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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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schen Luft, daß die Tagesliteratur nicht vermeiden kann, von den Gewalten
des Krieges zu sprechen. Und so möge man hier eine statistische Zusammen¬
stellung der militärischen Kraft der europäischen Großmächte gerechtfertigt finden,
welche vielleicht auch solchen, denen die einzelnen Zahlen ermüdend sind, inter¬
essante Resultate geben wird. Sie sind angereiht an eine Aufzählung der Heer¬
kraft Oestreichs, als des Staates, der in den letzten fünf Jahren in seiner
Militärorganisation die größte Veränderung erfahren hat.

Wenn eS einen Theil der europäischen Staatsverwaltung gibt, dem die
letzten Jahrzehnte zu gut gekommen sind, so ist es das Heerwesen. Seit den
Freiheitskriegen war das Heer die Lieblingsbeschäftigung der meisten Regenten.
In Frankreich haben die Bourbons wie die Orleans unaufhörlich daran ge¬
bessert und ihm in Algier eine großartige Schule gegeben, in Preußen, wel¬
ches vorzugsweise für einen Militärstaat galt, geschah in dem langen Frieden
wenigstens vieles. Oestreich begann seine Reform am spätesten, aber nach furcht¬
baren Erfahrungen mit der größten Energie. Am weitesten zurück blieb Eng¬
land Irotz dem vortrefflichen Material, am wenigsten glücklich in seinen gro߬
artigen Bildungen war Rußland. Aber die drei großen Armeen in der Mitte
Europas, die von Frankreich, Oestreich, Preußen, haben wie im Wetteifer einen
so hohen Grad von Tüchtigkeit gewonnen, daß es dem Militär, der jede ein¬
zelne näher kennen gelernt hat, sehr schwer wird, einer von ihnen vor den
andern den Preis zu ertheilen. Denn so wichtig die Besonderheiten sind,
welche durch die natürliche Anlage der Völker, durch Tradition, einzelne Er¬
findungen und originelle Institutionen in diesen drei Herren fortdauern, so
werden sie doch wieder bis zu einem gewissen Grade ausgeglichen durch die
gemeinsame Fortbildung der Kriegswifsenschaft und das viele Gute, das ein
Heer vor dem andern angenommen hat. Zunächst zwar hat das französische
und in geringerem Grade das östreichische Heer vor dem preußischen die Kriegs¬
erfahrung selbst voraus; nicht nur einen Kern im Feuer erprobter Kämpfer,
sondern auch in der Ausbildung der Truppen und den Hilfseinrichtungen,
z. B. Ambulancendienst, Intendanz und Fuhrwesen eine wehr praktische Ein¬
richtung. Ja wenn man die drei Armeen im Großen am Tage einer allgemeinen
Kriegserklärung nach ihrer Feldtüchtigkeit schätzen müßte, so wäre kein Zweifel,
daß die Franzosen die erste Stelle, die Oestreicher die zweite und die Preußen
erst die dritte einnehmen würden; aber auch dieser Umstand wird vielleicht dadurch
aufgewogen, daß die beiden ersten Armeen bei mehrjährigen großen Campag¬
nen weniger Aussicht haben, ihr Heer in so kriegerischer Tüchtigkeit zu erhalten,
als Preußen und zwar wieder Oestreich weniger als Frankreich; während
Preußen bei seiner Heerverfassung die ganze Kraft der Nation für militärische
Zwecke am vollständigsten und großartigsten in allmälige Activität zu setzen
vermag. Unübertroffen, und der Ruhm der französischen Armee ist die Be-


schen Luft, daß die Tagesliteratur nicht vermeiden kann, von den Gewalten
des Krieges zu sprechen. Und so möge man hier eine statistische Zusammen¬
stellung der militärischen Kraft der europäischen Großmächte gerechtfertigt finden,
welche vielleicht auch solchen, denen die einzelnen Zahlen ermüdend sind, inter¬
essante Resultate geben wird. Sie sind angereiht an eine Aufzählung der Heer¬
kraft Oestreichs, als des Staates, der in den letzten fünf Jahren in seiner
Militärorganisation die größte Veränderung erfahren hat.

