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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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der Marsch selbst gibt es nur einzelne Höfe, die auf künstlichen Hügeln
-- Wurden oder Warften -- erbaut und gemeiniglich, gleich Ebelhöfen, mit
denen sie auch sonst Aehnlichkeit haben, mit tiefen, breiten Gräben umgeben
siud. Auf den Feldern steht neben Strichen hoher fetter Bohnen, die, ein
eigenthümliches Erzeugniß der Marsch, in der Blütezeit wie riesige Balsaminen-
beete aussehen und den gewürzigsten Dust aushauchen, mannshoher, dichter,
. gleichährigcr Weizen, Hafer, Sommer- und Wintergerste, alle so geschlossen,
daß kaum ein Sonnenstrahl auf den Boden dringen mag. Dazwischen die
Stoppel der letzten Nappsaat und die frisch gewendete Scholle für die nächste,
oder zu andern Seiten das prunkende Hellgelb der Napöblüte. Wer ließe
sich im innern Deutschland von sechsspännigen Pflügen träumen! Und wer
wüßte hier zu Lande nicht, daß man im Christian-Albetts-Koog den schweren
Boden kaum mit acht Pferden bezwingt, und daß auch in andern Kögen ein
Ackersmann, der zweispännig pflügte, etwas Unerhörtes wäre!

Und welch- ein Anblick sind die Weideplätze! Man glaubt aus die Savan¬
nen Südamerikas versetzt zu sein. In tiefem Grase, aus dessen dichten Hal¬
men Massen von gelben und rothen Blumen sich empordrängen, so daß weite
Strecken im schönsten Farbenschimmer prangen, tummeln sich zahllose Rinder,
Kühe mit strotzenden Eutern, muthwillige Fersen vom schönsten Bau, Riesen¬
ochsen mit Schultern und Wammen gleich den Preiöthieren der pariser Fast¬
nacht und der londoner Weihnachtszeit, Starken und Kälber in buntem Ge¬
wimmel Tag und Nacht, bis die Stunde kommt, wo der Hamburger Schiffs-
schlachter oder der englische Ochsenmäkler sie abholt.

Durch dieses Paradies der Oekonomen,'das ein Paradies überhaupt sein
würde, wenn der Westwind hi.er das Gedeihen von andern Bäumen als Hollun-
der gestattete, rollt man bei gutem Sommerwetter auf Wegen so glatt und
hart wie eine Drcschdiele, hoch über der grünen fetten Tiefe, die einst Meeres¬
tiefe war, bis endlich der letzte Deich gegen Westen hin erreicht ist -- der
Butendiek oder Haffdiek, welcher das Meer selbst überschauen läßt. An einigen
Stellen spült die Flut bis unmittelbar an den Fuß dieser mächtigen, von
Hoyer bei Tondern bis zur Eider und von dort bis über Glückstadt hinaus¬
reichenden Wallkette, mit welcher der Mensch im Laufe der Jahrhunderte sich
und sein Besitzthum gegen das unaufhörlich anstürmende Meer geschützt hat.
An andern hat die See Borlande gebildet, welche bei der Ebbe völlig blo߬
liegen und selbst von der Flut nur bei Weststürmen bedeckt werden. Diese
Watten gewähren einen eignen Anblick. Je mehr man sich der See nähert,
desto seltener sieht man andere Bäume als Hollunder, und selbst dieser erscheint
nur strauchartig. Am Außendeiche aber gedeiht auch nicht das kleinste Ge¬
büsch. Nur die Melde wuchert auf dem Kamme des Walles. Der dem Meere
zugekehrte Abhang aber ist blos mit einer dünnen Grasdecke überzogen, die


der Marsch selbst gibt es nur einzelne Höfe, die auf künstlichen Hügeln
— Wurden oder Warften — erbaut und gemeiniglich, gleich Ebelhöfen, mit
denen sie auch sonst Aehnlichkeit haben, mit tiefen, breiten Gräben umgeben
siud. Auf den Feldern steht neben Strichen hoher fetter Bohnen, die, ein
eigenthümliches Erzeugniß der Marsch, in der Blütezeit wie riesige Balsaminen-
beete aussehen und den gewürzigsten Dust aushauchen, mannshoher, dichter,
. gleichährigcr Weizen, Hafer, Sommer- und Wintergerste, alle so geschlossen,
daß kaum ein Sonnenstrahl auf den Boden dringen mag. Dazwischen die
Stoppel der letzten Nappsaat und die frisch gewendete Scholle für die nächste,
oder zu andern Seiten das prunkende Hellgelb der Napöblüte. Wer ließe
sich im innern Deutschland von sechsspännigen Pflügen träumen! Und wer
wüßte hier zu Lande nicht, daß man im Christian-Albetts-Koog den schweren
Boden kaum mit acht Pferden bezwingt, und daß auch in andern Kögen ein
Ackersmann, der zweispännig pflügte, etwas Unerhörtes wäre!

Und welch- ein Anblick sind die Weideplätze! Man glaubt aus die Savan¬
nen Südamerikas versetzt zu sein. In tiefem Grase, aus dessen dichten Hal¬
men Massen von gelben und rothen Blumen sich empordrängen, so daß weite
Strecken im schönsten Farbenschimmer prangen, tummeln sich zahllose Rinder,
Kühe mit strotzenden Eutern, muthwillige Fersen vom schönsten Bau, Riesen¬
ochsen mit Schultern und Wammen gleich den Preiöthieren der pariser Fast¬
nacht und der londoner Weihnachtszeit, Starken und Kälber in buntem Ge¬
wimmel Tag und Nacht, bis die Stunde kommt, wo der Hamburger Schiffs-
schlachter oder der englische Ochsenmäkler sie abholt.

Durch dieses Paradies der Oekonomen,'das ein Paradies überhaupt sein
würde, wenn der Westwind hi.er das Gedeihen von andern Bäumen als Hollun-
der gestattete, rollt man bei gutem Sommerwetter auf Wegen so glatt und
hart wie eine Drcschdiele, hoch über der grünen fetten Tiefe, die einst Meeres¬
tiefe war, bis endlich der letzte Deich gegen Westen hin erreicht ist — der
Butendiek oder Haffdiek, welcher das Meer selbst überschauen läßt. An einigen
Stellen spült die Flut bis unmittelbar an den Fuß dieser mächtigen, von
Hoyer bei Tondern bis zur Eider und von dort bis über Glückstadt hinaus¬
reichenden Wallkette, mit welcher der Mensch im Laufe der Jahrhunderte sich
und sein Besitzthum gegen das unaufhörlich anstürmende Meer geschützt hat.
An andern hat die See Borlande gebildet, welche bei der Ebbe völlig blo߬
liegen und selbst von der Flut nur bei Weststürmen bedeckt werden. Diese
Watten gewähren einen eignen Anblick. Je mehr man sich der See nähert,
desto seltener sieht man andere Bäume als Hollunder, und selbst dieser erscheint
nur strauchartig. Am Außendeiche aber gedeiht auch nicht das kleinste Ge¬
büsch. Nur die Melde wuchert auf dem Kamme des Walles. Der dem Meere
zugekehrte Abhang aber ist blos mit einer dünnen Grasdecke überzogen, die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/266>, abgerufen am 23.07.2024.