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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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zu heißen, wenn nicht die braven Kaiserlichen, Preußen, Sachsen, Hessen und
Hannoveraner die Ehre dieses Namens zu wahren wüßten, "Wenn ich also von
der deutschen Reichsarmee rede," seht er erläuternd hinzu "so verstehe ich dar¬
unter das Kreisvolk der Deutschen d, i. jene von hundertundneunzig Stän¬
den und Ständchen des h. römischen Reichs zusammengerafften und zusammen-
gekneteten Hansen gerüsteter und als Soldaten gekleideter Menschenkinder des
schwäbischen, fränkischen, beider rheinischen, des westphälischen und andrer
Kreise" -- zu deren Organisation wir nun übergehen.

Die Friedensbereitschaft dieser Reichstruppen war betrübend und lächerlich.
Es waren immer nur sehr wenige Soldaten, welche die Stände und Ständ¬
chen in Friedenszeiten unterhielten, damit doch jemand an den Stadtthoren,
vor den Schlössern, Zimmern, Gärten u. f. w. Schildwand stände oder säße.
So hatte z> B. der Graf"von Grehweiler 14, der Graf von Grumbach Is,
der Fürst von Leiningen 2S, der Gr'af von Würtemberg 8, der Fürst von Kye-
burg 16, die Reichsstadt Worms 34 Maun in Friedenszeiten. Ein Feldwebel
oder gar nur ein Corpora! war sür gewöhnlich der Commandant des ganzen
militärischen Corps, alle Frühjahr zur sogenannten Crercirzeit rückte es in
den fürstlichen Garten oder auf eine Wiese aus, um einige Handgriffe zu
üben und blinde Schüsse abzufeuern, dann ruhten die Waffen wieder. Lehr¬
meister und Soldaten waren in ihrem Erercitium gleich unwissend, der Ge¬
brauch des Stockes, damals in allen Armeen als ein unentbehrliches Zucht-
und Bildungsmittel gehalten, unbekannt, weil die geprügelten Helden gleich
vom Erercirplatz aus davongelaufen sein würden.

Etliche Stände hatten mehre Truppen, einzelne ganze Regimenter. Da¬
hin gehörten vorzüglich die Kurfürsten von Pfalzbaiern, Mainz, Trier und
Köln u. a. Doch waren auch diese Truppen keineswegs in gutem Stand
oder von soldatischem Geiste erfüllt. Die Ofsizierstellen vom General bis zum
Fähndrich wurden aus Gnade und Gunst vergeben, auch wol um baares Geld
verkauft und auf militärisches Verdienst, auf Kenntnisse und Pünktlichkeit im
Dienst gar wenig geachtet, denn man lebte in träger Unwissenheit. --

Die Mistachtung, in welcher diese Friedenshelden standen, war ebenso
kläglich, als ihre Anzahl gering. "In den Reichsstädten und anderwärts"
sagt unser Gewährsmann, "wird der Soldat grade so viel geachtet, als ein
Scherenschleifer oder ein Schornsteinfeger. Sitzt er in einem Wirthshause, so
muß er ausstehen und weggehen, sobald ein andrer hereinkommt und seinen
Platz einnehmen will. Ueberdies gibt es in den Reichsstädten gewisse Wirths¬
häuser, wo Soldaten nur hin dürfen, selbst Offizieren gestattet man es nicht,
gewisse öffentliche Gesellschaften zu besuchen, wohin doch jeder Kaufmann, jeder
Bürger, ja jeder Ladendiener und jeder privilegirte Bartkratzer hingehen darf.

In großen Handelsstädten ist die Verachtung des Militärstandcs noch


zu heißen, wenn nicht die braven Kaiserlichen, Preußen, Sachsen, Hessen und
Hannoveraner die Ehre dieses Namens zu wahren wüßten, „Wenn ich also von
der deutschen Reichsarmee rede," seht er erläuternd hinzu „so verstehe ich dar¬
unter das Kreisvolk der Deutschen d, i. jene von hundertundneunzig Stän¬
den und Ständchen des h. römischen Reichs zusammengerafften und zusammen-
gekneteten Hansen gerüsteter und als Soldaten gekleideter Menschenkinder des
schwäbischen, fränkischen, beider rheinischen, des westphälischen und andrer
Kreise" — zu deren Organisation wir nun übergehen.

Die Friedensbereitschaft dieser Reichstruppen war betrübend und lächerlich.
Es waren immer nur sehr wenige Soldaten, welche die Stände und Ständ¬
chen in Friedenszeiten unterhielten, damit doch jemand an den Stadtthoren,
vor den Schlössern, Zimmern, Gärten u. f. w. Schildwand stände oder säße.
So hatte z> B. der Graf»von Grehweiler 14, der Graf von Grumbach Is,
der Fürst von Leiningen 2S, der Gr'af von Würtemberg 8, der Fürst von Kye-
burg 16, die Reichsstadt Worms 34 Maun in Friedenszeiten. Ein Feldwebel
oder gar nur ein Corpora! war sür gewöhnlich der Commandant des ganzen
militärischen Corps, alle Frühjahr zur sogenannten Crercirzeit rückte es in
den fürstlichen Garten oder auf eine Wiese aus, um einige Handgriffe zu
üben und blinde Schüsse abzufeuern, dann ruhten die Waffen wieder. Lehr¬
meister und Soldaten waren in ihrem Erercitium gleich unwissend, der Ge¬
brauch des Stockes, damals in allen Armeen als ein unentbehrliches Zucht-
und Bildungsmittel gehalten, unbekannt, weil die geprügelten Helden gleich
vom Erercirplatz aus davongelaufen sein würden.

Etliche Stände hatten mehre Truppen, einzelne ganze Regimenter. Da¬
hin gehörten vorzüglich die Kurfürsten von Pfalzbaiern, Mainz, Trier und
Köln u. a. Doch waren auch diese Truppen keineswegs in gutem Stand
oder von soldatischem Geiste erfüllt. Die Ofsizierstellen vom General bis zum
Fähndrich wurden aus Gnade und Gunst vergeben, auch wol um baares Geld
verkauft und auf militärisches Verdienst, auf Kenntnisse und Pünktlichkeit im
Dienst gar wenig geachtet, denn man lebte in träger Unwissenheit. —

Die Mistachtung, in welcher diese Friedenshelden standen, war ebenso
kläglich, als ihre Anzahl gering. „In den Reichsstädten und anderwärts"
sagt unser Gewährsmann, „wird der Soldat grade so viel geachtet, als ein
Scherenschleifer oder ein Schornsteinfeger. Sitzt er in einem Wirthshause, so
muß er ausstehen und weggehen, sobald ein andrer hereinkommt und seinen
Platz einnehmen will. Ueberdies gibt es in den Reichsstädten gewisse Wirths¬
häuser, wo Soldaten nur hin dürfen, selbst Offizieren gestattet man es nicht,
gewisse öffentliche Gesellschaften zu besuchen, wohin doch jeder Kaufmann, jeder
Bürger, ja jeder Ladendiener und jeder privilegirte Bartkratzer hingehen darf.

In großen Handelsstädten ist die Verachtung des Militärstandcs noch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/220>, abgerufen am 23.07.2024.