Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

wähnt -- deren Stoff sich viel besser für einen Roman geeignet hätte, wenn
er in der Phantasie der Dichter vollständig genug herausgearbeitet worden wäre.

Bei ihm und bei andern scheinen die Erzähler in dem Wahn befangen,
daß eine gewisse schwungvolle Skizzirung einzelner Situationen un^> tönende
Worte den Mangel an verständigem Zusammenhang in der Begebenheit über¬
decken können. Die Begebenheit, welche im ernsten Epos erzählt wird, muß
an sich fähig sein, in dem Lesenden Interesse an den Personen, durch welche
sie getragen wird, zu erwecken. Sie wird nicht nur einfach, sondern auch klar,
in ihrem Verlause verständlich und folgerichtig sein müssen. Sie wird ferner,
eben weil sie von einfacher Anlage ist, auch nach eigenthümlichen Gesetzen die
Steigerung des Interesses einrichten. Durch den Kampf menschlicher Leiden¬
schaften, den Contrast der geschilderten Verhältnisse oder durch eine originelle
Stimmung, welche der Dichter seiner Erzählung zu geben weiß, muß eine starke
Spannung entsteh". Diese Spannung wird sich erhöhen müssen, bis gegen
das Ende, wo sie in einer großen Katastrophe mit reicher Ausführung kräftig
gelöst wird und die Grundstimmung des ganzen Gedichtes mit Gewalt zu Tage
tritt. Ferner wird auch die Charakteristik der Menschen, deren Schicksale er¬
zählt werden, einfach in großen Zügen geschehen müssen, aber sie soll deswegen
nicht weniger wahr und interessant sein. Je weniger detaillirt die Ausführung,
desto reiner müssen die Contouren sein. Die Helden dürfen nur das Noth¬
wendige, ihrer einfachen Anlage Entsprechende sagen und thun; jede Willkür des
Dichters in Schilderung von unnöthigen Zügen, jeder fremdartige Zug, auch
wenn er psychologisch erklärbar ist, stört. Diese Gesetze scheinen so einfach und
selbstverständlich, und doch ist in den meisten Gedichten, welche vorliegen, da¬
gegen in auffallender Weise gesündigt. Der Vers' ist ein schlechter Ueberzug
für eine Erzählung ohne Interesse, ohne Zusammenhang und logische Eonsequenz.

Wer in Versen erzählt, wird auch in der Auswahl der charakteristrenden
Momente, durch welche er schildern oder stimmen will, große Sicherheit besitzen
müssen, denn ihm stehen verhältnißmäßig wenigere Momente zu Gebote, als
dem Erzähler in Prosa. Ein einzelnes Bild muß oft die Stärke einer leiden¬
schaftlichen Bewegung, zwei, drei kleine Striche vielleicht eine Oertlichkeit, z. B.
einen landschaftlichen Hintergrund, lebendig vorführen. Wenn das Gemüth
des Dichters das Zweckmäßige hier nicht kräftig empfindet, wird aller Wort¬
reichthum unnütz sein. Der Vers unterstützt in großartiger Weise die Wirkung
einer richtig empfundenen Charakteristik, weil er das wahr Empfundene viel
eindringlicher zu sagen vermag, als der prosaische Satz, aber er wird peinlich,
wenn er den Mangel solcher Empfindung durch sein Geklapper ersetzen soll.
Und grade sein Klang verführt leicht zur Phrase.

Harald und Theano. Gedicht von Felir Dahn. Berlin 1865.
F. A. Herbig. -- Landschaft Cypern, Zeit deö Galerius, die. Gegensätze üppiger


wähnt — deren Stoff sich viel besser für einen Roman geeignet hätte, wenn
er in der Phantasie der Dichter vollständig genug herausgearbeitet worden wäre.

Bei ihm und bei andern scheinen die Erzähler in dem Wahn befangen,
daß eine gewisse schwungvolle Skizzirung einzelner Situationen un^> tönende
Worte den Mangel an verständigem Zusammenhang in der Begebenheit über¬
decken können. Die Begebenheit, welche im ernsten Epos erzählt wird, muß
an sich fähig sein, in dem Lesenden Interesse an den Personen, durch welche
sie getragen wird, zu erwecken. Sie wird nicht nur einfach, sondern auch klar,
in ihrem Verlause verständlich und folgerichtig sein müssen. Sie wird ferner,
eben weil sie von einfacher Anlage ist, auch nach eigenthümlichen Gesetzen die
Steigerung des Interesses einrichten. Durch den Kampf menschlicher Leiden¬
schaften, den Contrast der geschilderten Verhältnisse oder durch eine originelle
Stimmung, welche der Dichter seiner Erzählung zu geben weiß, muß eine starke
Spannung entsteh«. Diese Spannung wird sich erhöhen müssen, bis gegen
das Ende, wo sie in einer großen Katastrophe mit reicher Ausführung kräftig
gelöst wird und die Grundstimmung des ganzen Gedichtes mit Gewalt zu Tage
tritt. Ferner wird auch die Charakteristik der Menschen, deren Schicksale er¬
zählt werden, einfach in großen Zügen geschehen müssen, aber sie soll deswegen
nicht weniger wahr und interessant sein. Je weniger detaillirt die Ausführung,
desto reiner müssen die Contouren sein. Die Helden dürfen nur das Noth¬
wendige, ihrer einfachen Anlage Entsprechende sagen und thun; jede Willkür des
Dichters in Schilderung von unnöthigen Zügen, jeder fremdartige Zug, auch
wenn er psychologisch erklärbar ist, stört. Diese Gesetze scheinen so einfach und
selbstverständlich, und doch ist in den meisten Gedichten, welche vorliegen, da¬
gegen in auffallender Weise gesündigt. Der Vers' ist ein schlechter Ueberzug
für eine Erzählung ohne Interesse, ohne Zusammenhang und logische Eonsequenz.

