Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Deutsche Geschichtschreiber.
'Heinrich v. Sybel.

Geschichte der Revolutionszeit von 1 789 -- 1793. Z Bände I. Band
1833. A. Band 1834--35. Düsseldorf, I. Buddeus. -- "

Wenn d. Bl. die Arbeiten des deutschen Geistes nicht völlig mißversteht,
stehen wir am Beginn einer neuen, eigenthümlichen Entwicklung der deutschen
Literatur, welche in ihren Schöpfungen nicht weniger glänzend, als die des
Jahrhunderts von 1730--1830 und nicht weniger verhängnißvoll für die See¬
len ihres Volks, in Tendenz und Wirkungen von der jetzt abgeschlossenen sehr
verschieden sein wird und im Gegensatz zu ihr wol die patriotische genannt
werden darf. Als die deutsche Volksseele in der Mitte des vorigen Jahrhun¬
derts aus Schwäche und Verkümmerung wieder zu leben und zu schaffen wagte,
war der Charakter ihrer neuen Erhebung, im Großen betrachtet, ein poetischer
Enthusiasmus, kindliche Hingebung an ihre Ideale, die im Gegensatz zu den
ungenügenden Erscheinungen der wirklichen Welt erfunden wurden. An dem
Studium des schöpferischen Lebens antiker Völker erwuchs die deutsche Poesie,
die deutsche Kunst, auch die deutsche Wissenschaft. Nicht nur Schiller und
Goethe/auch die großen deutschen Philosophen und Geschichtforscher haben
dieselbe humanistische Richtung, welche das ewig.Schöne und allgemein Mensch¬
liche nicht vorzugsweise auf dem Boden des damaligen deutschen Lebens fand
und für den Schlag des eignen Herzens und das Leben der Zeitgenossen Ge¬
setze und Verständniß in einer fernen Vergangenheit zu finden strebte. Der
ernste Forschergeist der Deutschen war in dieser Zeit mit Vorliebe bemüht,
Thaten und Sinn der verschiedensten Zeiten und Völker, nicht weniger das
Leben der Natur in ihrer Größe und imponirenden Originalität, anzuerkennen;
und von dem Grundsatz Goethes und Schillers: nur die Ideale der Kunst
sind wahr, bis zu dem Satze Hegels: was wirklich ist, ist vernünftig; von dem
Stolz der Dichter bis zu der Resignation des Philosophen ist derselbe große
Grundzug im Theoretischen und Schaffen zu erkennen, welcher für alle Zeit
dieser Entwicklungsperiode charakteristisch sein wird. In dieser ganzen Zeit
hatte die Poesie das Führeramt. Die größten Namen, die theuersten Erinne-


Grcnzboten. l- ZI
Deutsche Geschichtschreiber.
'Heinrich v. Sybel.

Geschichte der Revolutionszeit von 1 789 — 1793. Z Bände I. Band
1833. A. Band 1834—35. Düsseldorf, I. Buddeus. — "

Wenn d. Bl. die Arbeiten des deutschen Geistes nicht völlig mißversteht,
stehen wir am Beginn einer neuen, eigenthümlichen Entwicklung der deutschen
Literatur, welche in ihren Schöpfungen nicht weniger glänzend, als die des
Jahrhunderts von 1730—1830 und nicht weniger verhängnißvoll für die See¬
len ihres Volks, in Tendenz und Wirkungen von der jetzt abgeschlossenen sehr
verschieden sein wird und im Gegensatz zu ihr wol die patriotische genannt
werden darf. Als die deutsche Volksseele in der Mitte des vorigen Jahrhun¬
derts aus Schwäche und Verkümmerung wieder zu leben und zu schaffen wagte,
war der Charakter ihrer neuen Erhebung, im Großen betrachtet, ein poetischer
Enthusiasmus, kindliche Hingebung an ihre Ideale, die im Gegensatz zu den
ungenügenden Erscheinungen der wirklichen Welt erfunden wurden. An dem
Studium des schöpferischen Lebens antiker Völker erwuchs die deutsche Poesie,
die deutsche Kunst, auch die deutsche Wissenschaft. Nicht nur Schiller und
Goethe/auch die großen deutschen Philosophen und Geschichtforscher haben
dieselbe humanistische Richtung, welche das ewig.Schöne und allgemein Mensch¬
liche nicht vorzugsweise auf dem Boden des damaligen deutschen Lebens fand
und für den Schlag des eignen Herzens und das Leben der Zeitgenossen Ge¬
setze und Verständniß in einer fernen Vergangenheit zu finden strebte. Der
ernste Forschergeist der Deutschen war in dieser Zeit mit Vorliebe bemüht,
Thaten und Sinn der verschiedensten Zeiten und Völker, nicht weniger das
Leben der Natur in ihrer Größe und imponirenden Originalität, anzuerkennen;
und von dem Grundsatz Goethes und Schillers: nur die Ideale der Kunst
sind wahr, bis zu dem Satze Hegels: was wirklich ist, ist vernünftig; von dem
Stolz der Dichter bis zu der Resignation des Philosophen ist derselbe große
Grundzug im Theoretischen und Schaffen zu erkennen, welcher für alle Zeit
dieser Entwicklungsperiode charakteristisch sein wird. In dieser ganzen Zeit
hatte die Poesie das Führeramt. Die größten Namen, die theuersten Erinne-


