Die Frage, ob es auf andern Himmelskörpern
menschenähnliche Wesen geben kann, ist im Vergleich mit näher liegenden
Problemen der Astronomie nicht viel mehr als eine Curiosität, im Vergleich
mit den Mitteln zu ihrer Lösung und den bis jetzt erreichten Resultaten in Be¬
treff der zu beantwortenden Vorfragen gradezu eine müßige. Deutsche Astro¬
nomen haben deshalb, seit die Astrologie zur Astronomie geworden ist, nur
vorübergehend einen Blick aus sie geworfen. Den Laien aber und den Dilet¬
tanten hat es auch hier, wie in andern Dingen, oft das Herz verbrennen
wollen, glauben zu müssen, daß wir nichts wissen können. Mehr bewohnte
Welten als eine, ist ein Lieblingsgedanke, der, wo er sich mit Gründen
nicht stützen läßt, mit Vermuthungen einer stets bereiten Phantasie auf¬
recht erhalten wird. Bringt man es nicht bis zur Wahrscheinlichkeit, so
begnügt man sich, die Möglichkeit mit gutklingenden Erfindungen auszufüllen
und dann für Gewißheit zu halten. Es scheint der Größe des Schöpfers zu
entsprechen, daß die ganze Sternenwelt nicht blos mit Licht, sondern auch mit
Geist erfüllt ist, und es schmeichelt dem menschlichen Stolze, trotz der Berge
von Schwierigkeiten zu wissen, daß hinter dem Berge auch Leute wohnen. Die
eigentliche Ursache dieser Neugier aber ist oft ein heimlicher Glaube an Seelen¬
wanderung, ein unbewußter Swedenborgianiömus, der sich — den Lehren des
Christenthums beiläufig diametral entgegengesetzt — gewiß zu werden bestrebt
ist, daß „drüben auf jenen bessern Sternen" eine verbesserte Auflage des
Erdenlebens beabsichtigt, und daß der Tod nur das Verlassen einer Station der
Seele auf ihrer Weltreise ist.

Bekannt sind die Aufschlüsse der schwäbischen Hellseherinnen über diesen
Punkt, zahlreich die populären Schriften, in denen empfindsame Gemüther
mit einigem Wissen und viel Phantasie ihre Mitmenschen auf diesem Wege
über den unbehaglichen Tod trösten und auf ein schöneres, bequemeres und er¬
leuchteteres Dasein jenseit der großen Kluft vorbereiten zu müssen meinten. Wir
haben es aber hier nicht mit der populären Literatur, sondern mit den An¬
sichten über die Bewohnbarkeit der Sterne zu thun, welche die ausländisch''
Wissenschaft geäußert hat, und die eben jetzt in England zu einem ziemlich er¬
bitterten Streite zwischen den Gelehrten geführt haben.

Das erste ausdrücklich dem Gegenstande gewidmete Buch waren Fonte-
nelles „Gespräche über die Mehrheit von Welten." Sie erschienen
1686, bewiesen im zweiten und dritten Capitel, daß der Mond und die Plane¬
ten bewohnbare Himmelskörper seien, machten auch in Deutschland, wo Gott¬
sched sie übersetzte, ungeheures'Aufsehen und äußerten allenthalben den größten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/312>, abgerufen am 25.08.2024.