Wer in Versen erzählt, wird auch in der Auswahl der charakteristrenden
Momente, durch welche er schildern oder stimmen will, große Sicherheit besitzen
müssen, denn ihm stehen verhältnißmäßig wenigere Momente zu Gebote, als
dem Erzähler in Prosa. Ein einzelnes Bild muß oft die Stärke einer leiden¬
schaftlichen Bewegung, zwei, drei kleine Striche vielleicht eine Oertlichkeit, z. B.
einen landschaftlichen Hintergrund, lebendig vorführen. Wenn das Gemüth
des Dichters das Zweckmäßige hier nicht kräftig empfindet, wird aller Wort¬
reichthum unnütz sein. Der Vers unterstützt in großartiger Weise die Wirkung
einer richtig empfundenen Charakteristik, weil er das wahr Empfundene viel
eindringlicher zu sagen vermag, als der prosaische Satz, aber er wird peinlich,
wenn er den Mangel solcher Empfindung durch sein Geklapper ersetzen soll.
Und grade sein Klang verführt leicht zur Phrase.

Harald und Theano. Gedicht von Felir Dahn. Berlin 1865.
F. A. Herbig. — Landschaft Cypern, Zeit deö Galerius, die. Gegensätze üppiger


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0293" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/101286"/>
            <p xml:id="ID_876" prev="#ID_875"> wähnt &#x2014; deren Stoff sich viel besser für einen Roman geeignet hätte, wenn<lb/>
er in der Phantasie der Dichter vollständig genug herausgearbeitet worden wäre.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_877"> Bei ihm und bei andern scheinen die Erzähler in dem Wahn befangen,<lb/>
daß eine gewisse schwungvolle Skizzirung einzelner Situationen un^&gt; tönende<lb/>
Worte den Mangel an verständigem Zusammenhang in der Begebenheit über¬<lb/>
decken können. Die Begebenheit, welche im ernsten Epos erzählt wird, muß<lb/>
an sich fähig sein, in dem Lesenden Interesse an den Personen, durch welche<lb/>
sie getragen wird, zu erwecken. Sie wird nicht nur einfach, sondern auch klar,<lb/>
in ihrem Verlause verständlich und folgerichtig sein müssen. Sie wird ferner,<lb/>
eben weil sie von einfacher Anlage ist, auch nach eigenthümlichen Gesetzen die<lb/>
Steigerung des Interesses einrichten. Durch den Kampf menschlicher Leiden¬<lb/>
schaften, den Contrast der geschilderten Verhältnisse oder durch eine originelle<lb/>
Stimmung, welche der Dichter seiner Erzählung zu geben weiß, muß eine starke<lb/>
Spannung entsteh«. Diese Spannung wird sich erhöhen müssen, bis gegen<lb/>
das Ende, wo sie in einer großen Katastrophe mit reicher Ausführung kräftig<lb/>
gelöst wird und die Grundstimmung des ganzen Gedichtes mit Gewalt zu Tage<lb/>
tritt. Ferner wird auch die Charakteristik der Menschen, deren Schicksale er¬<lb/>
zählt werden, einfach in großen Zügen geschehen müssen, aber sie soll deswegen<lb/>
nicht weniger wahr und interessant sein. Je weniger detaillirt die Ausführung,<lb/>
desto reiner müssen die Contouren sein. Die Helden dürfen nur das Noth¬<lb/>
wendige, ihrer einfachen Anlage Entsprechende sagen und thun; jede Willkür des<lb/>
Dichters in Schilderung von unnöthigen Zügen, jeder fremdartige Zug, auch<lb/>
wenn er psychologisch erklärbar ist, stört. Diese Gesetze scheinen so einfach und<lb/>
selbstverständlich, und doch ist in den meisten Gedichten, welche vorliegen, da¬<lb/>
gegen in auffallender Weise gesündigt. Der Vers' ist ein schlechter Ueberzug<lb/>
für eine Erzählung ohne Interesse, ohne Zusammenhang und logische Eonsequenz.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_878"> Wer in Versen erzählt, wird auch in der Auswahl der charakteristrenden<lb/>
Momente, durch welche er schildern oder stimmen will, große Sicherheit besitzen<lb/>
müssen, denn ihm stehen verhältnißmäßig wenigere Momente zu Gebote, als<lb/>
dem Erzähler in Prosa. Ein einzelnes Bild muß oft die Stärke einer leiden¬<lb/>
schaftlichen Bewegung, zwei, drei kleine Striche vielleicht eine Oertlichkeit, z. B.<lb/>
einen landschaftlichen Hintergrund, lebendig vorführen. Wenn das Gemüth<lb/>