Grcnzboten. l- ZI
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0249" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/101242"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Deutsche Geschichtschreiber.<lb/><note type="byline"> 'Heinrich v. Sybel.</note></head><lb/>
          <p xml:id="ID_760"> Geschichte der Revolutionszeit von 1 789 &#x2014; 1793.  Z Bände I. Band<lb/>
1833. A. Band 1834&#x2014;35. Düsseldorf, I. Buddeus. &#x2014; "</p><lb/>
          <p xml:id="ID_761" next="#ID_762"> Wenn d. Bl. die Arbeiten des deutschen Geistes nicht völlig mißversteht,<lb/>
stehen wir am Beginn einer neuen, eigenthümlichen Entwicklung der deutschen<lb/>
Literatur, welche in ihren Schöpfungen nicht weniger glänzend, als die des<lb/>
Jahrhunderts von 1730&#x2014;1830 und nicht weniger verhängnißvoll für die See¬<lb/>
len ihres Volks, in Tendenz und Wirkungen von der jetzt abgeschlossenen sehr<lb/>
verschieden sein wird und im Gegensatz zu ihr wol die patriotische genannt<lb/>
werden darf. Als die deutsche Volksseele in der Mitte des vorigen Jahrhun¬<lb/>
derts aus Schwäche und Verkümmerung wieder zu leben und zu schaffen wagte,<lb/>
war der Charakter ihrer neuen Erhebung, im Großen betrachtet, ein poetischer<lb/>
Enthusiasmus, kindliche Hingebung an ihre Ideale, die im Gegensatz zu den<lb/>
ungenügenden Erscheinungen der wirklichen Welt erfunden wurden. An dem<lb/>
Studium des schöpferischen Lebens antiker Völker erwuchs die deutsche Poesie,<lb/>
die deutsche Kunst, auch die deutsche Wissenschaft. Nicht nur Schiller und<lb/>
Goethe/auch die großen deutschen Philosophen und Geschichtforscher haben<lb/>
dieselbe humanistische Richtung, welche das ewig.Schöne und allgemein Mensch¬<lb/>
liche nicht vorzugsweise auf dem Boden des damaligen deutschen Lebens fand<lb/>
und für den Schlag des eignen Herzens und das Leben der Zeitgenossen Ge¬<lb/>
setze und Verständniß in einer fernen Vergangenheit zu finden strebte. Der<lb/>
ernste Forschergeist der Deutschen war in dieser Zeit mit Vorliebe bemüht,<lb/>
Thaten und Sinn der verschiedensten Zeiten und Völker, nicht weniger das<lb/>
Leben der Natur in ihrer Größe und imponirenden Originalität, anzuerkennen;<lb/>
und von dem Grundsatz Goethes und Schillers: nur die Ideale der Kunst<lb/>
sind wahr, bis zu dem Satze Hegels: was wirklich ist, ist vernünftig; von dem<lb/>
Stolz der Dichter bis zu der Resignation des Philosophen ist derselbe große<lb/>
Grundzug im Theoretischen und Schaffen zu erkennen, welcher für alle Zeit<lb/>
dieser Entwicklungsperiode charakteristisch sein wird. In dieser ganzen Zeit<lb/>
hatte die Poesie das Führeramt. Die größten Namen, die theuersten Erinne-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grcnzboten. l- ZI</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0249] Deutsche Geschichtschreiber. 'Heinrich v. Sybel. Geschichte der Revolutionszeit von 1 789 — 1793. Z Bände I. Band 1833. A. Band 1834—35. Düsseldorf, I. Buddeus. — " Wenn d. Bl. die Arbeiten des deutschen Geistes nicht völlig mißversteht, stehen wir am Beginn einer neuen, eigenthümlichen Entwicklung der deutschen Literatur, welche in ihren Schöpfungen nicht weniger glänzend, als die des Jahrhunderts von 1730—1830 und nicht weniger verhängnißvoll für die See¬ len ihres Volks, in Tendenz und Wirkungen von der jetzt abgeschlossenen sehr verschieden sein wird und im Gegensatz zu ihr wol die patriotische genannt werden darf. Als die deutsche Volksseele in der Mitte des vorigen Jahrhun¬ derts aus Schwäche und Verkümmerung wieder zu leben und zu schaffen wagte, war der Charakter ihrer neuen Erhebung, im Großen betrachtet, ein poetischer Enthusiasmus, kindliche Hingebung an ihre Ideale, die im Gegensatz zu den ungenügenden Erscheinungen der wirklichen Welt erfunden wurden. An dem Studium des schöpferischen Lebens antiker Völker erwuchs die deutsche Poesie, die deutsche Kunst, auch die deutsche Wissenschaft. Nicht nur Schiller und Goethe/auch die großen deutschen Philosophen und Geschichtforscher haben dieselbe humanistische Richtung, welche das ewig.Schöne und allgemein Mensch¬ liche nicht vorzugsweise auf dem Boden des damaligen deutschen Lebens fand und für den Schlag des eignen Herzens und das Leben der Zeitgenossen Ge¬ setze und Verständniß in einer fernen Vergangenheit zu finden strebte. Der ernste Forschergeist der Deutschen war in dieser Zeit mit Vorliebe bemüht, Thaten und Sinn der verschiedensten Zeiten und Völker, nicht weniger das Leben der Natur in ihrer Größe und imponirenden Originalität, anzuerkennen; und von dem Grundsatz Goethes und Schillers: nur die Ideale der Kunst sind wahr, bis zu dem Satze Hegels: was wirklich ist, ist vernünftig; von dem Stolz der Dichter bis zu der Resignation des Philosophen ist derselbe große Grundzug im Theoretischen und Schaffen zu erkennen, welcher für alle Zeit dieser Entwicklungsperiode charakteristisch sein wird. In dieser ganzen Zeit hatte die Poesie das Führeramt. Die größten Namen, die theuersten Erinne- Grcnzboten. l- ZI

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/249
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/249>, abgerufen am 23.07.2024.