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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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Unter diesen Umständen verkündete Fürst Repnin, der Sachsen bisher im
Namen der Verbündeten verwaltet hatte und dasselbe nunmehr an Preußen
übergab, am 7. November den sächsischen Behörden, daß das Land mit Preu¬
ßen verbunden werden würde, England und Oestreich hatten nur eine vor¬
läufige Ueberlassung zugestanden: Repnin war von ihnen zu seiner Erklärung
nicht ermächtigt. In Sachsen waren die Kaufleute, die Gewerbe, Leipzig, für
die Vereinigung mit Preußen; die Beamten dagegen; die Armee war gespal¬
ten, Adel und Landvolk gleichgültig. Die preußischen und deutschen Patrioten,
Niebuhr und Eichhorn an der Spitze, verlangten die Vereinigung als eine
Wohlthat für Deutschland; die Rheinbündler, die Baiern, die Particularisten,
die Fürsten und Höfe, vor allen die kleinen sächsischen Häuser, die ihr Erb¬
recht verlieren sollten, verwarfen sie. Vom Standpunkte des Rechtes hatte der
König von Sachsen sein Land verwirkt: er war der Bundesgenosse Napoleons,
seine Staaten waren von den Verbündeten erobert, er selbst kriegsgefangen.
Vom Standpunkte der Politik aus war es gerathen, Preußen mit dem großen
Kern seines Gebietes als ein Bollwerk gegen Rußland aufzustellen. Auch
sagten die Verträge Preußen ein abgerundetes und zusammenhängendes Ge¬
biet zu.

Im östreichischen Interesse dagegen lag es, durch einen Mittelstaat wie
Sachsen eine Schutzwehr gegen das rivalisirende Preußen zu haben; im euro¬
päischen Interesse konnte der Verzicht Preußens auf Sachsen ein wirksames
Mittel sein, den Verzicht Rußlands auf Warschau zu erreichen. Oestreich war
ebensosehr gegen das russische Polen, als gegen das preußische Sachsen.
Metternich suchte in schlauer Weise gegen das vereinigte Nußland und Preu¬
ßen eine Verbindung zwischen Oestreich, Baiern und Frankreich zu Stande zu
bringen. Er unterhandelte mit Nesselrode im Rücken des russischen Kaisers.
Er sagte Polen an Nußland zu, wenn letzteres die Vereinigung Sachsens mit
Preußen hintertreibe; er sagte Sachsen an Preußen zu, wenn dieses die Ver¬
bindung Polens mit Nußland hindere. Die östreichische Politik wollte Preu¬
ßen in zwei Theile gespalten nach dem Rheine zu wälzen, damit es weniger
auf Oestreich drücke. Endlich schlug sie im November -1814 die Theilung
Sachsens vor, in der Hoffnung, Preußen nachher durch die Unzufriedenheit
in dem abgetretenen Sachsen um seinen Antheil zu bringen. Dem mit dem
Theilungsplane unzufriedenen Herzog von Weimar sagte Kaiser Franz: "Nu,
nu, was bruddelns mit dem Kopf? Sie verstehen die Sache nicht; wenn c>as
Land getheilt wird, se> kommt es am ersten wieder zusammen."

Der charakterlose Hardenberg beschwor den östreichischen Minister: "Mittel
ausfindig zu machen, um Preußen zu retten, das unmöglich in einem Zu¬
stande beschämender Schwäche aus dem schrecklichen Kampfe hervorgehen könne!"
Gleichzeitig aber drohte er, Preußen müsse im Nothfalle "eher alles auf das


9 *

Unter diesen Umständen verkündete Fürst Repnin, der Sachsen bisher im
Namen der Verbündeten verwaltet hatte und dasselbe nunmehr an Preußen
übergab, am 7. November den sächsischen Behörden, daß das Land mit Preu¬
ßen verbunden werden würde, England und Oestreich hatten nur eine vor¬
läufige Ueberlassung zugestanden: Repnin war von ihnen zu seiner Erklärung
nicht ermächtigt. In Sachsen waren die Kaufleute, die Gewerbe, Leipzig, für
die Vereinigung mit Preußen; die Beamten dagegen; die Armee war gespal¬
ten, Adel und Landvolk gleichgültig. Die preußischen und deutschen Patrioten,
Niebuhr und Eichhorn an der Spitze, verlangten die Vereinigung als eine
Wohlthat für Deutschland; die Rheinbündler, die Baiern, die Particularisten,
die Fürsten und Höfe, vor allen die kleinen sächsischen Häuser, die ihr Erb¬
recht verlieren sollten, verwarfen sie. Vom Standpunkte des Rechtes hatte der
König von Sachsen sein Land verwirkt: er war der Bundesgenosse Napoleons,
seine Staaten waren von den Verbündeten erobert, er selbst kriegsgefangen.
Vom Standpunkte der Politik aus war es gerathen, Preußen mit dem großen
Kern seines Gebietes als ein Bollwerk gegen Rußland aufzustellen. Auch
sagten die Verträge Preußen ein abgerundetes und zusammenhängendes Ge¬
biet zu.

