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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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wird dargestellt. Der tragische Parallelismus, welcher zwischen der demokrati¬
schen Schreckensherrschaft in Frankreich und ihrer Politik und der despotischen
Eroberungslust Rußlands und seiner Politik hervorbricht, und der zersetzende
Einfluß dieser gleichzeitigen Activitäten aus Deutschland ist mit bewunderungs¬
würdiger Schärfe nachgewiesen. Die ganze furchtbare Zeit wird durch eine
Fülle bisher unbekannter Thatsachen und durch neue Lichter, welche auf die
letzten Motive der Handelnden fallen, aufgehellt. Seine Herrschaft über den
schwierigen Stoff verdankt der Verfasser der Benutzung -bisher wenig oder gar
nicht benutzter Materialien. Außer den bekannten neuen Quellen: Mirabeaus
Briefwechsel, die Memoiren Mallet du Pans und den sehr zahlreichen neuen
Departementalgeschichten Frankreichs wurden ihm wichtig die handschriftlichen
Documente in den Archiven zu Paris, eine reichhaltige Sammlung von Brie¬
fen und Depeschen deutscher Staatsmänner und Feldherrn, vor allem aber die
Durchforschung des niederländischen Archivs und die Depeschen des State-
paper Office in London. Von den drei Theilen des Werkes enthält der erstem
in übersichtlicher Erzählung den Ursprung der französischen Revolution, die
Entstehung der ersten Coalition gegen Frankreich, den Anfang des Nevolutions-
krieges und eine vortreffliche Darstellung des bis auf die neueste Zeit noch so
räthselhaften Feldzugs in der Champagne; der zweite Band die innern Krämpfe
Frankreichs bis zum Sieg Robespierres, das dämonische Austreten Rußlands,
die Theilung Polens und die Auflösung der Coalition. Der dritte soll den
mißlungenen Versuch der Seemächte, daS Bündniß gegen' Frankreich zu er¬
neuern, den Aufstand und die Vernichtung Polens, den Sturz der Jakobiner-
Herrschaft und Abschluß der Conventregierung in Frankreich erzählen. Wenn
aus dieser Angabe des Inhalts erhellt, paß die Darstellung deS politischen Ge¬
webes jener Zeit und die Aufdeckung der vielen sich durchkreuzenden Fäden
die Hauptaufgabe des Verfassers war, so ist doch grade die Herleitung aller
Actionen aus der Seele der Menschen, wie aus den Culturverhältnissen der
verschiedenen Staaten die nicht am wenigsten glänzende Seite des Werkes.
Unübertrefflich ist die Schilderung der Zustände Frankreichs beim Ausbruch
der Revolution, des Grundbesitzes, des Handels, der Verwaltung, ebenso wahr
die Schilderung polnischer und russischer Zustände und die Porträts der hervor¬
ragenden Persönlichkeiten, sowol die leicht skizzirten, als die, welche weitere
Ausführung erhalten haben, z. B. von Katharina II.

Aber merkwürdig; dicht neben einer großartigen Zeichnung der Per¬
sonen und socialen Verhältnisse ist in der Erzählung eine gewisse Scheu des
Verfassers vor ausgeführten Schilderungen der einzelnen Momente und Tages¬
scenen. Zuweilen vermeidet er gradezu, Farbe zu geben, als wenn die sinnlicher
eindringende Ausführung den klaren Ton des Berichts beeinträchtigen könnte.
Die bekannten Schreckenstage in Paris, der Todestag des sechzehnten Ludwig


wird dargestellt. Der tragische Parallelismus, welcher zwischen der demokrati¬
schen Schreckensherrschaft in Frankreich und ihrer Politik und der despotischen
Eroberungslust Rußlands und seiner Politik hervorbricht, und der zersetzende
Einfluß dieser gleichzeitigen Activitäten aus Deutschland ist mit bewunderungs¬
würdiger Schärfe nachgewiesen. Die ganze furchtbare Zeit wird durch eine
Fülle bisher unbekannter Thatsachen und durch neue Lichter, welche auf die
letzten Motive der Handelnden fallen, aufgehellt. Seine Herrschaft über den
schwierigen Stoff verdankt der Verfasser der Benutzung -bisher wenig oder gar
nicht benutzter Materialien. Außer den bekannten neuen Quellen: Mirabeaus
Briefwechsel, die Memoiren Mallet du Pans und den sehr zahlreichen neuen
Departementalgeschichten Frankreichs wurden ihm wichtig die handschriftlichen
Documente in den Archiven zu Paris, eine reichhaltige Sammlung von Brie¬
fen und Depeschen deutscher Staatsmänner und Feldherrn, vor allem aber die
Durchforschung des niederländischen Archivs und die Depeschen des State-
paper Office in London. Von den drei Theilen des Werkes enthält der erstem
in übersichtlicher Erzählung den Ursprung der französischen Revolution, die
Entstehung der ersten Coalition gegen Frankreich, den Anfang des Nevolutions-
krieges und eine vortreffliche Darstellung des bis auf die neueste Zeit noch so
räthselhaften Feldzugs in der Champagne; der zweite Band die innern Krämpfe
Frankreichs bis zum Sieg Robespierres, das dämonische Austreten Rußlands,
die Theilung Polens und die Auflösung der Coalition. Der dritte soll den
mißlungenen Versuch der Seemächte, daS Bündniß gegen' Frankreich zu er¬
neuern, den Aufstand und die Vernichtung Polens, den Sturz der Jakobiner-
Herrschaft und Abschluß der Conventregierung in Frankreich erzählen. Wenn
aus dieser Angabe des Inhalts erhellt, paß die Darstellung deS politischen Ge¬
webes jener Zeit und die Aufdeckung der vielen sich durchkreuzenden Fäden
die Hauptaufgabe des Verfassers war, so ist doch grade die Herleitung aller
Actionen aus der Seele der Menschen, wie aus den Culturverhältnissen der
verschiedenen Staaten die nicht am wenigsten glänzende Seite des Werkes.
Unübertrefflich ist die Schilderung der Zustände Frankreichs beim Ausbruch
der Revolution, des Grundbesitzes, des Handels, der Verwaltung, ebenso wahr
die Schilderung polnischer und russischer Zustände und die Porträts der hervor¬
ragenden Persönlichkeiten, sowol die leicht skizzirten, als die, welche weitere
Ausführung erhalten haben, z. B. von Katharina II.

