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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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lieutenant zwingen wollte, indem ich beide zu erschießen drohte, erhielt aber nur
die Antwort, daß er fort sei. Nun gab ich Befehl, den Obristlieutenant fortzu¬
bringen, der sich aber über meine Harte beklagte, ihm nicht einmal zu gestatten,
sich anzukleiden und behauptete, nicht gehen zu können, indem er das Podagra
habe und keine Stiefeln anzuziehen vermöchte. Das hatte ich ganz übersehen
und war ihm nun selbst beim Anziehen behilflich -- freilich ein wenig eiliger,
als es ihm lieb sein mochte, -- rieth ihm aber dann, es nur soweit mit dem
Gehen zu versuchen, bis ich ihm ein Pferd geben könne, was denn auch keine
Schwierigkeiten hatte, da es so schlimm mit ihm nicht war und er nur Zeit
zu gewinnen suchte. Dem Bedienten befahl ich, mit dem Einpacken fortzufahren'
und ließ eine Wache bei ihm zurück, die alles, was sich an Effecten und Sachen
vorfand, fortbringen mußte, während ich mich selbst in den Hos zu meinen
Leuten zurückbegab. Hier kam mir Koran mit dem Prinzen Wittgenstein und
einem Lieutenant Rosenberg entgegen, die er zu Gefangenen gemacht. Beide
wurden fortgeschickt und dann die Pferdeställe untersucht, wobei es sich voll¬
kommen bestätigte, daß die Besatzung wirklich im Begriff gewesen war, aufzu¬
brechen; die Pferde waren sämmtlich gesattelt, gezäumt und aufgeschirrt. Es
wurden im Ganzen etwa dreißig zusammengebracht." Ohne weiter vom Feinde
gefährdet zu werden, gelangte Ledebur, nachdem er seine Leute gesammelt, die
Verwundeten und die Beute aus requirirten Schlitten, die Gefangenen auf den
erbeuteten Pferden, wieder nach Garnsee. Der kecke Ueberfall hatte die Aus¬
hebung der Blockade von Graudenz zur Folge und verschaffte Ledebur den
Orden pour 1e nun-ne. Bald darauf zog sich jedoch das preußische Heer wieder
gegen Königsberg zurück, Borstells Commando wurde aufgelöst, und Ledebur
erhielt neben dem Rittmeister Raven den Austrag, ein Freicorps aus Selbst-
ranzionirten zu bilden, mit dem er am 7. Juni 1807 Königsberg verließ.
Hier sollte aber seine kriegerische Laufbahn vorläufig ein Ende nehmen. Am
12. Juni stieß er bei Gesau auf den Feind, der bald eine so überlegene Cavalerie
entwickelte, daß es rathscun wurde, den Rückzug anzutreten. Dieser ging anfangs
glücklich von statten, bis ein Lieutenant ohne Befehl angriff und das Ganze
in ein Gefecht verwickelte, das wegen der Uebermacht der Franzosen -- wie es sich
später zeigte, hatte man es mit der ganzen Avantgarde unter Murat zu thun
nur nachtheilig werden konnte. Lange trieb man sich hin und her und bei
einem gelungenen Angriffe verfolgte Ledebur einen feindlichen Offizier zu hitzig,
kam von seinen Leuten ab und fiel aus vielen, zum Theil schweren Wunden
blutend, nach tapferer Vertheidigung abermals in Gefangenschaft. Als er
wieder geheilt war, war der Friede geschlossen und erst 1813 war es ihm
wieder vergönnt, gegen die Franzosen zu fechten. Im Feldzuge 1813 führte
er auf dem Rückzug nach Wavre, nach der Schlacht bei Ligny, die Nachhut


lieutenant zwingen wollte, indem ich beide zu erschießen drohte, erhielt aber nur
die Antwort, daß er fort sei. Nun gab ich Befehl, den Obristlieutenant fortzu¬
bringen, der sich aber über meine Harte beklagte, ihm nicht einmal zu gestatten,
sich anzukleiden und behauptete, nicht gehen zu können, indem er das Podagra
habe und keine Stiefeln anzuziehen vermöchte. Das hatte ich ganz übersehen
und war ihm nun selbst beim Anziehen behilflich — freilich ein wenig eiliger,
als es ihm lieb sein mochte, — rieth ihm aber dann, es nur soweit mit dem
Gehen zu versuchen, bis ich ihm ein Pferd geben könne, was denn auch keine
Schwierigkeiten hatte, da es so schlimm mit ihm nicht war und er nur Zeit
zu gewinnen suchte. Dem Bedienten befahl ich, mit dem Einpacken fortzufahren'
und ließ eine Wache bei ihm zurück, die alles, was sich an Effecten und Sachen
vorfand, fortbringen mußte, während ich mich selbst in den Hos zu meinen
Leuten zurückbegab. Hier kam mir Koran mit dem Prinzen Wittgenstein und
einem Lieutenant Rosenberg entgegen, die er zu Gefangenen gemacht. Beide
wurden fortgeschickt und dann die Pferdeställe untersucht, wobei es sich voll¬
kommen bestätigte, daß die Besatzung wirklich im Begriff gewesen war, aufzu¬
brechen; die Pferde waren sämmtlich gesattelt, gezäumt und aufgeschirrt. Es
wurden im Ganzen etwa dreißig zusammengebracht." Ohne weiter vom Feinde
gefährdet zu werden, gelangte Ledebur, nachdem er seine Leute gesammelt, die
Verwundeten und die Beute aus requirirten Schlitten, die Gefangenen auf den
erbeuteten Pferden, wieder nach Garnsee. Der kecke Ueberfall hatte die Aus¬
hebung der Blockade von Graudenz zur Folge und verschaffte Ledebur den
Orden pour 1e nun-ne. Bald darauf zog sich jedoch das preußische Heer wieder
gegen Königsberg zurück, Borstells Commando wurde aufgelöst, und Ledebur
erhielt neben dem Rittmeister Raven den Austrag, ein Freicorps aus Selbst-
ranzionirten zu bilden, mit dem er am 7. Juni 1807 Königsberg verließ.
Hier sollte aber seine kriegerische Laufbahn vorläufig ein Ende nehmen. Am
12. Juni stieß er bei Gesau auf den Feind, der bald eine so überlegene Cavalerie
entwickelte, daß es rathscun wurde, den Rückzug anzutreten. Dieser ging anfangs
glücklich von statten, bis ein Lieutenant ohne Befehl angriff und das Ganze
in ein Gefecht verwickelte, das wegen der Uebermacht der Franzosen — wie es sich
später zeigte, hatte man es mit der ganzen Avantgarde unter Murat zu thun
nur nachtheilig werden konnte. Lange trieb man sich hin und her und bei
einem gelungenen Angriffe verfolgte Ledebur einen feindlichen Offizier zu hitzig,
kam von seinen Leuten ab und fiel aus vielen, zum Theil schweren Wunden
blutend, nach tapferer Vertheidigung abermals in Gefangenschaft. Als er
wieder geheilt war, war der Friede geschlossen und erst 1813 war es ihm
wieder vergönnt, gegen die Franzosen zu fechten. Im Feldzuge 1813 führte
er auf dem Rückzug nach Wavre, nach der Schlacht bei Ligny, die Nachhut


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/196>, abgerufen am 22.07.2024.