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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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wahrt eine Wand von windentblätterten, verbogenen Baumwipfeln, die auf
der Ostseite unter dem Hauche des Meeres ihr angenehmes Grün bewahrten,
hier aber aussehen, als ob ein vorüberstreifender Samum ihre Zweige versengt
hätte. Er blickt zur Rechten und zur Linken und weit hinaus vor sich bis an
die Linie, wo der blaue Himmel an die graue Erde grenzt. Fata Morgana,
die Bildweberin, läßt ihr Weberschiffchen über dem Horizonte hin- und der¬
schießen. ES flattert und zittert eine Landschaft, inselartig, im Himmelsblau.
Bäume erscheinen, Thürme und Dörfer. Es ist eine freundliche Täuschung.
Nur die Wüste ist Wahrheit, eine um so häßlichere Wahrheit, wenn man die
Anmuth der Ostküste noch frisch im Gedächtniß hat und wenn man jene Phan¬
tasien des kunstreichen Luftgeistes in den Wolken sich bilden und wieder zerrin¬
nen sieht.

Da streckt sich ein breiter Streifen weißen oder bläulichrothen Sandes,
fast ohne allen Pflanzenwuchs meilenlang von Westen nach Osten. Es ist ein
Rest jener großen Flut der Urzeit, welche einst dem Lande seine Gestalt gab.
Was das Wasser nicht mehr thut, versucht jetzt der Wind, dermit dem Boden
spielt, heute hier und morgen dort einen Hügel aufschüttet und ihn übermorgen
vielleicht weiter trägt, wenn ihn nicht die harten Halme des Sandhaferö bin¬
den, der allein hier Nahrung zu finden vermag.

Hier schließt sich an den Sand die Haide, kahl und düster, starr und
lautlos. Nur in weiten Zwischenräumen sind Spuren von Menschenthätigkeit,
ein Hirtenknabe, der einige magere Schafe mit grober Wolle weiden läßt, ein
Stellwagen, der^eine Wolke rothen Staubes aufwirbelt, ein ärmliches Hütt-
chen , das mit Rasen gedeckt und von verschmachtender, krüppelhaften Bäum¬
chen umgeben ist, einige Kühe dabei, einiges Geflügel, dahinter ein Feld mit
Buchweizen, von dessen Gräben die unwiderstehliche Sandflut nur mühsam
abgehalten wird.

Dort ragt eine Gruppe von Hünenbetten auf einer Bodenerhebung. Dort
ringt, von wenig tröstlichen Aussehen, ein Busch zwergartiger Eichen mit dem
Winde, der durch die Senkung fährt, in der sie wurzeln. Dort ist ein Wäld¬
chen von Tannen, das die Menschenhand zum Schutze ihrer Saaten pflanzte,
dem Sturme erlegen, der erst sein Mark verdorren ließ, dann seine vergilbten
Nadeln hinwegwehte und bald auch die Stümpfe knicken wird, die allein noch
stehen. Dort endlich schiebt sich zwischen die Haide die rothbraune, halb mit
Haidekraut, halb mit.Binsen bewachsene, bald staubige, bald sumpfige Gegend
eines in zahllosen Blasen ausgequollenen Hochmoores mit schwarzen Tümpeln
und Torfstechereien, ein ungemein trostloser Anblick!

Auf weiten Strecken ist nichts zu hören, als das Geschrei von-Kibitzen.
Mitunter läßt sich eine Lerche vernehmen, häufiger klingt, besonders gegen
Abend, das eintönige Gequak von Fröschen aus den Lachen, in d^nen von


wahrt eine Wand von windentblätterten, verbogenen Baumwipfeln, die auf
der Ostseite unter dem Hauche des Meeres ihr angenehmes Grün bewahrten,
hier aber aussehen, als ob ein vorüberstreifender Samum ihre Zweige versengt
hätte. Er blickt zur Rechten und zur Linken und weit hinaus vor sich bis an
die Linie, wo der blaue Himmel an die graue Erde grenzt. Fata Morgana,
die Bildweberin, läßt ihr Weberschiffchen über dem Horizonte hin- und der¬
schießen. ES flattert und zittert eine Landschaft, inselartig, im Himmelsblau.
Bäume erscheinen, Thürme und Dörfer. Es ist eine freundliche Täuschung.
Nur die Wüste ist Wahrheit, eine um so häßlichere Wahrheit, wenn man die
Anmuth der Ostküste noch frisch im Gedächtniß hat und wenn man jene Phan¬
tasien des kunstreichen Luftgeistes in den Wolken sich bilden und wieder zerrin¬
nen sieht.

Da streckt sich ein breiter Streifen weißen oder bläulichrothen Sandes,
fast ohne allen Pflanzenwuchs meilenlang von Westen nach Osten. Es ist ein
Rest jener großen Flut der Urzeit, welche einst dem Lande seine Gestalt gab.
Was das Wasser nicht mehr thut, versucht jetzt der Wind, dermit dem Boden
spielt, heute hier und morgen dort einen Hügel aufschüttet und ihn übermorgen
vielleicht weiter trägt, wenn ihn nicht die harten Halme des Sandhaferö bin¬
den, der allein hier Nahrung zu finden vermag.

