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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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auf eine glänzende Weise rechtfertigt: Entschlossenheit und Festigkeit des Urtheils,
Folgerichtigkeit des Princips und ein entschiedener Lebensmuth, der in dem
Glauben an die Idee sich durch Zufälligkeiten nicht irren läßt. Wie eS auch
im Uebrigen mit der Ausführung seines Plans beschaffen sein mag, das Buch
ist wiederum eine That, die zur Ausklärung der politischen Begriffe, und was
damit zusammenhängt, zur Bildung und Befestigung einer unsichtbaren Partei
in seiner Art ebenso beitragen wird, als die Literaturgeschichte.

Freilich wird die politische Tendenz bei einem in so großartigem Maßstab
angelegten Werk nicht ausreichen. So sehr wir mit dem Zweck des Verfassers
übereinstimmen, wir werden sein Werk nur dann mit unbedingter Freude be¬
grüßen können, wenn es auch den Gesetzen der historischen Kunst vollkommen
gerecht geworben ist. Um hier nicht unbillig zu sein, muß man die Schwierig¬
keit der Aufgabe in Anschlag bringen. Zwar scheint das Werk dazu bestimmt
zu sein, sich über alle modernen Völker auszudehnen, allein der Schriftsteller
denkt doch zunächst immer an die Nation, der er selbst angehört und macht
sie unwillkürlich zum Mittelpunkt seiner Darstellung. Hier steht der Deutsche
gegen den Engländer und Franzosen in einem unermeßlichen Nachtheil. Die
Geschichte der letzten vierzig Jahre nimmt bei allen übrigen Völkern' einen
dramatischen Verlauf, sie sind stets in Bewegung, in Leidenschaft, in Action,
in einer verhältnißmäßig folge-richtigen Entwicklung. Deutschland dagegen spielt
eine ganz passive Rolle. Seine Geschichte wird außerhalb seiner Grenzen ge¬
macht und seine innere Entwicklung hat keinen eigentlichen Mittelpunkt. In
der Gesetzgebung, der Verwaltung, im kirchlichen Leben, in der Literatur und
Kunst ist vielerlei geschehen, die Industrie hat glänzende Fortschritte gemacht,
aber alle diese Einzelnheiten zu einem kunstgerechten Bilde zu verarbeiten,
würde eine Aufgabe sein, die auch der größte Schriftsteller nur annäherungs¬
weise zu löse" vermöchte. In dieser Beziehung war Hüusser, dessen Geschichts¬
werk grade bis zu dem Zeitpunkt reichen soll, wo Gervinus anfängt, viel
günstiger gestellt, und wir dürfen uns nicht darüber wundern, daß sein Werk
auf den ersten Anblick einen erfreulicheren Eindruck erregt. Die Aufgabe von
Gervinus ist unendlich schwieriger, und diese Schwierigkeit müssen wir mit
in Rechnung bringen, um uns ein unbefangenes Urtheil zu bilden.

Aber grade weil wir das Werk als ein Nationalwcrk betrachten, von dessen
Erfolg weit mehr abhängt, als bei einem andern literarischen Erzeugniß, und
weil bis zur Vollendung desselben der Verfasser noch hinreichend Zeit h^,
seine bisher befolgte Methode einer genauern Prüfung zu unterwerfen, halten
wir es für nothwendig, offen und bestimmt mit den Bedenken hervorzutreten,
die uns der erste Band einflößt. Nachdem ein so bedeutender Schriftsteller wie
Gervinus das Werk unternommen, wird sich in den nächsten zehn Jahre"
kein zweiter daran versuchen wollen, und es ist also ein bleibender Verlust für


auf eine glänzende Weise rechtfertigt: Entschlossenheit und Festigkeit des Urtheils,
Folgerichtigkeit des Princips und ein entschiedener Lebensmuth, der in dem
Glauben an die Idee sich durch Zufälligkeiten nicht irren läßt. Wie eS auch
im Uebrigen mit der Ausführung seines Plans beschaffen sein mag, das Buch
ist wiederum eine That, die zur Ausklärung der politischen Begriffe, und was
damit zusammenhängt, zur Bildung und Befestigung einer unsichtbaren Partei
in seiner Art ebenso beitragen wird, als die Literaturgeschichte.

Freilich wird die politische Tendenz bei einem in so großartigem Maßstab
angelegten Werk nicht ausreichen. So sehr wir mit dem Zweck des Verfassers
übereinstimmen, wir werden sein Werk nur dann mit unbedingter Freude be¬
grüßen können, wenn es auch den Gesetzen der historischen Kunst vollkommen
gerecht geworben ist. Um hier nicht unbillig zu sein, muß man die Schwierig¬
keit der Aufgabe in Anschlag bringen. Zwar scheint das Werk dazu bestimmt
zu sein, sich über alle modernen Völker auszudehnen, allein der Schriftsteller
denkt doch zunächst immer an die Nation, der er selbst angehört und macht
sie unwillkürlich zum Mittelpunkt seiner Darstellung. Hier steht der Deutsche
gegen den Engländer und Franzosen in einem unermeßlichen Nachtheil. Die
Geschichte der letzten vierzig Jahre nimmt bei allen übrigen Völkern' einen
dramatischen Verlauf, sie sind stets in Bewegung, in Leidenschaft, in Action,
in einer verhältnißmäßig folge-richtigen Entwicklung. Deutschland dagegen spielt
eine ganz passive Rolle. Seine Geschichte wird außerhalb seiner Grenzen ge¬
macht und seine innere Entwicklung hat keinen eigentlichen Mittelpunkt. In
der Gesetzgebung, der Verwaltung, im kirchlichen Leben, in der Literatur und
Kunst ist vielerlei geschehen, die Industrie hat glänzende Fortschritte gemacht,
aber alle diese Einzelnheiten zu einem kunstgerechten Bilde zu verarbeiten,
würde eine Aufgabe sein, die auch der größte Schriftsteller nur annäherungs¬
weise zu löse» vermöchte. In dieser Beziehung war Hüusser, dessen Geschichts¬
werk grade bis zu dem Zeitpunkt reichen soll, wo Gervinus anfängt, viel
günstiger gestellt, und wir dürfen uns nicht darüber wundern, daß sein Werk
auf den ersten Anblick einen erfreulicheren Eindruck erregt. Die Aufgabe von
Gervinus ist unendlich schwieriger, und diese Schwierigkeit müssen wir mit
in Rechnung bringen, um uns ein unbefangenes Urtheil zu bilden.

Aber grade weil wir das Werk als ein Nationalwcrk betrachten, von dessen
Erfolg weit mehr abhängt, als bei einem andern literarischen Erzeugniß, und
weil bis zur Vollendung desselben der Verfasser noch hinreichend Zeit h^,
seine bisher befolgte Methode einer genauern Prüfung zu unterwerfen, halten
wir es für nothwendig, offen und bestimmt mit den Bedenken hervorzutreten,
die uns der erste Band einflößt. Nachdem ein so bedeutender Schriftsteller wie
Gervinus das Werk unternommen, wird sich in den nächsten zehn Jahre»
kein zweiter daran versuchen wollen, und es ist also ein bleibender Verlust für


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/450>, abgerufen am 22.12.2024.