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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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welche durch ihre Gleichgiltigkeit, mit der sie diese hyperleidenschaftliche Rolle
singt, dem Beherrscher der europäischen Opernbühne eben kein Compliment macht.

Die italienische Oper ist womöglich noch mehr herunter, als die fran¬
zösische; sie ist das Reich der heiseren Gespenster und eines bis zum Ueber-
druß herabgedndelten Repcrtoriums. Diese Oper hat übrigens den guten Ge^
Schmack, jetzt durch ihre Abwesenheit zu glänzen und dem melodischen, herzergreifen¬
den Gesänge der herrlichen Schauspielerin Ristori ihre Räume geöffnet
zu haben. Die englische Schauspielergesellschaft wird mit der italienischen ab¬
wechseln und wir wiederholen unsren bereits ausgesprochenen Wunsch, eine
deutsche Gesellschaft als siegreiche dritte im Bunde zu sehen. Hat denn unser
Devrient sobald den Muth verloren und hat er sein uns in London ge¬
gebenes Versprechen, den glücklichen ersten Versuch öfters zu erneuern, ver¬
gessen?

Die komische Oper hat seit der Februarrevolution, indem sie in die Hände
des ebenso geschickten, als glücklichen Perrin überging, einen Aufschwung ge¬
nommen, wie sie ihn zur Zeit hatte, als Gretry, Monsigny, Dalciyrac, Mehul,
Cherubim und Boieldieu am musikalischen Horizont Frankreichs leuchteten.
Sie verdankt ihr Glück zum Theil auch der Wiederaufnahme einiger Meister¬
stücke dieser Tondichter. Das Feld der komischen Oper ist aber auch in neuester
Zeit als vorzüglich französisches von bedeutenden Talenten mit Erfolg bebaut
worden. Der greise Ander hat in diesen Tagen noch das Repertorium durch
seine vorzügliche Oper Jenny Bell bereichert und Adam Thomas, Ueber,
Masse, Grisar eisern dem Altmeister der komischen Oper nicht immer mit gleichem
Erfolge,, aber doch meist mit einigem nach. Die Kräfte der komischen Oper >
stehen in angenehmer Uebereinstimmung mit dem amüsanten Repertorium.

Man kann auch mit Zuversicht auf einen heiter verbrachten Abend in diesem
Theater rechnen, wenn nur nicht grade der Nordstern von Meyerbeer gegeben
wird. Es ist unbegreiflich, daß Perrin diese Oper nicht lieber nach dem
Theater lyrique verlegt hat, denn bei der Vogue, die sich dieser Compositeur
bei der Masse unstreitig erfreut, was wir Kritiker vom Standpunkte der Kunst
auch immer gegen ihn sagen mögen, würde die neueste Oper Meyerbeers auch
auf diesem Theater seinen Spectakel- und Decorationssucceß gefunden haben
und das Publicum nicht um einige Grvtry-, Monsigny-, Boieldieu- und Auber-
abende gebracht werden.

Das Theater lyrique bedürfte aber eines solchen Kassenstückes, da es trotz
der augenblicklichen Fülle durch Halevys Jaguarita und trotz der Berühmtheit,
die man der allerdings gefälligen Cabet a lui^e 6<z re-elams zu verschaffen
wußte, im Argen liegt. Ein Schicksal, das Perrin durch die unwürdige Ver¬
arbeitung unsres armen Freischütz wol verdient hat.




welche durch ihre Gleichgiltigkeit, mit der sie diese hyperleidenschaftliche Rolle
singt, dem Beherrscher der europäischen Opernbühne eben kein Compliment macht.

Die italienische Oper ist womöglich noch mehr herunter, als die fran¬
zösische; sie ist das Reich der heiseren Gespenster und eines bis zum Ueber-
druß herabgedndelten Repcrtoriums. Diese Oper hat übrigens den guten Ge^
Schmack, jetzt durch ihre Abwesenheit zu glänzen und dem melodischen, herzergreifen¬
den Gesänge der herrlichen Schauspielerin Ristori ihre Räume geöffnet
zu haben. Die englische Schauspielergesellschaft wird mit der italienischen ab¬
wechseln und wir wiederholen unsren bereits ausgesprochenen Wunsch, eine
deutsche Gesellschaft als siegreiche dritte im Bunde zu sehen. Hat denn unser
Devrient sobald den Muth verloren und hat er sein uns in London ge¬
gebenes Versprechen, den glücklichen ersten Versuch öfters zu erneuern, ver¬
gessen?

Die komische Oper hat seit der Februarrevolution, indem sie in die Hände
des ebenso geschickten, als glücklichen Perrin überging, einen Aufschwung ge¬
nommen, wie sie ihn zur Zeit hatte, als Gretry, Monsigny, Dalciyrac, Mehul,
Cherubim und Boieldieu am musikalischen Horizont Frankreichs leuchteten.
Sie verdankt ihr Glück zum Theil auch der Wiederaufnahme einiger Meister¬
stücke dieser Tondichter. Das Feld der komischen Oper ist aber auch in neuester
Zeit als vorzüglich französisches von bedeutenden Talenten mit Erfolg bebaut
worden. Der greise Ander hat in diesen Tagen noch das Repertorium durch
seine vorzügliche Oper Jenny Bell bereichert und Adam Thomas, Ueber,
Masse, Grisar eisern dem Altmeister der komischen Oper nicht immer mit gleichem
Erfolge,, aber doch meist mit einigem nach. Die Kräfte der komischen Oper >
stehen in angenehmer Uebereinstimmung mit dem amüsanten Repertorium.

Man kann auch mit Zuversicht auf einen heiter verbrachten Abend in diesem
Theater rechnen, wenn nur nicht grade der Nordstern von Meyerbeer gegeben
wird. Es ist unbegreiflich, daß Perrin diese Oper nicht lieber nach dem
Theater lyrique verlegt hat, denn bei der Vogue, die sich dieser Compositeur
bei der Masse unstreitig erfreut, was wir Kritiker vom Standpunkte der Kunst
auch immer gegen ihn sagen mögen, würde die neueste Oper Meyerbeers auch
auf diesem Theater seinen Spectakel- und Decorationssucceß gefunden haben
und das Publicum nicht um einige Grvtry-, Monsigny-, Boieldieu- und Auber-
abende gebracht werden.

Das Theater lyrique bedürfte aber eines solchen Kassenstückes, da es trotz
der augenblicklichen Fülle durch Halevys Jaguarita und trotz der Berühmtheit,
die man der allerdings gefälligen Cabet a lui^e 6<z re-elams zu verschaffen
wußte, im Argen liegt. Ein Schicksal, das Perrin durch die unwürdige Ver¬
arbeitung unsres armen Freischütz wol verdient hat.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/84>, abgerufen am 22.06.2024.