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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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löst, ihnen die Zügel schießen läßt, es kann aber auch heißen, der von der
Rossen aufgelöst, zerrissen wird; und wie oft schon der Name hinreicht, um
ganze Geschichten daraus zu machen, dazu braucht nicht erst die Märtyrer¬
mythologie nachgesehen zu werden; alle Mythologie zeigt das.

Es kommt hier aber noch etwas Weiteres hinzu, woraus Döllinger nun
soweit geachtet hat, als es schon Prudentius bemerkte: der von den wilden
Pferden zerrissene Heilige ist nur eine Nachbildung des Theseiden Hippolytus
in der athenischen Mythe. Wer ist aber dieser Theseide?

Der Versuch, fast sämmtliche Götter- und Heroenmythen der Griechen
auf den Sonnengott und die Mondgöttin in ihrem Verhalten zueinander zu
deuten, leidet an ebenso großen Uebertreibungen, als die Wasser- und Nebel¬
kur, in welcher z. B. Forchhammer ein anderes Universalmittel zur Erklärung
aller Mythen gesucht hat. Alle dergleichen Panaceen entsprechen schlecht der
Mannigfaltigkeit geschichtlicher Existenzen. Aber in einzelnen Fällen werden
wol beide grade das Rechte getroffen haben. Viele Heroen sind sicher nichts
als verdämmerte Götter, im Besondern nur Prädicate, namentlich des Sonnen¬
gottes, von der spätern Zeit zu eignen Personen firirt. So verhält es sich
außer dem Ikarus, der nur die am Himmelsbogen aufsteigende und endlich
herabsinkende Sonne selbst ist, dem Phaeton u. s. f., sicher auch mit dem
Hippolyt.

Schon der Gigant dieses Namens (bei Apollodor I. 6, SS), der vom un¬
sichtbar machenden Helme des Aides überwunden wird, ist der in der Unter¬
welt verschwindende himmelstürmende Sonnenheld. In der spätern griechischen
Mythe aber wird der Helios Hippolytosj d. h. der Sonnengott selbst, in¬
sofern er beim Untergehen den Rossen des Sonnenwagens die Zügel schießen
läßt, zu einer besondern Heroenfigur, die nun auch einen noch älteren Sonnen¬
heros, den Theseus, zum Vater erhalten darf. Und zwar wird nun durch
die heidnische Sage später auch der Name umgedeutet: der Held wird von
scheugewordenen Pferden zerrissen. Aber auch da blickt noch der Sonnenheld
hindurch, der beim Uutergehn ins Meer von seinen Rossen gleichsam gevier¬
theilt wird; sie werden scheu vor dem "Ungeheuer des Meeres", woraus denn
weiter ein besonderes Ungeheuer wird, das vom Meere aufsteigt. Die Phädra
aber, die ihn so sehnsüchtig liebt und ihm so sehnsüchtig nachblickt, ist ur¬
sprünglich die strahlende Mondfrau, welche aufsteigt, wenn der schöne Sonnen¬
held niedersinkt und so nur das nachsehn hat, die ihn hoffnungslos liebt, ihn
nie erreicht. Die specielle Ausbildung des Mythos, worin nun Phädra zu¬
gleich die Frau des Sonnengottes, die Mutter dieses besondern Helden wird,
ist nur specifisch ätherisch. In Troezene wurde der Hippolytus zwar auch
schon als Heros cultivirt, aber noch unbefangener neben Phädra, der Mond-
"göttin, als seiner Schwester und Frau.


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löst, ihnen die Zügel schießen läßt, es kann aber auch heißen, der von der
Rossen aufgelöst, zerrissen wird; und wie oft schon der Name hinreicht, um
ganze Geschichten daraus zu machen, dazu braucht nicht erst die Märtyrer¬
mythologie nachgesehen zu werden; alle Mythologie zeigt das.

Es kommt hier aber noch etwas Weiteres hinzu, woraus Döllinger nun
soweit geachtet hat, als es schon Prudentius bemerkte: der von den wilden
Pferden zerrissene Heilige ist nur eine Nachbildung des Theseiden Hippolytus
in der athenischen Mythe. Wer ist aber dieser Theseide?

Der Versuch, fast sämmtliche Götter- und Heroenmythen der Griechen
auf den Sonnengott und die Mondgöttin in ihrem Verhalten zueinander zu
deuten, leidet an ebenso großen Uebertreibungen, als die Wasser- und Nebel¬
kur, in welcher z. B. Forchhammer ein anderes Universalmittel zur Erklärung
aller Mythen gesucht hat. Alle dergleichen Panaceen entsprechen schlecht der
Mannigfaltigkeit geschichtlicher Existenzen. Aber in einzelnen Fällen werden
wol beide grade das Rechte getroffen haben. Viele Heroen sind sicher nichts
als verdämmerte Götter, im Besondern nur Prädicate, namentlich des Sonnen¬
gottes, von der spätern Zeit zu eignen Personen firirt. So verhält es sich
außer dem Ikarus, der nur die am Himmelsbogen aufsteigende und endlich
herabsinkende Sonne selbst ist, dem Phaeton u. s. f., sicher auch mit dem
Hippolyt.

