Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

gerecht vor sich hat. So erwartet man ihn, das Gewehr am Backen und den
Finger am Drücker. Sowie der Löwe seine Gegner sieht, bleibt er auf dem
Wege stehen. Jetzt gilt es sicher und rasch zu zielen. Die Stelle vor dem
Schulterblatt ist ein guter Zielpunkt, eine dort eindringende Kugel tödtet aber
nicht immer auf der Stelle. Ein Löwe, den Gerard an diesem Flecke mit zwei
Eisenposten durch und durch schoß, zerriß noch zwei Araber und verstümmelte
seinen Spahi Nossain. Sicherer ist es, zwischen Auge und Ohr zu zielen,
wenn das Thier den Jäger von der Seite ansteht oder zwischen die Augen,
wenn er es gerade vor sich hat. Trifft man hier, so stürzt der Löwe gewiß
zusammen. Stürzt er aber nicht, so kann es wol kommen, daß er auf den
Jäger springt und diesen über den Haufen rennt. Gerard empfiehlt dann,
ihm das Gewehr bis an den Kolben in den Rachey zu stoßen. "Haben mich
seine gewaltigen Klauen nicht gepackt und zerfleischt," meint Gerard, so stoße ich
ihm den Dolch in ein Auge oder in die Herzgegend, je nachdem ich den Arm
brauchen kann; falle ich dagegen bei dem Ursprunge des Löwen, was das
Wahrscheinlichste ist, so habe ich sicherlich beide Hände frei, und dann sucht
die Linke das Herz und die rechte führt den Dolchstoß dahin. Wenn man am
nächsten Tage nicht zwei engumschlungene todte Körper findet, so liegen sie
wenigstens nicht weit voneinander, und der Dolch wird das Uebrige sagen." So
ist der Jäger wenigstens gerächt -- freilich nur ein deutscher Trost, aber doch
ein Trost. Sinkt der Löwe jedoch auf der Stelle zusammen, so muß man
immer noch eine Minute vorsichtig warten, und sich dem Gefallenen erst nähern,
wenn er gar kein Lebenszeichen mehr von sich gibt, denn wie schon früher
bemerkt worden, der verendende Löwe ist ein gefährlicher Gegner. Findet man
eine Fährte, so stellt man sich an dem Wechsel aus, der meistens da ist, wo der
Weg aus dem Walde nach einer Furt führt. Sieht man mehre Fährten zu¬
gleich, so braucht man deshalb nicht ängstlich zu sein: es ist die Löwin mit
ihren Jungen, hinter denen sie, wenn sie noch nicht zwei Jahre alt sind, stets
hergeht. Man braucht dann nur die Mutter zu schießen. Sind die Jungen
aber noch sehr schwach, so muß man vorsichtig sein, denn alsdann greift die
Löwin oft selbst an. Sie verfährt dabei mit großer Schlauheit und der Jäger
muß sehr vorsichtig und wachsam sein.

Die Löwin greift nie offen an; sie bleibt stehen, sobald sie den Jäger
sieht und duckt sich, sowie er das Gewehr anlegt, so zusammen, daß sie in dem
Gestrüpp kaum mehr zu erblicken ist. Nach einiger Zeit hebt sie wieder den
Kopf ein wenig und wenn sie bemerkt, daß man das Gewehr nicht mehr am
Backen hat, so steht sie auf und thut als wolle sie fortgehen, was aber nur
wirklich geschieht, wenn die Jungen schon weit weg sind. Sind sie noch nicht
ganz in Sicherheit, so schleicht sich wol die Löwin, die dem Auge des Jägers
entschwunden ist, leise auf dem Bauche heran und fällt den auf dem Anstand


