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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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ganz geeignet scheint, aus einer großen Zahl guter, aber denkender Katholiken
"Ketzer" zu machen. Ein trauriger Gewinn bei der so pomphaft verkündeten
Frage! Wollte man aber annehmen, es gelte nicht einem so ganz positiven
Dogma und die Kirche werde auch hier wie bei einigen andern in der An¬
wendung mit sich handeln lassen und ihr ^n-Msina 8it I nicht weiter als durch¬
aus nothwendig ausdehnen, so stimmt dazu wenigstens nicht der Anschein von
großartiger Wichtigkeit, den man der ganzen Angelegenheit gegeben und der
Aufwand von Feierlichkeiten, den die Kirche bei der Verkündigung in Scene
gesetzt.

Seltsam! der Gedanke, die dogmatische Streitfrage der unbefleckten Em-
pfcingniß Mariens zur Entscheidung zu bringen, scheint eine Frucht des Erils
zu sein, in einer Zeit entstanden, wo die politische Existenz der päpstlichen
Macht selbst eine offene Frage gewesen. Der flüchtige Pius IX. richtete von
seinem Zufluchtsorte Gaeta aus am 2. Febr. -I8i9 an alle Glieder des katho¬
lischen Episcopats ein Rundschreiben, in dem er ihre Meinung über jenen
Punkt verlangte. Es ist nicht das erste Mal, daß das äußerlich gedemüthigte
Pvntisicat der Welt sich durch Fragen bemerklich machte, welche einestheils
deren Vergessen vorbeugen, anderntheils den Beweis liefern zu sollen schienen,
daß die Kirche auf dem Felsen Petri durch kein Mißgeschick gebeugt werden
könne, ihr Auge selbst über Stürmen wache. Genug, dem Ansinnen wurde
entsprochen und die eingelaufenen Antworten bildeten nicht weniger als sieben
Bände in Quart. Welche Fülle dogmatischer Gelehrsamkeit und Subtilität
mögen sie verschließen! Der zurückgekehrte Papst hatte die Frage nicht fallen
lassen, eine Commission von Cardinälen und Theologen die Bulle im voraus
entworfen, und die Versammlung zahlreicher geistlicher Würdenträger im De¬
cember vorigen Jahres hatte bekanntlich wenig weiter zu thun, als der schon
getroffenen Entscheidung und ihrer Verkündigung die größere Weihe zu geben.

In die Geheimnisse des fraglichen Dogma einzugehen kann hier unsre
Sache nicht sein. Nur um einem möglichen oder entschuldbaren Vergessen zu
begegnen, sei daran erinnert, daß es sich bei jenem Dogma nicht um den
Glauben handelt, Maria habe Jesum Christum ohne Sünde, weil vom
heiligen Geist, empfangen -- dies ist ein bereits feststehender Glaubenssatz für
alle Katholiken; -- das Gewicht der Frage liegt darin, ob Maria "durch die
zuvorkommende Gnade Gottes" bei ihrer Empfängniß von ihrer Mutter Anna
nicht durch den Makel der Erbsünde befleckt worden sei, der doch alle im Fleisch
Geborenen unterworfen sind. Diesen Unterschied halte man fest; denn von
letzterem hat man bis jetzt nichts gewußt, oder wenigstens kaum mehr daran
gedacht. Ferner ein Wort über Dogmen. In der römischen Kirche sind die
Dogmen die Wahrheiten, welche Gott offenbart hat und welche die Gläubigen
zu glauben verpflichtet sind. Die Kirche schafft nicht die Dogmen, sondern


Grenzboten. III. -I8S6. 47

ganz geeignet scheint, aus einer großen Zahl guter, aber denkender Katholiken
„Ketzer" zu machen. Ein trauriger Gewinn bei der so pomphaft verkündeten
Frage! Wollte man aber annehmen, es gelte nicht einem so ganz positiven
Dogma und die Kirche werde auch hier wie bei einigen andern in der An¬
wendung mit sich handeln lassen und ihr ^n-Msina 8it I nicht weiter als durch¬
aus nothwendig ausdehnen, so stimmt dazu wenigstens nicht der Anschein von
großartiger Wichtigkeit, den man der ganzen Angelegenheit gegeben und der
Aufwand von Feierlichkeiten, den die Kirche bei der Verkündigung in Scene
gesetzt.

Seltsam! der Gedanke, die dogmatische Streitfrage der unbefleckten Em-
pfcingniß Mariens zur Entscheidung zu bringen, scheint eine Frucht des Erils
zu sein, in einer Zeit entstanden, wo die politische Existenz der päpstlichen
Macht selbst eine offene Frage gewesen. Der flüchtige Pius IX. richtete von
seinem Zufluchtsorte Gaeta aus am 2. Febr. -I8i9 an alle Glieder des katho¬
lischen Episcopats ein Rundschreiben, in dem er ihre Meinung über jenen
Punkt verlangte. Es ist nicht das erste Mal, daß das äußerlich gedemüthigte
Pvntisicat der Welt sich durch Fragen bemerklich machte, welche einestheils
deren Vergessen vorbeugen, anderntheils den Beweis liefern zu sollen schienen,
daß die Kirche auf dem Felsen Petri durch kein Mißgeschick gebeugt werden
könne, ihr Auge selbst über Stürmen wache. Genug, dem Ansinnen wurde
entsprochen und die eingelaufenen Antworten bildeten nicht weniger als sieben
Bände in Quart. Welche Fülle dogmatischer Gelehrsamkeit und Subtilität
mögen sie verschließen! Der zurückgekehrte Papst hatte die Frage nicht fallen
lassen, eine Commission von Cardinälen und Theologen die Bulle im voraus
entworfen, und die Versammlung zahlreicher geistlicher Würdenträger im De¬
cember vorigen Jahres hatte bekanntlich wenig weiter zu thun, als der schon
getroffenen Entscheidung und ihrer Verkündigung die größere Weihe zu geben.

