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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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reflectiren. Die Färbung bei Novalis ist ganz unhistorisch, während sie bei
Arnim bis zum Barocken historisch ist.

Die "Hymnen an die Nacht" erschienen bereits im Athenäum, die
"geistlichen Lieder" wenigstens zum Theil im Musenalmanach von 1802.
Aus der phantasicvollen, melodischen Sprache, die uns mit einem fremdartigen
Duft betäubt und berauscht, nehmen wir zunächst eine Sehnsucht nach Dingen
wahr, die sonst der Mensch zu fliehen gewohnt ist: nach der Nacht, nicht in
der Weise Philinens, sondern in einem tief symbolischen Sinne, und nach
dem reinsten Geschöpfe der Nacht, dem Tode. Vieles daran liegt in der sub-
jectiven Stimmung, in jener dunkeln krankhaften Trauer des Gemüths, das
unter dem Schein der Allgemeinheit nur sich selbst aussprach. Aber es liegt
auch noch etwas Anderes darin, eine symbolische Gedankenverbindung, welche
diese sonderbaren Erzeugnisse der Romantik den classischen Dichtern zugänglich
machen mußte. Man nehme das "Reich der Schatten" und noch ähnliche
Gedichte von Schiller, lasse die energischen Gedanken desselben in Bilder und
Stimmungen verduften, suche ihnen dann eine angemessene Form und man
wird zu etwas Aehnlichem kommen, wie die Poesie des Novalis. So ist z. B.
die 3. Hymne eine verbesserte Auflage der "Götter Griechenlands." Die sinn¬
liche Schönheit des Heidenthums ist in vortrefflichen Bildern ausgedrückt, die
wol mit Schiller würden wetteifern können, wenn Novalis den richtigen Rhyth¬
mus gefunden hätte; es ist aber die wichtige Bemerkung hinzugefügt, daß über
diesem schönen Leben ein dunkler Schatten schwebte, die Idee des Todes, die
man nicht enträthseln konnte, weil man nur an das Leben glaubte. Der
Dichter zeigt uns dann die Versteinerung dieser Zauberwelt in abstracte Ge¬
danken und Gesetze, und läßt uns ahnungsvoll die Geburt einer neuen poe¬
tischen Zeit aus dem dunklen Schooß der Nacht erblicken. Was nun hier von
dem Christenthum gesagt wird, dürfte keinen so sehr befremden, als den wirk¬
lichen Christen, der an die heiligen Traditionen gewöhnt ist. Man erkennt
wol ungefähr die Geschichten wieder heraus, aber sie haben eine ganz wunder¬
bare, seltsame Farbe gewonnen, sie sind in die phantastische Märchenwelt des
Orients getaucht. Die Religion wird in die Poesie vertieft, das Evangelium
zu einem Gedicht idealisirt. Ein Sehnsuchtöliev an die Himmelskönigin und
an den Tod, die Enträthselung alles Lebens, schließt die merkwürdigen Rhap¬
sodien, die uns ebenso verwirren, als anziehen.

Die geistlichen Lieder sind sehr schön, ja sie gehören zu den reinsten
Dichtungen unsrer Lyrik, nur ist soviel klar, daß sie keine geistlichen Lieder
sind. Niemals spricht sich die von der Kirche umfaßte Gemeinde, es spricht
sich nur ein seltsam organisirtes sehnsuchtsvolles Gemüth aus. Niemals ist
die kirchliche Tradition die Grundlage des Bildes, sondern überall eine freie
und glühende Phantasie. Alle Bilder der Religion verklären sich im reichsten


reflectiren. Die Färbung bei Novalis ist ganz unhistorisch, während sie bei
Arnim bis zum Barocken historisch ist.

Die „Hymnen an die Nacht" erschienen bereits im Athenäum, die
„geistlichen Lieder" wenigstens zum Theil im Musenalmanach von 1802.
Aus der phantasicvollen, melodischen Sprache, die uns mit einem fremdartigen
Duft betäubt und berauscht, nehmen wir zunächst eine Sehnsucht nach Dingen
wahr, die sonst der Mensch zu fliehen gewohnt ist: nach der Nacht, nicht in
der Weise Philinens, sondern in einem tief symbolischen Sinne, und nach
dem reinsten Geschöpfe der Nacht, dem Tode. Vieles daran liegt in der sub-
jectiven Stimmung, in jener dunkeln krankhaften Trauer des Gemüths, das
unter dem Schein der Allgemeinheit nur sich selbst aussprach. Aber es liegt
auch noch etwas Anderes darin, eine symbolische Gedankenverbindung, welche
diese sonderbaren Erzeugnisse der Romantik den classischen Dichtern zugänglich
machen mußte. Man nehme das „Reich der Schatten" und noch ähnliche
Gedichte von Schiller, lasse die energischen Gedanken desselben in Bilder und
Stimmungen verduften, suche ihnen dann eine angemessene Form und man
wird zu etwas Aehnlichem kommen, wie die Poesie des Novalis. So ist z. B.
die 3. Hymne eine verbesserte Auflage der „Götter Griechenlands." Die sinn¬
liche Schönheit des Heidenthums ist in vortrefflichen Bildern ausgedrückt, die
wol mit Schiller würden wetteifern können, wenn Novalis den richtigen Rhyth¬
mus gefunden hätte; es ist aber die wichtige Bemerkung hinzugefügt, daß über
diesem schönen Leben ein dunkler Schatten schwebte, die Idee des Todes, die
man nicht enträthseln konnte, weil man nur an das Leben glaubte. Der
Dichter zeigt uns dann die Versteinerung dieser Zauberwelt in abstracte Ge¬
danken und Gesetze, und läßt uns ahnungsvoll die Geburt einer neuen poe¬
tischen Zeit aus dem dunklen Schooß der Nacht erblicken. Was nun hier von
dem Christenthum gesagt wird, dürfte keinen so sehr befremden, als den wirk¬
lichen Christen, der an die heiligen Traditionen gewöhnt ist. Man erkennt
wol ungefähr die Geschichten wieder heraus, aber sie haben eine ganz wunder¬
bare, seltsame Farbe gewonnen, sie sind in die phantastische Märchenwelt des
Orients getaucht. Die Religion wird in die Poesie vertieft, das Evangelium
zu einem Gedicht idealisirt. Ein Sehnsuchtöliev an die Himmelskönigin und
an den Tod, die Enträthselung alles Lebens, schließt die merkwürdigen Rhap¬
sodien, die uns ebenso verwirren, als anziehen.

Die geistlichen Lieder sind sehr schön, ja sie gehören zu den reinsten
Dichtungen unsrer Lyrik, nur ist soviel klar, daß sie keine geistlichen Lieder
sind. Niemals spricht sich die von der Kirche umfaßte Gemeinde, es spricht
sich nur ein seltsam organisirtes sehnsuchtsvolles Gemüth aus. Niemals ist
die kirchliche Tradition die Grundlage des Bildes, sondern überall eine freie
und glühende Phantasie. Alle Bilder der Religion verklären sich im reichsten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/136>, abgerufen am 22.07.2024.