33*

gerecht vor sich hat. So erwartet man ihn, das Gewehr am Backen und den
Finger am Drücker. Sowie der Löwe seine Gegner sieht, bleibt er auf dem
Wege stehen. Jetzt gilt es sicher und rasch zu zielen. Die Stelle vor dem
Schulterblatt ist ein guter Zielpunkt, eine dort eindringende Kugel tödtet aber
nicht immer auf der Stelle. Ein Löwe, den Gerard an diesem Flecke mit zwei
Eisenposten durch und durch schoß, zerriß noch zwei Araber und verstümmelte
seinen Spahi Nossain. Sicherer ist es, zwischen Auge und Ohr zu zielen,
wenn das Thier den Jäger von der Seite ansteht oder zwischen die Augen,
wenn er es gerade vor sich hat. Trifft man hier, so stürzt der Löwe gewiß
zusammen. Stürzt er aber nicht, so kann es wol kommen, daß er auf den
Jäger springt und diesen über den Haufen rennt. Gerard empfiehlt dann,
ihm das Gewehr bis an den Kolben in den Rachey zu stoßen. „Haben mich
seine gewaltigen Klauen nicht gepackt und zerfleischt," meint Gerard, so stoße ich
ihm den Dolch in ein Auge oder in die Herzgegend, je nachdem ich den Arm
brauchen kann; falle ich dagegen bei dem Ursprunge des Löwen, was das
Wahrscheinlichste ist, so habe ich sicherlich beide Hände frei, und dann sucht
die Linke das Herz und die rechte führt den Dolchstoß dahin. Wenn man am
nächsten Tage nicht zwei engumschlungene todte Körper findet, so liegen sie
wenigstens nicht weit voneinander, und der Dolch wird das Uebrige sagen." So
ist der Jäger wenigstens gerächt — freilich nur ein deutscher Trost, aber doch
ein Trost. Sinkt der Löwe jedoch auf der Stelle zusammen, so muß man
immer noch eine Minute vorsichtig warten, und sich dem Gefallenen erst nähern,
wenn er gar kein Lebenszeichen mehr von sich gibt, denn wie schon früher
bemerkt worden, der verendende Löwe ist ein gefährlicher Gegner. Findet man
eine Fährte, so stellt man sich an dem Wechsel aus, der meistens da ist, wo der
Weg aus dem Walde nach einer Furt führt. Sieht man mehre Fährten zu¬
gleich, so braucht man deshalb nicht ängstlich zu sein: es ist die Löwin mit
ihren Jungen, hinter denen sie, wenn sie noch nicht zwei Jahre alt sind, stets
hergeht. Man braucht dann nur die Mutter zu schießen. Sind die Jungen
aber noch sehr schwach, so muß man vorsichtig sein, denn alsdann greift die
Löwin oft selbst an. Sie verfährt dabei mit großer Schlauheit und der Jäger
muß sehr vorsichtig und wachsam sein.

Die Löwin greift nie offen an; sie bleibt stehen, sobald sie den Jäger
sieht und duckt sich, sowie er das Gewehr anlegt, so zusammen, daß sie in dem
Gestrüpp kaum mehr zu erblicken ist. Nach einiger Zeit hebt sie wieder den
Kopf ein wenig und wenn sie bemerkt, daß man das Gewehr nicht mehr am
Backen hat, so steht sie auf und thut als wolle sie fortgehen, was aber nur
wirklich geschieht, wenn die Jungen schon weit weg sind. Sind sie noch nicht
ganz in Sicherheit, so schleicht sich wol die Löwin, die dem Auge des Jägers
entschwunden ist, leise auf dem Bauche heran und fällt den auf dem Anstand


