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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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Preußen und Galizien zwar mit harter Strenge, aber immer wie Menschen
regiert wurden.' Wenn man diese Verhältnisse erwägt, so wird man kaum
noch,von dem Untergange der polnischen Nation durch die Theilungen reden
mögen. Was 1793 zu Grunde ging, war die unmenschliche Herrschaft weniger
Edelleute über das polnische Volk: dieses wechselte nur. die Herren und sah
der Aenderung, welche ihm selbst auf der russischen Seite beinahe so viel Gutes
wie Uebles bringen konnte, mit trägem Gleichmuthe zu.

Von einem dritten Stande war in Polen nicht viel zu reden. Außer
Warschau gab es "och einige freie oder königliche Städte, in denen jedoch das
bürgerliche Gewerbe sehr schwache Fortschritte machte, theils infolge der schlech¬
ten Verwaltung, die z. B. weder von Feuer-, noch Neinlichkeits- noch Gesund¬
heitspolizei eine Ahnung halte, theils weil damals erst seit dreißig Jahren ein
Tribunal im Lande eristirte, welches Klagen eines Bürgerlichen gegen einen
Edelmann annahm. Die meisten der sogenannten Städte waren aber in noch
ungünstigerer Stellung, weil sie auf adligen Boden erbaut, von dem Grund¬
herrn fast ebenso abhängig wie die Bauern waren: ein Gesetz von I7K8, wel¬
ches den Herren die Halsgerichlsbarkeit wegen des unerträglichen damit getrie¬
benen Mißbrauchs genommen/hatte ihnen zur Entschädigung die Befugniß ge¬
geben, die Leistungen und Abgaben der Bürger willkürlich zu erhöhen. Hier
gab es also keinen Rechtsschutz, keine korporative Selbstständigkeit, kein anderes
Gewerbe, als einen schlaff und unergiebig betriebenen Ackerbau. Die einzige
Ausnahme in der traurigen Regel bildeten die großpolnischen Bezirke, die Grenz¬
lande der norddeutschen Provinzen, also eben die Landschaften, welche Preußen
in diesem Augenblicke seinem Besitze unterwarf. Hier hätte, nicht anders als
fünf Jahrhunderte früher in Brandenburg und Schlesien, die deutsche Civili¬
sation ver Eroberung vorgearbeitet. Eine Menge deutscher Handwerker und
Kaufleute, durch den sichern, concurrenzlosen Absatz verlockt, hatten sich in
den Städten festgesetzt; in einigen gab es 1793 kaum noch einen polnischen
Bewohner, beinahe fünfzehn Meilen landeinwärts erstreckte sich die Herrschaft
der deutschen Sprache. Ohne daß der Staat irgendeine Unterstützung gewährte,
ohne daß die Grundherren die sonst gewohnten Bedrückungen unterlassen hätten,
blühte hier durch deutschen Fleiß eine stattliche Leinen- und Wollenfabrication
aus. Alle Interessen wiesen natürlich auf Deutschland: das Gewerbe wünschte
sich seine Absatzwege nach den Ostseehäfen; die Bürgersöhne bezogen sehr häufig
die Universität in Frankfurt oder Leipzig. Hierzu kamen die religiösen Ver¬
hältnisse. Trotz aller Verfolgung hatte sich in der Nähe dieser Grenze ein
zahlreicher protestantischer Adel erhalten, der zwar keinen Theil an der Re¬
gierung hatte und von dem Staate nichts als Zurücksetzung erfuhr, aber durch
Ordnung und Sparsamkeit auf kleinen, selbst bewirthschafteten Gütern zu einem
in Polen seltenen Wohlstande gelangte. Diese Familien, Kalkreuth, Schlich-


Preußen und Galizien zwar mit harter Strenge, aber immer wie Menschen
regiert wurden.' Wenn man diese Verhältnisse erwägt, so wird man kaum
noch,von dem Untergange der polnischen Nation durch die Theilungen reden
mögen. Was 1793 zu Grunde ging, war die unmenschliche Herrschaft weniger
Edelleute über das polnische Volk: dieses wechselte nur. die Herren und sah
der Aenderung, welche ihm selbst auf der russischen Seite beinahe so viel Gutes
wie Uebles bringen konnte, mit trägem Gleichmuthe zu.