In die Geheimnisse des fraglichen Dogma einzugehen kann hier unsre
Sache nicht sein. Nur um einem möglichen oder entschuldbaren Vergessen zu
begegnen, sei daran erinnert, daß es sich bei jenem Dogma nicht um den
Glauben handelt, Maria habe Jesum Christum ohne Sünde, weil vom
heiligen Geist, empfangen — dies ist ein bereits feststehender Glaubenssatz für
alle Katholiken; — das Gewicht der Frage liegt darin, ob Maria „durch die
zuvorkommende Gnade Gottes" bei ihrer Empfängniß von ihrer Mutter Anna
nicht durch den Makel der Erbsünde befleckt worden sei, der doch alle im Fleisch
Geborenen unterworfen sind. Diesen Unterschied halte man fest; denn von
letzterem hat man bis jetzt nichts gewußt, oder wenigstens kaum mehr daran
gedacht. Ferner ein Wort über Dogmen. In der römischen Kirche sind die
Dogmen die Wahrheiten, welche Gott offenbart hat und welche die Gläubigen
zu glauben verpflichtet sind. Die Kirche schafft nicht die Dogmen, sondern


Grenzboten. III. -I8S6. 47
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[0377] ganz geeignet scheint, aus einer großen Zahl guter, aber denkender Katholiken „Ketzer" zu machen. Ein trauriger Gewinn bei der so pomphaft verkündeten Frage! Wollte man aber annehmen, es gelte nicht einem so ganz positiven Dogma und die Kirche werde auch hier wie bei einigen andern in der An¬ wendung mit sich handeln lassen und ihr ^n-Msina 8it I nicht weiter als durch¬ aus nothwendig ausdehnen, so stimmt dazu wenigstens nicht der Anschein von großartiger Wichtigkeit, den man der ganzen Angelegenheit gegeben und der Aufwand von Feierlichkeiten, den die Kirche bei der Verkündigung in Scene gesetzt. Seltsam! der Gedanke, die dogmatische Streitfrage der unbefleckten Em- pfcingniß Mariens zur Entscheidung zu bringen, scheint eine Frucht des Erils zu sein, in einer Zeit entstanden, wo die politische Existenz der päpstlichen Macht selbst eine offene Frage gewesen. Der flüchtige Pius IX. richtete von seinem Zufluchtsorte Gaeta aus am 2. Febr. -I8i9 an alle Glieder des katho¬ lischen Episcopats ein Rundschreiben, in dem er ihre Meinung über jenen Punkt verlangte. Es ist nicht das erste Mal, daß das äußerlich gedemüthigte Pvntisicat der Welt sich durch Fragen bemerklich machte, welche einestheils deren Vergessen vorbeugen, anderntheils den Beweis liefern zu sollen schienen, daß die Kirche auf dem Felsen Petri durch kein Mißgeschick gebeugt werden könne, ihr Auge selbst über Stürmen wache. Genug, dem Ansinnen wurde entsprochen und die eingelaufenen Antworten bildeten nicht weniger als sieben Bände in Quart. Welche Fülle dogmatischer Gelehrsamkeit und Subtilität mögen sie verschließen! Der zurückgekehrte Papst hatte die Frage nicht fallen lassen, eine Commission von Cardinälen und Theologen die Bulle im voraus entworfen, und die Versammlung zahlreicher geistlicher Würdenträger im De¬ cember vorigen Jahres hatte bekanntlich wenig weiter zu thun, als der schon getroffenen Entscheidung und ihrer Verkündigung die größere Weihe zu geben. In die Geheimnisse des fraglichen Dogma einzugehen kann hier unsre Sache nicht sein. Nur um einem möglichen oder entschuldbaren Vergessen zu begegnen, sei daran erinnert, daß es sich bei jenem Dogma nicht um den Glauben handelt, Maria habe Jesum Christum ohne Sünde, weil vom heiligen Geist, empfangen — dies ist ein bereits feststehender Glaubenssatz für alle Katholiken; — das Gewicht der Frage liegt darin, ob Maria „durch die zuvorkommende Gnade Gottes" bei ihrer Empfängniß von ihrer Mutter Anna nicht durch den Makel der Erbsünde befleckt worden sei, der doch alle im Fleisch Geborenen unterworfen sind. Diesen Unterschied halte man fest; denn von letzterem hat man bis jetzt nichts gewußt, oder wenigstens kaum mehr daran gedacht. Ferner ein Wort über Dogmen. In der römischen Kirche sind die Dogmen die Wahrheiten, welche Gott offenbart hat und welche die Gläubigen zu glauben verpflichtet sind. Die Kirche schafft nicht die Dogmen, sondern Grenzboten. III. -I8S6. 47

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/377>, abgerufen am 22.07.2024.