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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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Tschai in den Kur liegt auf einem unzugänglichen Felsen die kleine Festung
Gertwiß (Chertwiß), die zwar nur eine geringe Besatzung faßt, aber die Brücken
über die beiden sich hier vereinigenden Flüsse dominirt, zu welchen letztern zwei
gewölbte Gänge den ungefährdeten Niedergang sichern. Gertwiß besteht aus
drei Theilen, der Festung, die von einer starken, durch Thürme flankirten
Mauer umgeben ist, der Citadelle, welche hoch darüber erhaben auf dem steilsten
Punkte des Felsens steht, sehr hohe Mauern hat und ebenfalls von vier starken
Thürmen flankirt ist, und der im Süden und Westen an die Festung sich an¬
schließenden, mit weiten Gärten umgebenen Vorstadt. Die frühern Befestigungen
aller dieser Plätze sind von den Nüssen noch verstärkt worden. Dicht an der
Grenze von Armenien, in der Nähe des Arya-Tschai liegt Gumri, von den
Nüssen Alerandropol genannt, ein sehr wichtiger Punkt, der den Schlüssel von
Armenien bildet. Der Ort liegt an einem der vielen Trachythngel, welche die
dortige Gegend durchziehen. Die alte Festung steht auf der westlichen Anhöhe
und besitzt nur einen armseligen Wall, welcher durch die ausgegrabene Erde
des Grabens sich selbst bildete. In der neuesten Zeit haben die Russen eine
neue, bessere Citadelle etwa eine halbe Stunde entfernt auf der bedeutendsten
Anhöhe der ganzen Umgegend erbaut; sie hat Mauern. Kasematten und Kaser¬
nen und ist fester, als die meisten russischen Forts jener Gegenden.

Auf dem türkischen Gebiet ist an' dieser Grenze der wichtigste Punkt in
militärischer Beziehung die Festung Kars, die alte Hauptstadt Armeniens. Auf
der südlichen Operationslinie von Eriwan nach Erzerum sind die im ehemaligen
Paschalik und jetziger Lloa Bajazet gelegene Stadt gleiches Namens, der Flecken
Diadin, der auf der Wasserscheide zwischen dem Aiares und dem Murad
(Nebenarm des Euphrat) liegt, der befestigte Ort Chamur und das Schloß
Tobrak-Kate die bemerkenswerthesten Plätze. Die Stadt und Festung Bajazet
oder Bajasid liegt ungefähr vier Stunden vom Südfuße der beiden Ararats,
östlich von den Quellen des Euphrat, amphitheatralisch aus einem Zweige deS
Ala-Dagh erbaut, und hat enge, winklige Straßen. Ihre natürliche Lage
macht sie unzugänglich, und außerdem wird sie noch durch einige Befestigungen
oberhalb der Stadt, besonders durch ein uncrstürmbares, eine Art Citadelle
bildendes altes Schloß gestützt. Dennoch war sie gegen europäische Artillerie
aus dem Grunde nicht haltbar zu machen, weil die Stadt von einigen benach¬
barten Höhen eingesehen und beschossen werden kann. Bajazat hat Getreide¬
bau, Viehzucht, Musselinweberei, Handel mit Wein und Früchten nach Per¬
sien und Georgien und 18,000 (nach andern 30,000" Einwohner, darunter
13,000 Armenier. Die gering bevölkerten Orte Diadin und Chamur liegen
am Euphrat und sind baufällige und schwach befestigte Festungen. Das aus
dem Agri-Dagh liegende und im Thale den Weg von Eriwan nach Erzerum
sperrende Toprak- (Toproch-)Kate ist eine kleine Stadt mit einem sehr festen


Tschai in den Kur liegt auf einem unzugänglichen Felsen die kleine Festung
Gertwiß (Chertwiß), die zwar nur eine geringe Besatzung faßt, aber die Brücken
über die beiden sich hier vereinigenden Flüsse dominirt, zu welchen letztern zwei
gewölbte Gänge den ungefährdeten Niedergang sichern. Gertwiß besteht aus
drei Theilen, der Festung, die von einer starken, durch Thürme flankirten
Mauer umgeben ist, der Citadelle, welche hoch darüber erhaben auf dem steilsten
Punkte des Felsens steht, sehr hohe Mauern hat und ebenfalls von vier starken
Thürmen flankirt ist, und der im Süden und Westen an die Festung sich an¬
schließenden, mit weiten Gärten umgebenen Vorstadt. Die frühern Befestigungen
aller dieser Plätze sind von den Nüssen noch verstärkt worden. Dicht an der
Grenze von Armenien, in der Nähe des Arya-Tschai liegt Gumri, von den
Nüssen Alerandropol genannt, ein sehr wichtiger Punkt, der den Schlüssel von
Armenien bildet. Der Ort liegt an einem der vielen Trachythngel, welche die
dortige Gegend durchziehen. Die alte Festung steht auf der westlichen Anhöhe
und besitzt nur einen armseligen Wall, welcher durch die ausgegrabene Erde
des Grabens sich selbst bildete. In der neuesten Zeit haben die Russen eine
neue, bessere Citadelle etwa eine halbe Stunde entfernt auf der bedeutendsten
Anhöhe der ganzen Umgegend erbaut; sie hat Mauern. Kasematten und Kaser¬
nen und ist fester, als die meisten russischen Forts jener Gegenden.