Von einem dritten Stande war in Polen nicht viel zu reden. Außer
Warschau gab es »och einige freie oder königliche Städte, in denen jedoch das
bürgerliche Gewerbe sehr schwache Fortschritte machte, theils infolge der schlech¬
ten Verwaltung, die z. B. weder von Feuer-, noch Neinlichkeits- noch Gesund¬
heitspolizei eine Ahnung halte, theils weil damals erst seit dreißig Jahren ein
Tribunal im Lande eristirte, welches Klagen eines Bürgerlichen gegen einen
Edelmann annahm. Die meisten der sogenannten Städte waren aber in noch
ungünstigerer Stellung, weil sie auf adligen Boden erbaut, von dem Grund¬
herrn fast ebenso abhängig wie die Bauern waren: ein Gesetz von I7K8, wel¬
ches den Herren die Halsgerichlsbarkeit wegen des unerträglichen damit getrie¬
benen Mißbrauchs genommen/hatte ihnen zur Entschädigung die Befugniß ge¬
geben, die Leistungen und Abgaben der Bürger willkürlich zu erhöhen. Hier
gab es also keinen Rechtsschutz, keine korporative Selbstständigkeit, kein anderes
Gewerbe, als einen schlaff und unergiebig betriebenen Ackerbau. Die einzige
Ausnahme in der traurigen Regel bildeten die großpolnischen Bezirke, die Grenz¬
lande der norddeutschen Provinzen, also eben die Landschaften, welche Preußen
in diesem Augenblicke seinem Besitze unterwarf. Hier hätte, nicht anders als
fünf Jahrhunderte früher in Brandenburg und Schlesien, die deutsche Civili¬
sation ver Eroberung vorgearbeitet. Eine Menge deutscher Handwerker und
Kaufleute, durch den sichern, concurrenzlosen Absatz verlockt, hatten sich in
den Städten festgesetzt; in einigen gab es 1793 kaum noch einen polnischen
Bewohner, beinahe fünfzehn Meilen landeinwärts erstreckte sich die Herrschaft
der deutschen Sprache. Ohne daß der Staat irgendeine Unterstützung gewährte,
ohne daß die Grundherren die sonst gewohnten Bedrückungen unterlassen hätten,
blühte hier durch deutschen Fleiß eine stattliche Leinen- und Wollenfabrication
aus. Alle Interessen wiesen natürlich auf Deutschland: das Gewerbe wünschte
sich seine Absatzwege nach den Ostseehäfen; die Bürgersöhne bezogen sehr häufig
die Universität in Frankfurt oder Leipzig. Hierzu kamen die religiösen Ver¬
hältnisse. Trotz aller Verfolgung hatte sich in der Nähe dieser Grenze ein
zahlreicher protestantischer Adel erhalten, der zwar keinen Theil an der Re¬
gierung hatte und von dem Staate nichts als Zurücksetzung erfuhr, aber durch
Ordnung und Sparsamkeit auf kleinen, selbst bewirthschafteten Gütern zu einem
in Polen seltenen Wohlstande gelangte. Diese Familien, Kalkreuth, Schlich-


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[0258] Preußen und Galizien zwar mit harter Strenge, aber immer wie Menschen regiert wurden.' Wenn man diese Verhältnisse erwägt, so wird man kaum noch,von dem Untergange der polnischen Nation durch die Theilungen reden mögen. Was 1793 zu Grunde ging, war die unmenschliche Herrschaft weniger Edelleute über das polnische Volk: dieses wechselte nur. die Herren und sah der Aenderung, welche ihm selbst auf der russischen Seite beinahe so viel Gutes wie Uebles bringen konnte, mit trägem Gleichmuthe zu. Von einem dritten Stande war in Polen nicht viel zu reden. Außer Warschau gab es »och einige freie oder königliche Städte, in denen jedoch das bürgerliche Gewerbe sehr schwache Fortschritte machte, theils infolge der schlech¬ ten Verwaltung, die z. B. weder von Feuer-, noch Neinlichkeits- noch Gesund¬ heitspolizei eine Ahnung halte, theils weil damals erst seit dreißig Jahren ein Tribunal im Lande eristirte, welches Klagen eines Bürgerlichen gegen einen Edelmann annahm. Die meisten der sogenannten Städte waren aber in noch ungünstigerer Stellung, weil sie auf adligen Boden erbaut, von dem Grund¬ herrn fast ebenso abhängig wie die Bauern waren: ein Gesetz von I7K8, wel¬ ches den Herren die Halsgerichlsbarkeit wegen des unerträglichen damit getrie¬ benen Mißbrauchs genommen/hatte ihnen zur Entschädigung die Befugniß ge¬ geben, die Leistungen und Abgaben der Bürger willkürlich zu erhöhen. Hier gab es also keinen Rechtsschutz, keine korporative Selbstständigkeit, kein anderes Gewerbe, als einen schlaff und unergiebig betriebenen Ackerbau. Die einzige Ausnahme in der traurigen Regel bildeten die großpolnischen Bezirke, die Grenz¬ lande der norddeutschen Provinzen, also eben die Landschaften, welche Preußen in diesem Augenblicke seinem Besitze unterwarf. Hier hätte, nicht anders als fünf Jahrhunderte früher in Brandenburg und Schlesien, die deutsche Civili¬ sation ver Eroberung vorgearbeitet. Eine Menge deutscher Handwerker und Kaufleute, durch den sichern, concurrenzlosen Absatz verlockt, hatten sich in den Städten festgesetzt; in einigen gab es 1793 kaum noch einen polnischen Bewohner, beinahe fünfzehn Meilen landeinwärts erstreckte sich die Herrschaft der deutschen Sprache. Ohne daß der Staat irgendeine Unterstützung gewährte, ohne daß die Grundherren die sonst gewohnten Bedrückungen unterlassen hätten, blühte hier durch deutschen Fleiß eine stattliche Leinen- und Wollenfabrication aus. Alle Interessen wiesen natürlich auf Deutschland: das Gewerbe wünschte sich seine Absatzwege nach den Ostseehäfen; die Bürgersöhne bezogen sehr häufig die Universität in Frankfurt oder Leipzig. Hierzu kamen die religiösen Ver¬ hältnisse. Trotz aller Verfolgung hatte sich in der Nähe dieser Grenze ein zahlreicher protestantischer Adel erhalten, der zwar keinen Theil an der Re¬ gierung hatte und von dem Staate nichts als Zurücksetzung erfuhr, aber durch Ordnung und Sparsamkeit auf kleinen, selbst bewirthschafteten Gütern zu einem in Polen seltenen Wohlstande gelangte. Diese Familien, Kalkreuth, Schlich-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/258>, abgerufen am 23.07.2024.