Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

ranzen, daß der ganze Platz voll zerbrochener Pomeranzen lag. Im Fastnachts-
dicnstag vor der Aschermittwoch zogen die Juristen Doctores in Gemeinschaft
herum in einer Mummerei.

Eines Tages ward ich gebeten von unserm Nachbar einem Edelmann einer
Demoiselle zu liofiren, was man Haubade*) nennt, da kamen wir um Mitternacht
und schlug man zuerst die Trommeln, um die Nachbarn in der Gasse aufzu¬
wecken, daraus die Trompeten, auf diese die Hautbois (Schalmeien), darnach
Qucrpfeiffen, auf diese die Violen, zuletzt drei Lauten; es währte wol dritt¬
halb Stunden. Darnach führte man uns ins Pastetenhaus, wo wir köstlich
in Eile tractirt wurden, und Muskat und Hippokms tranken und so die ganze
Nacht verging.

Mein Vater schickte mir zwei schöne Felle, grün gefärbt, daraus machte
ich ein Kleid mit grüner 'Seide durchzogen. Da prangte ich mit und ver¬
wunderten sich die Gentilhommes, wenn ichs bei den Tänzen an hatte, denn
damals waren auch noch keine ledernen Hosen bei uns im Brauch. Ich habe
auch mit meinem hinkenden Schuhmacher, den wir Vulkanus nannten, ab¬
gemacht, er solle mir das ganze Jahr alle Sonntag ein neues Paar Schuhe
bringen und ich soll für das ganze Jahr ihm nur drei Franken zahlen.

Einst kamen zwei baseler Guardiknechte wohlgeputzt mit ihren zerhauenem
Kleidern, Wehren und Hellebarden aus des Königs von Navarra Garde,
wollten heimziehen. Wir zogen mit ihnen in der Stadt herum, und hielten sie
als Gäste. Sie waren früher zu Basel der Studenten Feind gewesen und
hatten sich des Nachts zuweilen mit ihnen geschlagen. Da ihnen aber so viel
Gutes von Studenten geschah, versprachen sie, wenn sie heimkamen, nimmer¬
mehr gegen die Studenten zu sein, sondern alle Zeit zu ihnen zu halten. Wir
gaben ihnen das Geleit bis an die Brücke Kastelnau, dort letzte man sich mit
einem Trunk und zum Wahrzeichen, daß sie forthin nicht mehr wider die Stu¬
denten sein wollten, taufte man sie mit einem Glase Wein, das über dem Kopf
hinabgeschüttet wurde.

Ich hatte allezeit einen Trieb in mir, alles was einen Mcdico von Nöthen,
zu wissen. -- Solcher Trieb machte, daß ich neben stetigem Studiren und
Lection hören mich auch sehr übte, auf die Präparation von allerlei Arzeneien
in der Apothecke aufzumerken, worin mein Herr sehr thätig war. Das ist mir
später sehr wohl bekommen. Und außer Einsammlung vieler Kräuter, die ich
in Papier zierlich einlegte, begehrte ich sehr mich sonderlich in der Anatomie zu
üben. Deshalb suchte ich allerlei Gelegenheit, auch wo man ein mal heimlich
ein Corpus ausschnitt, dabei zu sein, obgleich mir anfangs solches sehr abscheulich
war. Ich begab mich auch aus Begier darin Fortschritte zu machen und



*) Spanisch "IbaäÄ, Kalbsäa, Morgenmiisik.

ranzen, daß der ganze Platz voll zerbrochener Pomeranzen lag. Im Fastnachts-
dicnstag vor der Aschermittwoch zogen die Juristen Doctores in Gemeinschaft
herum in einer Mummerei.

Eines Tages ward ich gebeten von unserm Nachbar einem Edelmann einer
Demoiselle zu liofiren, was man Haubade*) nennt, da kamen wir um Mitternacht
und schlug man zuerst die Trommeln, um die Nachbarn in der Gasse aufzu¬
wecken, daraus die Trompeten, auf diese die Hautbois (Schalmeien), darnach
Qucrpfeiffen, auf diese die Violen, zuletzt drei Lauten; es währte wol dritt¬
halb Stunden. Darnach führte man uns ins Pastetenhaus, wo wir köstlich
in Eile tractirt wurden, und Muskat und Hippokms tranken und so die ganze
Nacht verging.

Mein Vater schickte mir zwei schöne Felle, grün gefärbt, daraus machte
ich ein Kleid mit grüner 'Seide durchzogen. Da prangte ich mit und ver¬
wunderten sich die Gentilhommes, wenn ichs bei den Tänzen an hatte, denn
damals waren auch noch keine ledernen Hosen bei uns im Brauch. Ich habe
auch mit meinem hinkenden Schuhmacher, den wir Vulkanus nannten, ab¬
gemacht, er solle mir das ganze Jahr alle Sonntag ein neues Paar Schuhe
bringen und ich soll für das ganze Jahr ihm nur drei Franken zahlen.