Auf dem türkischen Gebiet ist an' dieser Grenze der wichtigste Punkt in
militärischer Beziehung die Festung Kars, die alte Hauptstadt Armeniens. Auf
der südlichen Operationslinie von Eriwan nach Erzerum sind die im ehemaligen
Paschalik und jetziger Lloa Bajazet gelegene Stadt gleiches Namens, der Flecken
Diadin, der auf der Wasserscheide zwischen dem Aiares und dem Murad
(Nebenarm des Euphrat) liegt, der befestigte Ort Chamur und das Schloß
Tobrak-Kate die bemerkenswerthesten Plätze. Die Stadt und Festung Bajazet
oder Bajasid liegt ungefähr vier Stunden vom Südfuße der beiden Ararats,
östlich von den Quellen des Euphrat, amphitheatralisch aus einem Zweige deS
Ala-Dagh erbaut, und hat enge, winklige Straßen. Ihre natürliche Lage
macht sie unzugänglich, und außerdem wird sie noch durch einige Befestigungen
oberhalb der Stadt, besonders durch ein uncrstürmbares, eine Art Citadelle
bildendes altes Schloß gestützt. Dennoch war sie gegen europäische Artillerie
aus dem Grunde nicht haltbar zu machen, weil die Stadt von einigen benach¬
barten Höhen eingesehen und beschossen werden kann. Bajazat hat Getreide¬
bau, Viehzucht, Musselinweberei, Handel mit Wein und Früchten nach Per¬
sien und Georgien und 18,000 (nach andern 30,000» Einwohner, darunter
13,000 Armenier. Die gering bevölkerten Orte Diadin und Chamur liegen
am Euphrat und sind baufällige und schwach befestigte Festungen. Das aus
dem Agri-Dagh liegende und im Thale den Weg von Eriwan nach Erzerum
sperrende Toprak- (Toproch-)Kate ist eine kleine Stadt mit einem sehr festen


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[0284] Tschai in den Kur liegt auf einem unzugänglichen Felsen die kleine Festung Gertwiß (Chertwiß), die zwar nur eine geringe Besatzung faßt, aber die Brücken über die beiden sich hier vereinigenden Flüsse dominirt, zu welchen letztern zwei gewölbte Gänge den ungefährdeten Niedergang sichern. Gertwiß besteht aus drei Theilen, der Festung, die von einer starken, durch Thürme flankirten Mauer umgeben ist, der Citadelle, welche hoch darüber erhaben auf dem steilsten Punkte des Felsens steht, sehr hohe Mauern hat und ebenfalls von vier starken Thürmen flankirt ist, und der im Süden und Westen an die Festung sich an¬ schließenden, mit weiten Gärten umgebenen Vorstadt. Die frühern Befestigungen aller dieser Plätze sind von den Nüssen noch verstärkt worden. Dicht an der Grenze von Armenien, in der Nähe des Arya-Tschai liegt Gumri, von den Nüssen Alerandropol genannt, ein sehr wichtiger Punkt, der den Schlüssel von Armenien bildet. Der Ort liegt an einem der vielen Trachythngel, welche die dortige Gegend durchziehen. Die alte Festung steht auf der westlichen Anhöhe und besitzt nur einen armseligen Wall, welcher durch die ausgegrabene Erde des Grabens sich selbst bildete. In der neuesten Zeit haben die Russen eine neue, bessere Citadelle etwa eine halbe Stunde entfernt auf der bedeutendsten Anhöhe der ganzen Umgegend erbaut; sie hat Mauern. Kasematten und Kaser¬ nen und ist fester, als die meisten russischen Forts jener Gegenden. Auf dem türkischen Gebiet ist an' dieser Grenze der wichtigste Punkt in militärischer Beziehung die Festung Kars, die alte Hauptstadt Armeniens. Auf der südlichen Operationslinie von Eriwan nach Erzerum sind die im ehemaligen Paschalik und jetziger Lloa Bajazet gelegene Stadt gleiches Namens, der Flecken Diadin, der auf der Wasserscheide zwischen dem Aiares und dem Murad (Nebenarm des Euphrat) liegt, der befestigte Ort Chamur und das Schloß Tobrak-Kate die bemerkenswerthesten Plätze. Die Stadt und Festung Bajazet oder Bajasid liegt ungefähr vier Stunden vom Südfuße der beiden Ararats, östlich von den Quellen des Euphrat, amphitheatralisch aus einem Zweige deS Ala-Dagh erbaut, und hat enge, winklige Straßen. Ihre natürliche Lage macht sie unzugänglich, und außerdem wird sie noch durch einige Befestigungen oberhalb der Stadt, besonders durch ein uncrstürmbares, eine Art Citadelle bildendes altes Schloß gestützt. Dennoch war sie gegen europäische Artillerie aus dem Grunde nicht haltbar zu machen, weil die Stadt von einigen benach¬ barten Höhen eingesehen und beschossen werden kann. Bajazat hat Getreide¬ bau, Viehzucht, Musselinweberei, Handel mit Wein und Früchten nach Per¬ sien und Georgien und 18,000 (nach andern 30,000» Einwohner, darunter 13,000 Armenier. Die gering bevölkerten Orte Diadin und Chamur liegen am Euphrat und sind baufällige und schwach befestigte Festungen. Das aus dem Agri-Dagh liegende und im Thale den Weg von Eriwan nach Erzerum sperrende Toprak- (Toproch-)Kate ist eine kleine Stadt mit einem sehr festen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/284>, abgerufen am 23.07.2024.