Wenn eS einen Theil der europäischen Staatsverwaltung gibt, dem die
letzten Jahrzehnte zu gut gekommen sind, so ist es das Heerwesen. Seit den
Freiheitskriegen war das Heer die Lieblingsbeschäftigung der meisten Regenten.
In Frankreich haben die Bourbons wie die Orleans unaufhörlich daran ge¬
bessert und ihm in Algier eine großartige Schule gegeben, in Preußen, wel¬
ches vorzugsweise für einen Militärstaat galt, geschah in dem langen Frieden
wenigstens vieles. Oestreich begann seine Reform am spätesten, aber nach furcht¬
baren Erfahrungen mit der größten Energie. Am weitesten zurück blieb Eng¬
land Irotz dem vortrefflichen Material, am wenigsten glücklich in seinen gro߬
artigen Bildungen war Rußland. Aber die drei großen Armeen in der Mitte
Europas, die von Frankreich, Oestreich, Preußen, haben wie im Wetteifer einen
so hohen Grad von Tüchtigkeit gewonnen, daß es dem Militär, der jede ein¬
zelne näher kennen gelernt hat, sehr schwer wird, einer von ihnen vor den
andern den Preis zu ertheilen. Denn so wichtig die Besonderheiten sind,
welche durch die natürliche Anlage der Völker, durch Tradition, einzelne Er¬
findungen und originelle Institutionen in diesen drei Herren fortdauern, so
werden sie doch wieder bis zu einem gewissen Grade ausgeglichen durch die
gemeinsame Fortbildung der Kriegswifsenschaft und das viele Gute, das ein
Heer vor dem andern angenommen hat. Zunächst zwar hat das französische
und in geringerem Grade das östreichische Heer vor dem preußischen die Kriegs¬
erfahrung selbst voraus; nicht nur einen Kern im Feuer erprobter Kämpfer,
sondern auch in der Ausbildung der Truppen und den Hilfseinrichtungen,
z. B. Ambulancendienst, Intendanz und Fuhrwesen eine wehr praktische Ein¬
richtung. Ja wenn man die drei Armeen im Großen am Tage einer allgemeinen
Kriegserklärung nach ihrer Feldtüchtigkeit schätzen müßte, so wäre kein Zweifel,
daß die Franzosen die erste Stelle, die Oestreicher die zweite und die Preußen
erst die dritte einnehmen würden; aber auch dieser Umstand wird vielleicht dadurch
aufgewogen, daß die beiden ersten Armeen bei mehrjährigen großen Campag¬
nen weniger Aussicht haben, ihr Heer in so kriegerischer Tüchtigkeit zu erhalten,
als Preußen und zwar wieder Oestreich weniger als Frankreich; während
Preußen bei seiner Heerverfassung die ganze Kraft der Nation für militärische
Zwecke am vollständigsten und großartigsten in allmälige Activität zu setzen
vermag. Unübertroffen, und der Ruhm der französischen Armee ist die Be-


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[0228] schen Luft, daß die Tagesliteratur nicht vermeiden kann, von den Gewalten des Krieges zu sprechen. Und so möge man hier eine statistische Zusammen¬ stellung der militärischen Kraft der europäischen Großmächte gerechtfertigt finden, welche vielleicht auch solchen, denen die einzelnen Zahlen ermüdend sind, inter¬ essante Resultate geben wird. Sie sind angereiht an eine Aufzählung der Heer¬ kraft Oestreichs, als des Staates, der in den letzten fünf Jahren in seiner Militärorganisation die größte Veränderung erfahren hat. Wenn eS einen Theil der europäischen Staatsverwaltung gibt, dem die letzten Jahrzehnte zu gut gekommen sind, so ist es das Heerwesen. Seit den Freiheitskriegen war das Heer die Lieblingsbeschäftigung der meisten Regenten. In Frankreich haben die Bourbons wie die Orleans unaufhörlich daran ge¬ bessert und ihm in Algier eine großartige Schule gegeben, in Preußen, wel¬ ches vorzugsweise für einen Militärstaat galt, geschah in dem langen Frieden wenigstens vieles. Oestreich begann seine Reform am spätesten, aber nach furcht¬ baren Erfahrungen mit der größten Energie. Am weitesten zurück blieb Eng¬ land Irotz dem vortrefflichen Material, am wenigsten glücklich in seinen gro߬ artigen Bildungen war Rußland. Aber die drei großen Armeen in der Mitte Europas, die von Frankreich, Oestreich, Preußen, haben wie im Wetteifer einen so hohen Grad von Tüchtigkeit gewonnen, daß es dem Militär, der jede ein¬ zelne näher kennen gelernt hat, sehr schwer wird, einer von ihnen vor den andern den Preis zu ertheilen. Denn so wichtig die Besonderheiten sind, welche durch die natürliche Anlage der Völker, durch Tradition, einzelne Er¬ findungen und originelle Institutionen in diesen drei Herren fortdauern, so werden sie doch wieder bis zu einem gewissen Grade ausgeglichen durch die gemeinsame Fortbildung der Kriegswifsenschaft und das viele Gute, das ein Heer vor dem andern angenommen hat. Zunächst zwar hat das französische und in geringerem Grade das östreichische Heer vor dem preußischen die Kriegs¬ erfahrung selbst voraus; nicht nur einen Kern im Feuer erprobter Kämpfer, sondern auch in der Ausbildung der Truppen und den Hilfseinrichtungen, z. B. Ambulancendienst, Intendanz und Fuhrwesen eine wehr praktische Ein¬ richtung. Ja wenn man die drei Armeen im Großen am Tage einer allgemeinen Kriegserklärung nach ihrer Feldtüchtigkeit schätzen müßte, so wäre kein Zweifel, daß die Franzosen die erste Stelle, die Oestreicher die zweite und die Preußen erst die dritte einnehmen würden; aber auch dieser Umstand wird vielleicht dadurch aufgewogen, daß die beiden ersten Armeen bei mehrjährigen großen Campag¬ nen weniger Aussicht haben, ihr Heer in so kriegerischer Tüchtigkeit zu erhalten, als Preußen und zwar wieder Oestreich weniger als Frankreich; während Preußen bei seiner Heerverfassung die ganze Kraft der Nation für militärische Zwecke am vollständigsten und großartigsten in allmälige Activität zu setzen vermag. Unübertroffen, und der Ruhm der französischen Armee ist die Be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/228>, abgerufen am 23.07.2024.