Im östreichischen Interesse dagegen lag es, durch einen Mittelstaat wie
Sachsen eine Schutzwehr gegen das rivalisirende Preußen zu haben; im euro¬
päischen Interesse konnte der Verzicht Preußens auf Sachsen ein wirksames
Mittel sein, den Verzicht Rußlands auf Warschau zu erreichen. Oestreich war
ebensosehr gegen das russische Polen, als gegen das preußische Sachsen.
Metternich suchte in schlauer Weise gegen das vereinigte Nußland und Preu¬
ßen eine Verbindung zwischen Oestreich, Baiern und Frankreich zu Stande zu
bringen. Er unterhandelte mit Nesselrode im Rücken des russischen Kaisers.
Er sagte Polen an Nußland zu, wenn letzteres die Vereinigung Sachsens mit
Preußen hintertreibe; er sagte Sachsen an Preußen zu, wenn dieses die Ver¬
bindung Polens mit Nußland hindere. Die östreichische Politik wollte Preu¬
ßen in zwei Theile gespalten nach dem Rheine zu wälzen, damit es weniger
auf Oestreich drücke. Endlich schlug sie im November -1814 die Theilung
Sachsens vor, in der Hoffnung, Preußen nachher durch die Unzufriedenheit
in dem abgetretenen Sachsen um seinen Antheil zu bringen. Dem mit dem
Theilungsplane unzufriedenen Herzog von Weimar sagte Kaiser Franz: „Nu,
nu, was bruddelns mit dem Kopf? Sie verstehen die Sache nicht; wenn c>as
Land getheilt wird, se> kommt es am ersten wieder zusammen."

Der charakterlose Hardenberg beschwor den östreichischen Minister: „Mittel
ausfindig zu machen, um Preußen zu retten, das unmöglich in einem Zu¬
stande beschämender Schwäche aus dem schrecklichen Kampfe hervorgehen könne!"
Gleichzeitig aber drohte er, Preußen müsse im Nothfalle „eher alles auf das


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[0075] Unter diesen Umständen verkündete Fürst Repnin, der Sachsen bisher im Namen der Verbündeten verwaltet hatte und dasselbe nunmehr an Preußen übergab, am 7. November den sächsischen Behörden, daß das Land mit Preu¬ ßen verbunden werden würde, England und Oestreich hatten nur eine vor¬ läufige Ueberlassung zugestanden: Repnin war von ihnen zu seiner Erklärung nicht ermächtigt. In Sachsen waren die Kaufleute, die Gewerbe, Leipzig, für die Vereinigung mit Preußen; die Beamten dagegen; die Armee war gespal¬ ten, Adel und Landvolk gleichgültig. Die preußischen und deutschen Patrioten, Niebuhr und Eichhorn an der Spitze, verlangten die Vereinigung als eine Wohlthat für Deutschland; die Rheinbündler, die Baiern, die Particularisten, die Fürsten und Höfe, vor allen die kleinen sächsischen Häuser, die ihr Erb¬ recht verlieren sollten, verwarfen sie. Vom Standpunkte des Rechtes hatte der König von Sachsen sein Land verwirkt: er war der Bundesgenosse Napoleons, seine Staaten waren von den Verbündeten erobert, er selbst kriegsgefangen. Vom Standpunkte der Politik aus war es gerathen, Preußen mit dem großen Kern seines Gebietes als ein Bollwerk gegen Rußland aufzustellen. Auch sagten die Verträge Preußen ein abgerundetes und zusammenhängendes Ge¬ biet zu. Im östreichischen Interesse dagegen lag es, durch einen Mittelstaat wie Sachsen eine Schutzwehr gegen das rivalisirende Preußen zu haben; im euro¬ päischen Interesse konnte der Verzicht Preußens auf Sachsen ein wirksames Mittel sein, den Verzicht Rußlands auf Warschau zu erreichen. Oestreich war ebensosehr gegen das russische Polen, als gegen das preußische Sachsen. Metternich suchte in schlauer Weise gegen das vereinigte Nußland und Preu¬ ßen eine Verbindung zwischen Oestreich, Baiern und Frankreich zu Stande zu bringen. Er unterhandelte mit Nesselrode im Rücken des russischen Kaisers. Er sagte Polen an Nußland zu, wenn letzteres die Vereinigung Sachsens mit Preußen hintertreibe; er sagte Sachsen an Preußen zu, wenn dieses die Ver¬ bindung Polens mit Nußland hindere. Die östreichische Politik wollte Preu¬ ßen in zwei Theile gespalten nach dem Rheine zu wälzen, damit es weniger auf Oestreich drücke. Endlich schlug sie im November -1814 die Theilung Sachsens vor, in der Hoffnung, Preußen nachher durch die Unzufriedenheit in dem abgetretenen Sachsen um seinen Antheil zu bringen. Dem mit dem Theilungsplane unzufriedenen Herzog von Weimar sagte Kaiser Franz: „Nu, nu, was bruddelns mit dem Kopf? Sie verstehen die Sache nicht; wenn c>as Land getheilt wird, se> kommt es am ersten wieder zusammen." Der charakterlose Hardenberg beschwor den östreichischen Minister: „Mittel ausfindig zu machen, um Preußen zu retten, das unmöglich in einem Zu¬ stande beschämender Schwäche aus dem schrecklichen Kampfe hervorgehen könne!" Gleichzeitig aber drohte er, Preußen müsse im Nothfalle „eher alles auf das 9 *

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/75>, abgerufen am 22.07.2024.