33*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0427" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/100347"/>
          <p xml:id="ID_1221" prev="#ID_1220"> gerecht vor sich hat.  So erwartet man ihn, das Gewehr am Backen und den<lb/>
Finger am Drücker.  Sowie der Löwe seine Gegner sieht, bleibt er auf dem<lb/>
Wege stehen.  Jetzt gilt es sicher und rasch zu zielen.  Die Stelle vor dem<lb/>
Schulterblatt ist ein guter Zielpunkt, eine dort eindringende Kugel tödtet aber<lb/>
nicht immer auf der Stelle.  Ein Löwe, den Gerard an diesem Flecke mit zwei<lb/>
Eisenposten durch und durch schoß, zerriß noch zwei Araber und verstümmelte<lb/>
seinen Spahi Nossain.  Sicherer ist es, zwischen Auge und Ohr zu zielen,<lb/>
wenn das Thier den Jäger von der Seite ansteht oder zwischen die Augen,<lb/>
wenn er es gerade vor sich hat.  Trifft man hier, so stürzt der Löwe gewiß<lb/>
zusammen.  Stürzt er aber nicht, so kann es wol kommen, daß er auf den<lb/>
Jäger springt und diesen über den Haufen rennt.  Gerard empfiehlt dann,<lb/>
ihm das Gewehr bis an den Kolben in den Rachey zu stoßen.  &#x201E;Haben mich<lb/>
seine gewaltigen Klauen nicht gepackt und zerfleischt," meint Gerard, so stoße ich<lb/>
ihm den Dolch in ein Auge oder in die Herzgegend, je nachdem ich den Arm<lb/>
brauchen kann; falle ich dagegen bei dem Ursprunge des Löwen, was das<lb/>
Wahrscheinlichste ist, so habe ich sicherlich beide Hände frei, und dann sucht<lb/>
die Linke das Herz und die rechte führt den Dolchstoß dahin.  Wenn man am<lb/>
nächsten Tage nicht zwei engumschlungene todte Körper findet, so liegen sie<lb/>
wenigstens nicht weit voneinander, und der Dolch wird das Uebrige sagen." So<lb/>
ist der Jäger wenigstens gerächt &#x2014; freilich nur ein deutscher Trost, aber doch<lb/>
ein Trost.  Sinkt der Löwe jedoch auf der Stelle zusammen, so muß man<lb/>
immer noch eine Minute vorsichtig warten, und sich dem Gefallenen erst nähern,<lb/>
wenn er gar kein Lebenszeichen mehr von sich gibt, denn wie schon früher<lb/>
bemerkt worden, der verendende Löwe ist ein gefährlicher Gegner. Findet man<lb/>
eine Fährte, so stellt man sich an dem Wechsel aus, der meistens da ist, wo der<lb/>
Weg aus dem Walde nach einer Furt führt.  Sieht man mehre Fährten zu¬<lb/>
gleich, so braucht man deshalb nicht ängstlich zu sein: es ist die Löwin mit<lb/>
ihren Jungen, hinter denen sie, wenn sie noch nicht zwei Jahre alt sind, stets<lb/>
hergeht.  Man braucht dann nur die Mutter zu schießen. Sind die Jungen<lb/>
aber noch sehr schwach, so muß man vorsichtig sein, denn alsdann greift die<lb/>
Löwin oft selbst an.  Sie verfährt dabei mit großer Schlauheit und der Jäger<lb/>
muß sehr vorsichtig und wachsam sein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1222" next="#ID_1223"> Die Löwin greift nie offen an; sie bleibt stehen, sobald sie den Jäger<lb/>
sieht und duckt sich, sowie er das Gewehr anlegt, so zusammen, daß sie in dem<lb/>
Gestrüpp kaum mehr zu erblicken ist. Nach einiger Zeit hebt sie wieder den<lb/>
Kopf ein wenig und wenn sie bemerkt, daß man das Gewehr nicht mehr am<lb/>
Backen hat, so steht sie auf und thut als wolle sie fortgehen, was aber nur<lb/>
wirklich geschieht, wenn die Jungen schon weit weg sind. Sind sie noch nicht<lb/>
ganz in Sicherheit, so schleicht sich wol die Löwin, die dem Auge des Jägers<lb/>
entschwunden ist, leise auf dem Bauche heran und fällt den auf dem Anstand</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 33*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0427] gerecht vor sich hat. So erwartet man ihn, das Gewehr am Backen und den Finger am Drücker. Sowie der Löwe seine Gegner sieht, bleibt er auf dem Wege stehen. Jetzt gilt es sicher und rasch zu zielen. Die Stelle vor dem Schulterblatt ist ein guter Zielpunkt, eine dort eindringende Kugel tödtet aber nicht immer auf der Stelle. Ein Löwe, den Gerard an diesem Flecke mit zwei Eisenposten durch und durch schoß, zerriß noch zwei Araber und verstümmelte seinen Spahi Nossain. Sicherer ist es, zwischen Auge und Ohr zu zielen, wenn das Thier den Jäger von der Seite ansteht oder zwischen die Augen, wenn er es gerade vor sich hat. Trifft man hier, so stürzt der Löwe gewiß zusammen. Stürzt er aber nicht, so kann es wol kommen, daß er auf den Jäger springt und diesen über den Haufen rennt. Gerard empfiehlt dann, ihm das Gewehr bis an den Kolben in den Rachey zu stoßen. „Haben mich seine gewaltigen Klauen nicht gepackt und zerfleischt," meint Gerard, so stoße ich ihm den Dolch in ein Auge oder in die Herzgegend, je nachdem ich den Arm brauchen kann; falle ich dagegen bei dem Ursprunge des Löwen, was das Wahrscheinlichste ist, so habe ich sicherlich beide Hände frei, und dann sucht die Linke das Herz und die rechte führt den Dolchstoß dahin. Wenn man am nächsten Tage nicht zwei engumschlungene todte Körper findet, so liegen sie wenigstens nicht weit voneinander, und der Dolch wird das Uebrige sagen." So ist der Jäger wenigstens gerächt — freilich nur ein deutscher Trost, aber doch ein Trost. Sinkt der Löwe jedoch auf der Stelle zusammen, so muß man immer noch eine Minute vorsichtig warten, und sich dem Gefallenen erst nähern, wenn er gar kein Lebenszeichen mehr von sich gibt, denn wie schon früher bemerkt worden, der verendende Löwe ist ein gefährlicher Gegner. Findet man eine Fährte, so stellt man sich an dem Wechsel aus, der meistens da ist, wo der Weg aus dem Walde nach einer Furt führt. Sieht man mehre Fährten zu¬ gleich, so braucht man deshalb nicht ängstlich zu sein: es ist die Löwin mit ihren Jungen, hinter denen sie, wenn sie noch nicht zwei Jahre alt sind, stets hergeht. Man braucht dann nur die Mutter zu schießen. Sind die Jungen aber noch sehr schwach, so muß man vorsichtig sein, denn alsdann greift die Löwin oft selbst an. Sie verfährt dabei mit großer Schlauheit und der Jäger muß sehr vorsichtig und wachsam sein. Die Löwin greift nie offen an; sie bleibt stehen, sobald sie den Jäger sieht und duckt sich, sowie er das Gewehr anlegt, so zusammen, daß sie in dem Gestrüpp kaum mehr zu erblicken ist. Nach einiger Zeit hebt sie wieder den Kopf ein wenig und wenn sie bemerkt, daß man das Gewehr nicht mehr am Backen hat, so steht sie auf und thut als wolle sie fortgehen, was aber nur wirklich geschieht, wenn die Jungen schon weit weg sind. Sind sie noch nicht ganz in Sicherheit, so schleicht sich wol die Löwin, die dem Auge des Jägers entschwunden ist, leise auf dem Bauche heran und fällt den auf dem Anstand 33*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/427
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/427>, abgerufen am 22.07.2024.