Aber merkwürdig; dicht neben einer großartigen Zeichnung der Per¬
sonen und socialen Verhältnisse ist in der Erzählung eine gewisse Scheu des
Verfassers vor ausgeführten Schilderungen der einzelnen Momente und Tages¬
scenen. Zuweilen vermeidet er gradezu, Farbe zu geben, als wenn die sinnlicher
eindringende Ausführung den klaren Ton des Berichts beeinträchtigen könnte.
Die bekannten Schreckenstage in Paris, der Todestag des sechzehnten Ludwig


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[0254] wird dargestellt. Der tragische Parallelismus, welcher zwischen der demokrati¬ schen Schreckensherrschaft in Frankreich und ihrer Politik und der despotischen Eroberungslust Rußlands und seiner Politik hervorbricht, und der zersetzende Einfluß dieser gleichzeitigen Activitäten aus Deutschland ist mit bewunderungs¬ würdiger Schärfe nachgewiesen. Die ganze furchtbare Zeit wird durch eine Fülle bisher unbekannter Thatsachen und durch neue Lichter, welche auf die letzten Motive der Handelnden fallen, aufgehellt. Seine Herrschaft über den schwierigen Stoff verdankt der Verfasser der Benutzung -bisher wenig oder gar nicht benutzter Materialien. Außer den bekannten neuen Quellen: Mirabeaus Briefwechsel, die Memoiren Mallet du Pans und den sehr zahlreichen neuen Departementalgeschichten Frankreichs wurden ihm wichtig die handschriftlichen Documente in den Archiven zu Paris, eine reichhaltige Sammlung von Brie¬ fen und Depeschen deutscher Staatsmänner und Feldherrn, vor allem aber die Durchforschung des niederländischen Archivs und die Depeschen des State- paper Office in London. Von den drei Theilen des Werkes enthält der erstem in übersichtlicher Erzählung den Ursprung der französischen Revolution, die Entstehung der ersten Coalition gegen Frankreich, den Anfang des Nevolutions- krieges und eine vortreffliche Darstellung des bis auf die neueste Zeit noch so räthselhaften Feldzugs in der Champagne; der zweite Band die innern Krämpfe Frankreichs bis zum Sieg Robespierres, das dämonische Austreten Rußlands, die Theilung Polens und die Auflösung der Coalition. Der dritte soll den mißlungenen Versuch der Seemächte, daS Bündniß gegen' Frankreich zu er¬ neuern, den Aufstand und die Vernichtung Polens, den Sturz der Jakobiner- Herrschaft und Abschluß der Conventregierung in Frankreich erzählen. Wenn aus dieser Angabe des Inhalts erhellt, paß die Darstellung deS politischen Ge¬ webes jener Zeit und die Aufdeckung der vielen sich durchkreuzenden Fäden die Hauptaufgabe des Verfassers war, so ist doch grade die Herleitung aller Actionen aus der Seele der Menschen, wie aus den Culturverhältnissen der verschiedenen Staaten die nicht am wenigsten glänzende Seite des Werkes. Unübertrefflich ist die Schilderung der Zustände Frankreichs beim Ausbruch der Revolution, des Grundbesitzes, des Handels, der Verwaltung, ebenso wahr die Schilderung polnischer und russischer Zustände und die Porträts der hervor¬ ragenden Persönlichkeiten, sowol die leicht skizzirten, als die, welche weitere Ausführung erhalten haben, z. B. von Katharina II. Aber merkwürdig; dicht neben einer großartigen Zeichnung der Per¬ sonen und socialen Verhältnisse ist in der Erzählung eine gewisse Scheu des Verfassers vor ausgeführten Schilderungen der einzelnen Momente und Tages¬ scenen. Zuweilen vermeidet er gradezu, Farbe zu geben, als wenn die sinnlicher eindringende Ausführung den klaren Ton des Berichts beeinträchtigen könnte. Die bekannten Schreckenstage in Paris, der Todestag des sechzehnten Ludwig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/254>, abgerufen am 23.07.2024.