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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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"Unser Geist ist himmelblau, führet dich in blaue Ferne ;c.", bis endlich Nestor
dem Waldhorn den Mund stopft, weil es sich schon im Sternbold laut genug
ausgesprochen, dann redet die Quelle, der Bergstrom, der Sturm in., kurz
es ist ein pantheistisches Zittern der ganzen Natur, die sich abquält, Sprache
und Gestalt zu gewinnen, da doch diese Gabe eigentlich nur dem Menschen
von den Göttern gegeben ist.

Tieck thut sich viel darauf zu gut, daß er die Sprache des Wassers, der
Blumen, der Berge und andrer Naturgegenstände nachsinge, die dem prosaischen
Gemüth verschlossen bleibt. Allein in die Blumen, Sterne und Wasserfälle aller¬
lei artige Gedanken zu verlegen, ist für den Dichter nicht schwer, denn sie
können ihm nicht widersprechen und will es nicht stimmen, so hat er nur
gescherzt. Wenn man allgemeine philosophische Ansichten über dies und jenes
aussprechen will, so möge man es in eigner Person thun; der Werth dieser
Ansichten wird dadurch nicht erhöht, daß man sie einer Rose oder Heuschrecke
in den Mund legt. Viel schwerer ist es, das wirkliche Leben der kleinen
Natur sinnig zu belauschen und in individueller Gestaltung wiederzugeben,
so daß es anschaulich in unsrer Phantasie aufgeht. Das Auge für das Klein¬
leben, welches manche unsrer neuern Dichter, z. B. Adalbert Stifter, in hohem
Grade ausgebildet haben, fehlt Tieck und den übriger" Romantikern fast gänz¬
lich. Eine sentimentale Blumensprache ist am wenigsten geeignet, uns in das
verborgene Wirken der Natur einzuführen. Die Romantiker bewegen sich nur
in Abstraktionen und in allgemein gehaltenen Empfindungen, wo die concrete
Natur anfängt, hört ihre Kunst auf. Es ist nicht Liebe zum Leben, nicht der
mächtige Trieb, auch das seelenlose in seiner innern Berechtigung anzuschauen,
was sie zur Natur treibt, sondern nur die Flucht vor der Bestimmtheit überhaupt.
Die seelenlose Natur erlaubt die Tändelei, aber ein menschliches Herz so zu
zeichnen, daß es uns in lebendiger Individualität entgegentritt und uns
zum Verständniß zwingt, das erfordert wirkliche Gestaltungskraft und weil diese
unsern Romantikern abging, haben sie sich zu Aposteln der Elemente gemacht.
Wie ihre Freunde, die Naturphilosophen, haben sie die Gebilde der Natur zu
artigen Hieroglyphen ausgeschnitzt. Man hat sich solange damit abgequält,
den Sinn derselben zu enträthseln, bis man es endlich merkte, daß man es
lediglich mit Arabesken zu thun habe.

Im Garten der Poesie entschlüpft nun der Göttin eine unbedachte Aeuße¬
rung, durch welche uns unerwartet ein Licht darüber aufgeht, wo wir uns
eigentlich befinden, als sich Nestor nämlich darüber wundert, daß er in diesem
heiligen Hain keine Raupen sieht: "kein Ungeziefer naht dem heiligen Wohn¬
sitz". Dieser Garren ist uns bereits bekannt: Goethe hat ihn im Triumph
der Empfindsamkeit sehr ausführlich geschildert. Es ist eine nachgemachte
Natur. Die Blumen sind aus Seidenstoff, der Wald aus Fransen, der Mond-


„Unser Geist ist himmelblau, führet dich in blaue Ferne ;c.", bis endlich Nestor
dem Waldhorn den Mund stopft, weil es sich schon im Sternbold laut genug
ausgesprochen, dann redet die Quelle, der Bergstrom, der Sturm in., kurz
es ist ein pantheistisches Zittern der ganzen Natur, die sich abquält, Sprache
und Gestalt zu gewinnen, da doch diese Gabe eigentlich nur dem Menschen
von den Göttern gegeben ist.

Tieck thut sich viel darauf zu gut, daß er die Sprache des Wassers, der
Blumen, der Berge und andrer Naturgegenstände nachsinge, die dem prosaischen
Gemüth verschlossen bleibt. Allein in die Blumen, Sterne und Wasserfälle aller¬
lei artige Gedanken zu verlegen, ist für den Dichter nicht schwer, denn sie
können ihm nicht widersprechen und will es nicht stimmen, so hat er nur
gescherzt. Wenn man allgemeine philosophische Ansichten über dies und jenes
aussprechen will, so möge man es in eigner Person thun; der Werth dieser
Ansichten wird dadurch nicht erhöht, daß man sie einer Rose oder Heuschrecke
in den Mund legt. Viel schwerer ist es, das wirkliche Leben der kleinen
Natur sinnig zu belauschen und in individueller Gestaltung wiederzugeben,
so daß es anschaulich in unsrer Phantasie aufgeht. Das Auge für das Klein¬
leben, welches manche unsrer neuern Dichter, z. B. Adalbert Stifter, in hohem
Grade ausgebildet haben, fehlt Tieck und den übriger» Romantikern fast gänz¬
lich. Eine sentimentale Blumensprache ist am wenigsten geeignet, uns in das
verborgene Wirken der Natur einzuführen. Die Romantiker bewegen sich nur
in Abstraktionen und in allgemein gehaltenen Empfindungen, wo die concrete
Natur anfängt, hört ihre Kunst auf. Es ist nicht Liebe zum Leben, nicht der
mächtige Trieb, auch das seelenlose in seiner innern Berechtigung anzuschauen,
was sie zur Natur treibt, sondern nur die Flucht vor der Bestimmtheit überhaupt.
Die seelenlose Natur erlaubt die Tändelei, aber ein menschliches Herz so zu
zeichnen, daß es uns in lebendiger Individualität entgegentritt und uns
zum Verständniß zwingt, das erfordert wirkliche Gestaltungskraft und weil diese
unsern Romantikern abging, haben sie sich zu Aposteln der Elemente gemacht.
Wie ihre Freunde, die Naturphilosophen, haben sie die Gebilde der Natur zu
artigen Hieroglyphen ausgeschnitzt. Man hat sich solange damit abgequält,
den Sinn derselben zu enträthseln, bis man es endlich merkte, daß man es
lediglich mit Arabesken zu thun habe.

Im Garten der Poesie entschlüpft nun der Göttin eine unbedachte Aeuße¬
rung, durch welche uns unerwartet ein Licht darüber aufgeht, wo wir uns
eigentlich befinden, als sich Nestor nämlich darüber wundert, daß er in diesem
heiligen Hain keine Raupen sieht: „kein Ungeziefer naht dem heiligen Wohn¬
sitz". Dieser Garren ist uns bereits bekannt: Goethe hat ihn im Triumph
der Empfindsamkeit sehr ausführlich geschildert. Es ist eine nachgemachte
Natur. Die Blumen sind aus Seidenstoff, der Wald aus Fransen, der Mond-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/350>, abgerufen am 22.12.2024.