Einst kamen zwei baseler Guardiknechte wohlgeputzt mit ihren zerhauenem
Kleidern, Wehren und Hellebarden aus des Königs von Navarra Garde,
wollten heimziehen. Wir zogen mit ihnen in der Stadt herum, und hielten sie
als Gäste. Sie waren früher zu Basel der Studenten Feind gewesen und
hatten sich des Nachts zuweilen mit ihnen geschlagen. Da ihnen aber so viel
Gutes von Studenten geschah, versprachen sie, wenn sie heimkamen, nimmer¬
mehr gegen die Studenten zu sein, sondern alle Zeit zu ihnen zu halten. Wir
gaben ihnen das Geleit bis an die Brücke Kastelnau, dort letzte man sich mit
einem Trunk und zum Wahrzeichen, daß sie forthin nicht mehr wider die Stu¬
denten sein wollten, taufte man sie mit einem Glase Wein, das über dem Kopf
hinabgeschüttet wurde.

Ich hatte allezeit einen Trieb in mir, alles was einen Mcdico von Nöthen,
zu wissen. — Solcher Trieb machte, daß ich neben stetigem Studiren und
Lection hören mich auch sehr übte, auf die Präparation von allerlei Arzeneien
in der Apothecke aufzumerken, worin mein Herr sehr thätig war. Das ist mir
später sehr wohl bekommen. Und außer Einsammlung vieler Kräuter, die ich
in Papier zierlich einlegte, begehrte ich sehr mich sonderlich in der Anatomie zu
üben. Deshalb suchte ich allerlei Gelegenheit, auch wo man ein mal heimlich
ein Corpus ausschnitt, dabei zu sein, obgleich mir anfangs solches sehr abscheulich
war. Ich begab mich auch aus Begier darin Fortschritte zu machen und