Schon der Gigant dieses Namens (bei Apollodor I. 6, SS), der vom un¬
sichtbar machenden Helme des Aides überwunden wird, ist der in der Unter¬
welt verschwindende himmelstürmende Sonnenheld. In der spätern griechischen
Mythe aber wird der Helios Hippolytosj d. h. der Sonnengott selbst, in¬
sofern er beim Untergehen den Rossen des Sonnenwagens die Zügel schießen
läßt, zu einer besondern Heroenfigur, die nun auch einen noch älteren Sonnen¬
heros, den Theseus, zum Vater erhalten darf. Und zwar wird nun durch
die heidnische Sage später auch der Name umgedeutet: der Held wird von
scheugewordenen Pferden zerrissen. Aber auch da blickt noch der Sonnenheld
hindurch, der beim Uutergehn ins Meer von seinen Rossen gleichsam gevier¬
theilt wird; sie werden scheu vor dem „Ungeheuer des Meeres", woraus denn
weiter ein besonderes Ungeheuer wird, das vom Meere aufsteigt. Die Phädra
aber, die ihn so sehnsüchtig liebt und ihm so sehnsüchtig nachblickt, ist ur¬
sprünglich die strahlende Mondfrau, welche aufsteigt, wenn der schöne Sonnen¬
held niedersinkt und so nur das nachsehn hat, die ihn hoffnungslos liebt, ihn
nie erreicht. Die specielle Ausbildung des Mythos, worin nun Phädra zu¬
gleich die Frau des Sonnengottes, die Mutter dieses besondern Helden wird,
ist nur specifisch ätherisch. In Troezene wurde der Hippolytus zwar auch
schon als Heros cultivirt, aber noch unbefangener neben Phädra, der Mond-
"göttin, als seiner Schwester und Frau.


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[0259] löst, ihnen die Zügel schießen läßt, es kann aber auch heißen, der von der Rossen aufgelöst, zerrissen wird; und wie oft schon der Name hinreicht, um ganze Geschichten daraus zu machen, dazu braucht nicht erst die Märtyrer¬ mythologie nachgesehen zu werden; alle Mythologie zeigt das. Es kommt hier aber noch etwas Weiteres hinzu, woraus Döllinger nun soweit geachtet hat, als es schon Prudentius bemerkte: der von den wilden Pferden zerrissene Heilige ist nur eine Nachbildung des Theseiden Hippolytus in der athenischen Mythe. Wer ist aber dieser Theseide? Der Versuch, fast sämmtliche Götter- und Heroenmythen der Griechen auf den Sonnengott und die Mondgöttin in ihrem Verhalten zueinander zu deuten, leidet an ebenso großen Uebertreibungen, als die Wasser- und Nebel¬ kur, in welcher z. B. Forchhammer ein anderes Universalmittel zur Erklärung aller Mythen gesucht hat. Alle dergleichen Panaceen entsprechen schlecht der Mannigfaltigkeit geschichtlicher Existenzen. Aber in einzelnen Fällen werden wol beide grade das Rechte getroffen haben. Viele Heroen sind sicher nichts als verdämmerte Götter, im Besondern nur Prädicate, namentlich des Sonnen¬ gottes, von der spätern Zeit zu eignen Personen firirt. So verhält es sich außer dem Ikarus, der nur die am Himmelsbogen aufsteigende und endlich herabsinkende Sonne selbst ist, dem Phaeton u. s. f., sicher auch mit dem Hippolyt. Schon der Gigant dieses Namens (bei Apollodor I. 6, SS), der vom un¬ sichtbar machenden Helme des Aides überwunden wird, ist der in der Unter¬ welt verschwindende himmelstürmende Sonnenheld. In der spätern griechischen Mythe aber wird der Helios Hippolytosj d. h. der Sonnengott selbst, in¬ sofern er beim Untergehen den Rossen des Sonnenwagens die Zügel schießen läßt, zu einer besondern Heroenfigur, die nun auch einen noch älteren Sonnen¬ heros, den Theseus, zum Vater erhalten darf. Und zwar wird nun durch die heidnische Sage später auch der Name umgedeutet: der Held wird von scheugewordenen Pferden zerrissen. Aber auch da blickt noch der Sonnenheld hindurch, der beim Uutergehn ins Meer von seinen Rossen gleichsam gevier¬ theilt wird; sie werden scheu vor dem „Ungeheuer des Meeres", woraus denn weiter ein besonderes Ungeheuer wird, das vom Meere aufsteigt. Die Phädra aber, die ihn so sehnsüchtig liebt und ihm so sehnsüchtig nachblickt, ist ur¬ sprünglich die strahlende Mondfrau, welche aufsteigt, wenn der schöne Sonnen¬ held niedersinkt und so nur das nachsehn hat, die ihn hoffnungslos liebt, ihn nie erreicht. Die specielle Ausbildung des Mythos, worin nun Phädra zu¬ gleich die Frau des Sonnengottes, die Mutter dieses besondern Helden wird, ist nur specifisch ätherisch. In Troezene wurde der Hippolytus zwar auch schon als Heros cultivirt, aber noch unbefangener neben Phädra, der Mond- "göttin, als seiner Schwester und Frau. 32*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/259>, abgerufen am 23.06.2024.