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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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sondern auch eine- an Stückzahl ungleich beträchtlichere Artillerie entgegenzu¬
stellen. Diese seine Maxime führte ihn nothwendig zum Widerspruch mit der
sonst giltigen fortisicatorischen Negel: daß man Mauerwerk stets der directen
Feuerwirkung des Feindes durch Contreescarpe, Glacis oder Wall zu entziehen
habe. Den Einwand, daß er, indem er seine Mauern der Einsicht und dem
directen Schuß preisgebe, deren frühzeitige Zerstörung durch den Feind ermög¬
liche, stellte er die Behauptung entgegen: daß seine artilleristische Ueberlegen-
heit ein Auskommen der Angriffsbatterien unmöglich mache.

Was abgesehen von diesen neuen Ansichten in Betreff der Arrangirung
des Profils, die Verhältnisse des Grundrisses angeht, so konnte Montalembert
sich auf keine andern Formen basiren, als auf diejenigen, welche ich bereits
bei Erörterung der Grundzüge der Feldbefestigung berührte. Da er die Lünet-
ten mit Zwischenlinien oder das bastionäre System behufs der Herstellung
seiner Hauptumfassung (Enceinte) verwarf, so verblieb ihm nur, den zu fortist-
cirenden Raum durch ein- und auöspringende Winkel zu umziehen und dem¬
gemäß das Ganze als große Sternschanze zu behandeln, oder es in zusammen¬
hängende gerade Linien einzuschließen d. h. es als große vielseitige Redoute
zu behandeln. Die erstere Manier nennt er sein Tenaillen- und die zweite
sein Polygonalsystem. Seine KreiSbesestigung kann als eine Combination des
ersteren Systems mit dem letzteren angesehen werden. Desgleichen sind seine
Festungsthürme als feste, gemauerte Redouten zu betrachten.

Die Vorzüge des Tenaillen- lind Polygonalsystems vor dem bastionären
werden für den Leser am klarsten hervortreten, wenn ich erstere helpe mit dem
letzteren direct vergleiche.

Denkt man sich die Facen des Navelins dergestalt nach rückwärts verlängert,
daß sie in die Facen der Bastionen einschneiden, so werden, wenn gleichzeitig
Flanken und Courtine in Wegfall kommen, jene eine zusaimnenhängende En¬
ceinte formiren, welche der Idee der Montalambertschen emaillirter Umfassung
conform ist. Diese Enceinte wird zugleich stärker sein, wie die frühere bastio¬
näre, weil keine Trennung der Vertheidigungskräfte durch den Hauptgraben
stattfindet; weil der mittlere aufspringende Winkel, der frühere Ravelin, nun¬
mehr ebenfalls als ein Knotenpunkt der Vertheidigung gelten kann, und
Mannschaften wie Geschütze in den aufspringenden Winkeln weniger den
Rückenschüssen preisgegeben wird, als dies in den Bastionen der Fall ist; end¬
lich weil im eingehenden Winkel eine jede Linie zur andern in das Verhält¬
niß einer Flanke, nicht nur behufs der Grabenbestreichung, sondern auch des
Vorterraius, tritt. Es wird diese Enceinte aber auch zugleich weniger kost¬
spielig sein, als die bastionirte, weil bei ihr Bastionsflanken und Courtine er¬
spart werden. Der eingehende Winkel hat in diesem System, selbstredend ein .
bestimmtes Maß, nämlich 90 Grad, weil uur diese Größe den Bedingungen


sondern auch eine- an Stückzahl ungleich beträchtlichere Artillerie entgegenzu¬
stellen. Diese seine Maxime führte ihn nothwendig zum Widerspruch mit der
sonst giltigen fortisicatorischen Negel: daß man Mauerwerk stets der directen
Feuerwirkung des Feindes durch Contreescarpe, Glacis oder Wall zu entziehen
habe. Den Einwand, daß er, indem er seine Mauern der Einsicht und dem
directen Schuß preisgebe, deren frühzeitige Zerstörung durch den Feind ermög¬
liche, stellte er die Behauptung entgegen: daß seine artilleristische Ueberlegen-
heit ein Auskommen der Angriffsbatterien unmöglich mache.

Was abgesehen von diesen neuen Ansichten in Betreff der Arrangirung
des Profils, die Verhältnisse des Grundrisses angeht, so konnte Montalembert
sich auf keine andern Formen basiren, als auf diejenigen, welche ich bereits
bei Erörterung der Grundzüge der Feldbefestigung berührte. Da er die Lünet-
ten mit Zwischenlinien oder das bastionäre System behufs der Herstellung
seiner Hauptumfassung (Enceinte) verwarf, so verblieb ihm nur, den zu fortist-
cirenden Raum durch ein- und auöspringende Winkel zu umziehen und dem¬
gemäß das Ganze als große Sternschanze zu behandeln, oder es in zusammen¬
hängende gerade Linien einzuschließen d. h. es als große vielseitige Redoute
zu behandeln. Die erstere Manier nennt er sein Tenaillen- und die zweite
sein Polygonalsystem. Seine KreiSbesestigung kann als eine Combination des
ersteren Systems mit dem letzteren angesehen werden. Desgleichen sind seine
Festungsthürme als feste, gemauerte Redouten zu betrachten.

Die Vorzüge des Tenaillen- lind Polygonalsystems vor dem bastionären
werden für den Leser am klarsten hervortreten, wenn ich erstere helpe mit dem
letzteren direct vergleiche.

Denkt man sich die Facen des Navelins dergestalt nach rückwärts verlängert,
daß sie in die Facen der Bastionen einschneiden, so werden, wenn gleichzeitig
Flanken und Courtine in Wegfall kommen, jene eine zusaimnenhängende En¬
ceinte formiren, welche der Idee der Montalambertschen emaillirter Umfassung
conform ist. Diese Enceinte wird zugleich stärker sein, wie die frühere bastio¬
näre, weil keine Trennung der Vertheidigungskräfte durch den Hauptgraben
stattfindet; weil der mittlere aufspringende Winkel, der frühere Ravelin, nun¬
mehr ebenfalls als ein Knotenpunkt der Vertheidigung gelten kann, und
Mannschaften wie Geschütze in den aufspringenden Winkeln weniger den
Rückenschüssen preisgegeben wird, als dies in den Bastionen der Fall ist; end¬
lich weil im eingehenden Winkel eine jede Linie zur andern in das Verhält¬
niß einer Flanke, nicht nur behufs der Grabenbestreichung, sondern auch des
Vorterraius, tritt. Es wird diese Enceinte aber auch zugleich weniger kost¬
spielig sein, als die bastionirte, weil bei ihr Bastionsflanken und Courtine er¬
spart werden. Der eingehende Winkel hat in diesem System, selbstredend ein .
bestimmtes Maß, nämlich 90 Grad, weil uur diese Größe den Bedingungen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/114>, abgerufen am 22.07.2024.