Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.dire, und aus beiden Gründen ist es nöthig, daß die ernste Theorie ein Wort Das Werk von Lübke, welches wir an die Spitze gestellt haben, erfüllt In der Einleitung adoptirt nämlich der Verfasser die Definition Schnaases, dire, und aus beiden Gründen ist es nöthig, daß die ernste Theorie ein Wort Das Werk von Lübke, welches wir an die Spitze gestellt haben, erfüllt In der Einleitung adoptirt nämlich der Verfasser die Definition Schnaases, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0101" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/101094"/> <p xml:id="ID_277" prev="#ID_276"> dire, und aus beiden Gründen ist es nöthig, daß die ernste Theorie ein Wort<lb/> mitspricht, um zunächst dem gebildeten Publicum an die Hand zu geben, was<lb/> es zu wünschen habe, und dann dem Künstler möglich zu machen, die Gesetze<lb/> seiner Kunst mit den Bedürfnissen und dem Geschmack des Augenblicks in Ein¬<lb/> klang zu bringen.</p><lb/> <p xml:id="ID_278"> Das Werk von Lübke, welches wir an die Spitze gestellt haben, erfüllt<lb/> diese Aufgabe in einem sehr hohen Grade. Der Verfasser hat ernst und tief<lb/> über die Kunst nachgedacht, er hat die Geschichte derselben gründlich studirt,<lb/> und was die Hauptsache ist, er weiß, woraus es bei einem Lehrbuch ankommt.<lb/> Seine zahlreichen Illustrationen sind vortrefflich gewählt und gut ausgeführt,<lb/> die Risse einfach, klar und verständlich, die Ansichten so aufgenommen, daß sie<lb/> einen charakteristischen Blick gewähren, und die Beschreibung in logischer Ueber-<lb/> sichtlichkeit geordnet. Das Charakteristische der verschiedenen Perioden wird<lb/> sehr scharf und deutlich hervorgehoben, indem die Uebergangsformen mit Recht<lb/> in den Hintergrund treten. Das Urtheil zeigt einen geläuterten Geschmack<lb/> und ist durchaus objectiv, indem der Verfasser sich bemüht, jedem Zeitalter ge¬<lb/> recht zu werden, welches das ernsthafte Streben nach innerer Wahrheit zeigt.<lb/> Er hat keine von den kleinen Liebhabereien, vie in einer Zeit heftigen Partei¬<lb/> kampfs das Urtheil trüben, er ist aber auch ohne Nachsicht gegen alle innere<lb/> Unwahrheit. Die Schreibart ist^ lebhaft, anschaulich, zuweilen etwas zu blühend.<lb/> Auch die Anwendung der technischen Ausdrücke könnte etwas schonender sein.<lb/> Der.Raum, der jeder der verschiedenen Perioden gegeben ist, entspricht im All¬<lb/> gemeinen ^den Bedürfnissen; nur scheint es, daß im Anfang der Plan des<lb/> Werks etwas größer angelegt war, als die Ausführung namentlich der spätern<lb/> Theile; denn so interessant auch die Geschichte der beinahe neuentdeckten orien¬<lb/> talischen Baukunst ist, so hätten wir doch gern der neuern Baukunst, nament¬<lb/> lich der Renaissancezeit, eine etwas ausführlichere Darstellung gewünscht. Es<lb/> hängt Das mit einem kleinen Fehler in der Doctrin zusammen, den wir doch<lb/> hervorheben müssen, weil er auch ins Praktische übergeht.</p><lb/> <p xml:id="ID_279" next="#ID_280"> In der Einleitung adoptirt nämlich der Verfasser die Definition Schnaases,<lb/> die Baukunst sei die Darstellung deS Schönen in der unorganischen Natur.<lb/> Nun wäre eigentlich jede Definition überflüssig, weil niemand in Zweifel dar¬<lb/> über ist, was man unter Baukunst zu verstehen habe, und da man nur un¬<lb/> deutliche Ausdrücke definiren sott. Aber jene Erklärung ist auch noch insofern<lb/> bedenklich, als sie eine Auffassung vertheidigt, die zu Anfang des Jahrhunderts<lb/> die vorherrschende war, die Trennung der Kunst vom Handwerk, und als sie<lb/> in der Geschichte selbst einen sehr wichtigen Zweig der Architektur, die Privat¬<lb/> häuser, zu sehr in den Hintergrund schiebt. Die Architektur unterscheidet sich<lb/> dadurch von den andern Zweigen der bildenden Kunst, daß sie einem bestimm¬<lb/> ten praktischen Zwecke dient, und wir glauben, daß zu den Anforderungen, die</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0101]
dire, und aus beiden Gründen ist es nöthig, daß die ernste Theorie ein Wort
mitspricht, um zunächst dem gebildeten Publicum an die Hand zu geben, was
es zu wünschen habe, und dann dem Künstler möglich zu machen, die Gesetze
seiner Kunst mit den Bedürfnissen und dem Geschmack des Augenblicks in Ein¬
klang zu bringen.