*) Spanisch »IbaäÄ, Kalbsäa, Morgenmiisik.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0214" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/101207"/>
            <p xml:id="ID_626" prev="#ID_625"> ranzen, daß der ganze Platz voll zerbrochener Pomeranzen lag. Im Fastnachts-<lb/>
dicnstag vor der Aschermittwoch zogen die Juristen Doctores in Gemeinschaft<lb/>
herum in einer Mummerei.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_627"> Eines Tages ward ich gebeten von unserm Nachbar einem Edelmann einer<lb/>
Demoiselle zu liofiren, was man Haubade*) nennt, da kamen wir um Mitternacht<lb/>
und schlug man zuerst die Trommeln, um die Nachbarn in der Gasse aufzu¬<lb/>
wecken, daraus die Trompeten, auf diese die Hautbois (Schalmeien), darnach<lb/>
Qucrpfeiffen, auf diese die Violen, zuletzt drei Lauten; es währte wol dritt¬<lb/>
halb Stunden. Darnach führte man uns ins Pastetenhaus, wo wir köstlich<lb/>
in Eile tractirt wurden, und Muskat und Hippokms tranken und so die ganze<lb/>
Nacht verging.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_628"> Mein Vater schickte mir zwei schöne Felle, grün gefärbt, daraus machte<lb/>
ich ein Kleid mit grüner 'Seide durchzogen. Da prangte ich mit und ver¬<lb/>
wunderten sich die Gentilhommes, wenn ichs bei den Tänzen an hatte, denn<lb/>
damals waren auch noch keine ledernen Hosen bei uns im Brauch. Ich habe<lb/>
auch mit meinem hinkenden Schuhmacher, den wir Vulkanus nannten, ab¬<lb/>
gemacht, er solle mir das ganze Jahr alle Sonntag ein neues Paar Schuhe<lb/>
bringen und ich soll für das ganze Jahr ihm nur drei Franken zahlen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_629"> Einst kamen zwei baseler Guardiknechte wohlgeputzt mit ihren zerhauenem<lb/>
Kleidern, Wehren und Hellebarden aus des Königs von Navarra Garde,<lb/>
wollten heimziehen. Wir zogen mit ihnen in der Stadt herum, und hielten sie<lb/>
als Gäste. Sie waren früher zu Basel der Studenten Feind gewesen und<lb/>
hatten sich des Nachts zuweilen mit ihnen geschlagen. Da ihnen aber so viel<lb/>
Gutes von Studenten geschah, versprachen sie, wenn sie heimkamen, nimmer¬<lb/>
mehr gegen die Studenten zu sein, sondern alle Zeit zu ihnen zu halten. Wir<lb/>
gaben ihnen das Geleit bis an die Brücke Kastelnau, dort letzte man sich mit<lb/>
einem Trunk und zum Wahrzeichen, daß sie forthin nicht mehr wider die Stu¬<lb/>
denten sein wollten, taufte man sie mit einem Glase Wein, das über dem Kopf<lb/>
hinabgeschüttet wurde.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_630" next="#ID_631"> Ich hatte allezeit einen Trieb in mir, alles was einen Mcdico von Nöthen,<lb/>
zu wissen. &#x2014; Solcher Trieb machte, daß ich neben stetigem Studiren und<lb/>
Lection hören mich auch sehr übte, auf die Präparation von allerlei Arzeneien<lb/>
in der Apothecke aufzumerken, worin mein Herr sehr thätig war. Das ist mir<lb/>
später sehr wohl bekommen. Und außer Einsammlung vieler Kräuter, die ich<lb/>
in Papier zierlich einlegte, begehrte ich sehr mich sonderlich in der Anatomie zu<lb/>
üben. Deshalb suchte ich allerlei Gelegenheit, auch wo man ein mal heimlich<lb/>
ein Corpus ausschnitt, dabei zu sein, obgleich mir anfangs solches sehr abscheulich<lb/>
war.  Ich begab mich auch aus Begier darin Fortschritte zu machen und</p><lb/>
            <note xml:id="FID_24" place="foot"> *) Spanisch »IbaäÄ, Kalbsäa, Morgenmiisik.</note><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0214] ranzen, daß der ganze Platz voll zerbrochener Pomeranzen lag. Im Fastnachts- dicnstag vor der Aschermittwoch zogen die Juristen Doctores in Gemeinschaft herum in einer Mummerei. Eines Tages ward ich gebeten von unserm Nachbar einem Edelmann einer Demoiselle zu liofiren, was man Haubade*) nennt, da kamen wir um Mitternacht und schlug man zuerst die Trommeln, um die Nachbarn in der Gasse aufzu¬ wecken, daraus die Trompeten, auf diese die Hautbois (Schalmeien), darnach Qucrpfeiffen, auf diese die Violen, zuletzt drei Lauten; es währte wol dritt¬ halb Stunden. Darnach führte man uns ins Pastetenhaus, wo wir köstlich in Eile tractirt wurden, und Muskat und Hippokms tranken und so die ganze Nacht verging. Mein Vater schickte mir zwei schöne Felle, grün gefärbt, daraus machte ich ein Kleid mit grüner 'Seide durchzogen. Da prangte ich mit und ver¬ wunderten sich die Gentilhommes, wenn ichs bei den Tänzen an hatte, denn damals waren auch noch keine ledernen Hosen bei uns im Brauch. Ich habe auch mit meinem hinkenden Schuhmacher, den wir Vulkanus nannten, ab¬ gemacht, er solle mir das ganze Jahr alle Sonntag ein neues Paar Schuhe bringen und ich soll für das ganze Jahr ihm nur drei Franken zahlen. Einst kamen zwei baseler Guardiknechte wohlgeputzt mit ihren zerhauenem Kleidern, Wehren und Hellebarden aus des Königs von Navarra Garde, wollten heimziehen. Wir zogen mit ihnen in der Stadt herum, und hielten sie als Gäste. Sie waren früher zu Basel der Studenten Feind gewesen und hatten sich des Nachts zuweilen mit ihnen geschlagen. Da ihnen aber so viel Gutes von Studenten geschah, versprachen sie, wenn sie heimkamen, nimmer¬ mehr gegen die Studenten zu sein, sondern alle Zeit zu ihnen zu halten. Wir gaben ihnen das Geleit bis an die Brücke Kastelnau, dort letzte man sich mit einem Trunk und zum Wahrzeichen, daß sie forthin nicht mehr wider die Stu¬ denten sein wollten, taufte man sie mit einem Glase Wein, das über dem Kopf hinabgeschüttet wurde. Ich hatte allezeit einen Trieb in mir, alles was einen Mcdico von Nöthen, zu wissen. — Solcher Trieb machte, daß ich neben stetigem Studiren und Lection hören mich auch sehr übte, auf die Präparation von allerlei Arzeneien in der Apothecke aufzumerken, worin mein Herr sehr thätig war. Das ist mir später sehr wohl bekommen. Und außer Einsammlung vieler Kräuter, die ich in Papier zierlich einlegte, begehrte ich sehr mich sonderlich in der Anatomie zu üben. Deshalb suchte ich allerlei Gelegenheit, auch wo man ein mal heimlich ein Corpus ausschnitt, dabei zu sein, obgleich mir anfangs solches sehr abscheulich war. Ich begab mich auch aus Begier darin Fortschritte zu machen und *) Spanisch »IbaäÄ, Kalbsäa, Morgenmiisik.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/214
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/214>, abgerufen am 24.07.2024.