des Dichters das Zweckmäßige hier nicht kräftig empfindet, wird aller Wort¬<lb/>
reichthum unnütz sein. Der Vers unterstützt in großartiger Weise die Wirkung<lb/>
einer richtig empfundenen Charakteristik, weil er das wahr Empfundene viel<lb/>
eindringlicher zu sagen vermag, als der prosaische Satz, aber er wird peinlich,<lb/>
wenn er den Mangel solcher Empfindung durch sein Geklapper ersetzen soll.<lb/>
Und grade sein Klang verführt leicht zur Phrase.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_879" next="#ID_880"> Harald und Theano. Gedicht von Felir Dahn. Berlin 1865.<lb/>
F. A. Herbig. &#x2014; Landschaft Cypern, Zeit deö Galerius, die. Gegensätze üppiger</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0293] wähnt — deren Stoff sich viel besser für einen Roman geeignet hätte, wenn er in der Phantasie der Dichter vollständig genug herausgearbeitet worden wäre. Bei ihm und bei andern scheinen die Erzähler in dem Wahn befangen, daß eine gewisse schwungvolle Skizzirung einzelner Situationen un^> tönende Worte den Mangel an verständigem Zusammenhang in der Begebenheit über¬ decken können. Die Begebenheit, welche im ernsten Epos erzählt wird, muß an sich fähig sein, in dem Lesenden Interesse an den Personen, durch welche sie getragen wird, zu erwecken. Sie wird nicht nur einfach, sondern auch klar, in ihrem Verlause verständlich und folgerichtig sein müssen. Sie wird ferner, eben weil sie von einfacher Anlage ist, auch nach eigenthümlichen Gesetzen die Steigerung des Interesses einrichten. Durch den Kampf menschlicher Leiden¬ schaften, den Contrast der geschilderten Verhältnisse oder durch eine originelle Stimmung, welche der Dichter seiner Erzählung zu geben weiß, muß eine starke Spannung entsteh«. Diese Spannung wird sich erhöhen müssen, bis gegen das Ende, wo sie in einer großen Katastrophe mit reicher Ausführung kräftig gelöst wird und die Grundstimmung des ganzen Gedichtes mit Gewalt zu Tage tritt. Ferner wird auch die Charakteristik der Menschen, deren Schicksale er¬ zählt werden, einfach in großen Zügen geschehen müssen, aber sie soll deswegen nicht weniger wahr und interessant sein. Je weniger detaillirt die Ausführung, desto reiner müssen die Contouren sein. Die Helden dürfen nur das Noth¬ wendige, ihrer einfachen Anlage Entsprechende sagen und thun; jede Willkür des Dichters in Schilderung von unnöthigen Zügen, jeder fremdartige Zug, auch wenn er psychologisch erklärbar ist, stört. Diese Gesetze scheinen so einfach und selbstverständlich, und doch ist in den meisten Gedichten, welche vorliegen, da¬ gegen in auffallender Weise gesündigt. Der Vers' ist ein schlechter Ueberzug für eine Erzählung ohne Interesse, ohne Zusammenhang und logische Eonsequenz. Wer in Versen erzählt, wird auch in der Auswahl der charakteristrenden Momente, durch welche er schildern oder stimmen will, große Sicherheit besitzen müssen, denn ihm stehen verhältnißmäßig wenigere Momente zu Gebote, als dem Erzähler in Prosa. Ein einzelnes Bild muß oft die Stärke einer leiden¬ schaftlichen Bewegung, zwei, drei kleine Striche vielleicht eine Oertlichkeit, z. B. einen landschaftlichen Hintergrund, lebendig vorführen. Wenn das Gemüth des Dichters das Zweckmäßige hier nicht kräftig empfindet, wird aller Wort¬ reichthum unnütz sein. Der Vers unterstützt in großartiger Weise die Wirkung einer richtig empfundenen Charakteristik, weil er das wahr Empfundene viel eindringlicher zu sagen vermag, als der prosaische Satz, aber er wird peinlich, wenn er den Mangel solcher Empfindung durch sein Geklapper ersetzen soll. Und grade sein Klang verführt leicht zur Phrase. Harald und Theano. Gedicht von Felir Dahn. Berlin 1865. F. A. Herbig. — Landschaft Cypern, Zeit deö Galerius, die. Gegensätze üppiger

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/293
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/293>, abgerufen am 23.07.2024.