Das Werk von Lübke, welches wir an die Spitze gestellt haben, erfüllt
diese Aufgabe in einem sehr hohen Grade. Der Verfasser hat ernst und tief
über die Kunst nachgedacht, er hat die Geschichte derselben gründlich studirt,
und was die Hauptsache ist, er weiß, woraus es bei einem Lehrbuch ankommt.
Seine zahlreichen Illustrationen sind vortrefflich gewählt und gut ausgeführt,
die Risse einfach, klar und verständlich, die Ansichten so aufgenommen, daß sie
einen charakteristischen Blick gewähren, und die Beschreibung in logischer Ueber-
sichtlichkeit geordnet. Das Charakteristische der verschiedenen Perioden wird
sehr scharf und deutlich hervorgehoben, indem die Uebergangsformen mit Recht
in den Hintergrund treten. Das Urtheil zeigt einen geläuterten Geschmack
und ist durchaus objectiv, indem der Verfasser sich bemüht, jedem Zeitalter ge¬
recht zu werden, welches das ernsthafte Streben nach innerer Wahrheit zeigt.
Er hat keine von den kleinen Liebhabereien, vie in einer Zeit heftigen Partei¬
kampfs das Urtheil trüben, er ist aber auch ohne Nachsicht gegen alle innere
Unwahrheit. Die Schreibart ist^ lebhaft, anschaulich, zuweilen etwas zu blühend.
Auch die Anwendung der technischen Ausdrücke könnte etwas schonender sein.
Der.Raum, der jeder der verschiedenen Perioden gegeben ist, entspricht im All¬
gemeinen ^den Bedürfnissen; nur scheint es, daß im Anfang der Plan des
Werks etwas größer angelegt war, als die Ausführung namentlich der spätern
Theile; denn so interessant auch die Geschichte der beinahe neuentdeckten orien¬
talischen Baukunst ist, so hätten wir doch gern der neuern Baukunst, nament¬
lich der Renaissancezeit, eine etwas ausführlichere Darstellung gewünscht. Es
hängt Das mit einem kleinen Fehler in der Doctrin zusammen, den wir doch
hervorheben müssen, weil er auch ins Praktische übergeht.
In der Einleitung adoptirt nämlich der Verfasser die Definition Schnaases,
die Baukunst sei die Darstellung deS Schönen in der unorganischen Natur.
Nun wäre eigentlich jede Definition überflüssig, weil niemand in Zweifel dar¬
über ist, was man unter Baukunst zu verstehen habe, und da man nur un¬
deutliche Ausdrücke definiren sott. Aber jene Erklärung ist auch noch insofern
bedenklich, als sie eine Auffassung vertheidigt, die zu Anfang des Jahrhunderts
die vorherrschende war, die Trennung der Kunst vom Handwerk, und als sie
in der Geschichte selbst einen sehr wichtigen Zweig der Architektur, die Privat¬
häuser, zu sehr in den Hintergrund schiebt. Die Architektur unterscheidet sich
dadurch von den andern Zweigen der bildenden Kunst, daß sie einem bestimm¬
ten praktischen Zwecke dient, und wir glauben, daß zu den Anforderungen, die
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