Hier schließt sich an den Sand die Haide, kahl und düster, starr und
lautlos. Nur in weiten Zwischenräumen sind Spuren von Menschenthätigkeit,
ein Hirtenknabe, der einige magere Schafe mit grober Wolle weiden läßt, ein
Stellwagen, der^eine Wolke rothen Staubes aufwirbelt, ein ärmliches Hütt-
chen , das mit Rasen gedeckt und von verschmachtender, krüppelhaften Bäum¬
chen umgeben ist, einige Kühe dabei, einiges Geflügel, dahinter ein Feld mit
Buchweizen, von dessen Gräben die unwiderstehliche Sandflut nur mühsam
abgehalten wird.

Dort ragt eine Gruppe von Hünenbetten auf einer Bodenerhebung. Dort
ringt, von wenig tröstlichen Aussehen, ein Busch zwergartiger Eichen mit dem
Winde, der durch die Senkung fährt, in der sie wurzeln. Dort ist ein Wäld¬
chen von Tannen, das die Menschenhand zum Schutze ihrer Saaten pflanzte,
dem Sturme erlegen, der erst sein Mark verdorren ließ, dann seine vergilbten
Nadeln hinwegwehte und bald auch die Stümpfe knicken wird, die allein noch
stehen. Dort endlich schiebt sich zwischen die Haide die rothbraune, halb mit
Haidekraut, halb mit.Binsen bewachsene, bald staubige, bald sumpfige Gegend
eines in zahllosen Blasen ausgequollenen Hochmoores mit schwarzen Tümpeln
und Torfstechereien, ein ungemein trostloser Anblick!

Auf weiten Strecken ist nichts zu hören, als das Geschrei von-Kibitzen.
Mitunter läßt sich eine Lerche vernehmen, häufiger klingt, besonders gegen
Abend, das eintönige Gequak von Fröschen aus den Lachen, in d^nen von


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[0264] wahrt eine Wand von windentblätterten, verbogenen Baumwipfeln, die auf der Ostseite unter dem Hauche des Meeres ihr angenehmes Grün bewahrten, hier aber aussehen, als ob ein vorüberstreifender Samum ihre Zweige versengt hätte. Er blickt zur Rechten und zur Linken und weit hinaus vor sich bis an die Linie, wo der blaue Himmel an die graue Erde grenzt. Fata Morgana, die Bildweberin, läßt ihr Weberschiffchen über dem Horizonte hin- und der¬ schießen. ES flattert und zittert eine Landschaft, inselartig, im Himmelsblau. Bäume erscheinen, Thürme und Dörfer. Es ist eine freundliche Täuschung. Nur die Wüste ist Wahrheit, eine um so häßlichere Wahrheit, wenn man die Anmuth der Ostküste noch frisch im Gedächtniß hat und wenn man jene Phan¬ tasien des kunstreichen Luftgeistes in den Wolken sich bilden und wieder zerrin¬ nen sieht. Da streckt sich ein breiter Streifen weißen oder bläulichrothen Sandes, fast ohne allen Pflanzenwuchs meilenlang von Westen nach Osten. Es ist ein Rest jener großen Flut der Urzeit, welche einst dem Lande seine Gestalt gab. Was das Wasser nicht mehr thut, versucht jetzt der Wind, dermit dem Boden spielt, heute hier und morgen dort einen Hügel aufschüttet und ihn übermorgen vielleicht weiter trägt, wenn ihn nicht die harten Halme des Sandhaferö bin¬ den, der allein hier Nahrung zu finden vermag. Hier schließt sich an den Sand die Haide, kahl und düster, starr und lautlos. Nur in weiten Zwischenräumen sind Spuren von Menschenthätigkeit, ein Hirtenknabe, der einige magere Schafe mit grober Wolle weiden läßt, ein Stellwagen, der^eine Wolke rothen Staubes aufwirbelt, ein ärmliches Hütt- chen , das mit Rasen gedeckt und von verschmachtender, krüppelhaften Bäum¬ chen umgeben ist, einige Kühe dabei, einiges Geflügel, dahinter ein Feld mit Buchweizen, von dessen Gräben die unwiderstehliche Sandflut nur mühsam abgehalten wird. Dort ragt eine Gruppe von Hünenbetten auf einer Bodenerhebung. Dort ringt, von wenig tröstlichen Aussehen, ein Busch zwergartiger Eichen mit dem Winde, der durch die Senkung fährt, in der sie wurzeln. Dort ist ein Wäld¬ chen von Tannen, das die Menschenhand zum Schutze ihrer Saaten pflanzte, dem Sturme erlegen, der erst sein Mark verdorren ließ, dann seine vergilbten Nadeln hinwegwehte und bald auch die Stümpfe knicken wird, die allein noch stehen. Dort endlich schiebt sich zwischen die Haide die rothbraune, halb mit Haidekraut, halb mit.Binsen bewachsene, bald staubige, bald sumpfige Gegend eines in zahllosen Blasen ausgequollenen Hochmoores mit schwarzen Tümpeln und Torfstechereien, ein ungemein trostloser Anblick! Auf weiten Strecken ist nichts zu hören, als das Geschrei von-Kibitzen. Mitunter läßt sich eine Lerche vernehmen, häufiger klingt, besonders gegen Abend, das eintönige Gequak von Fröschen aus den Lachen, in d^nen von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/264>, abgerufen am 23.07.2024.