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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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Der Finanzaufwand hatte sich in 26 Jahren mehr als verachtfacht. 1815,
nach hergestellten Frieden betrug die Summe des umlaufenden Papiergeldes
700 Millionen Gulden, deren Cours bis 1816 bei zunehmender Entwerthung
den stärksten Schwankungen (zwischen 300 bis 430) ausgesetzt war. 1820 hatte
die Regierung allerdings das umlaufende Papiergeld auf 430 Millionen Florin
reducirt und den Cours desselben auf 230 gehoben. Diese Summe konnte mit
einem jährlichen Aufwand von 4 Millionen Florin in 43 Jahren eingezogen
werden. Die Regierung aber überließ diese Operation der Bank. Sie
erreichte zwar dadurch die Einlösung in der halben Zeit, aber um den Preis
einer Reihe von Anleihen, die der Bank zuflössen und eine jährliche Zinsenlast
von 4 Millionen Florin dem Staat hinterließen. Die Bank wurde überhaupt
auffallend begünstigt. 1823 verpflichtete sich die Negierung, der Bank die
Baarschaften zur Verfügung zu stellen, deren sie zur Einwechselung der Banknoten
bedürfen würde. Die Bank konnte seitdem in ihren Geschäften ihren Reali-
sirungsfonds bei weitem überschreiten: der Staat war für ihre Verbindlichkeiten
Solidarschuldner. Sie gewann ungeheure Summen. Die Dividende war 1810
auf 90 Florin, die Actien von 300 Florin auf 1883 Florin gestiegen. Dabei
kam sie als Discontobank nicht der Industrie und dem kleinen Handel, sondern
wesentlich nur den großen wiener Handelshäusern zu Gute, welche große Geld¬
summen zu 4 Procent erhalten und zu 6 Procent im Lande anlegen konnten.
Diese Begünstigung der Bank lag in dem ganzen politischen System, welches
in den bevorzugten Staatsgläubigern eine Geldaristokratie schuf, die den alten
bevorrechteten Ständen, dem Adel und der Geistlichkeit, das Gegengewicht hielt,
ohne die Ansprüche derselben zu erheben. Dazu kommt die Solidarität unter
der europäischen Geldaristokratie, welche die auf Europa lastenden 20 Mil¬
liarden Florin Schulden zu besorgen hat. Der gefesselte Eigennutz derselben ver¬
bürgt die Fügsamkeit im Innern und die Ruhe nach außen.

Die Leichtigkeit, nut der die Regierung durch Anleihen finanzielle Hilfs¬
mittel sich beschaffte, erschlaffte die Triebfedern sorgsamer Verwaltung; Handel
und Industrie wurden eher gehemmt als gefördert. Ungarn verblieb in
seiner Zollisolirung. Die Zwischenzolllinien der übrigen Landestheile wurden
erst 1826 aufgehoben, aber nicht vollständig. Das Prohibitivsystem mit Grenz¬
bewachung, Schmuggel, mit den Controlebefugnissen der Zollbehörden hemmte
die Bewegung des Handels. Nach außen fehlten Häfen und Ausmündungen,
Ein- und Ausfuhr blieben gering. Venedig, eine der wenigen Hafenstädte,
hatte von 1814- bis 1818 ein Drittel seiner Bevölkerung verloren; ein zweites
Drittel lebte von Unterstützungen. Die Dampfschiffahrt zwischen Trieft und
Venedig beutete noch 1828 ein monopolisirter Engländer aus; erst Herr von
Brück, ein Rheinpreuße von Geburt, schaffte Trieft von seiner trefflichen Lage
Vortheil. Der östreichische Handel aus östreichischen Schiffen blieb geringfügig;


Der Finanzaufwand hatte sich in 26 Jahren mehr als verachtfacht. 1815,
nach hergestellten Frieden betrug die Summe des umlaufenden Papiergeldes
700 Millionen Gulden, deren Cours bis 1816 bei zunehmender Entwerthung
den stärksten Schwankungen (zwischen 300 bis 430) ausgesetzt war. 1820 hatte
die Regierung allerdings das umlaufende Papiergeld auf 430 Millionen Florin
reducirt und den Cours desselben auf 230 gehoben. Diese Summe konnte mit
einem jährlichen Aufwand von 4 Millionen Florin in 43 Jahren eingezogen
werden. Die Regierung aber überließ diese Operation der Bank. Sie
erreichte zwar dadurch die Einlösung in der halben Zeit, aber um den Preis
einer Reihe von Anleihen, die der Bank zuflössen und eine jährliche Zinsenlast
von 4 Millionen Florin dem Staat hinterließen. Die Bank wurde überhaupt
auffallend begünstigt. 1823 verpflichtete sich die Negierung, der Bank die
Baarschaften zur Verfügung zu stellen, deren sie zur Einwechselung der Banknoten
bedürfen würde. Die Bank konnte seitdem in ihren Geschäften ihren Reali-
sirungsfonds bei weitem überschreiten: der Staat war für ihre Verbindlichkeiten
Solidarschuldner. Sie gewann ungeheure Summen. Die Dividende war 1810
auf 90 Florin, die Actien von 300 Florin auf 1883 Florin gestiegen. Dabei
kam sie als Discontobank nicht der Industrie und dem kleinen Handel, sondern
wesentlich nur den großen wiener Handelshäusern zu Gute, welche große Geld¬
summen zu 4 Procent erhalten und zu 6 Procent im Lande anlegen konnten.
Diese Begünstigung der Bank lag in dem ganzen politischen System, welches
in den bevorzugten Staatsgläubigern eine Geldaristokratie schuf, die den alten
bevorrechteten Ständen, dem Adel und der Geistlichkeit, das Gegengewicht hielt,
ohne die Ansprüche derselben zu erheben. Dazu kommt die Solidarität unter
der europäischen Geldaristokratie, welche die auf Europa lastenden 20 Mil¬
liarden Florin Schulden zu besorgen hat. Der gefesselte Eigennutz derselben ver¬
bürgt die Fügsamkeit im Innern und die Ruhe nach außen.

Die Leichtigkeit, nut der die Regierung durch Anleihen finanzielle Hilfs¬
mittel sich beschaffte, erschlaffte die Triebfedern sorgsamer Verwaltung; Handel
und Industrie wurden eher gehemmt als gefördert. Ungarn verblieb in
seiner Zollisolirung. Die Zwischenzolllinien der übrigen Landestheile wurden
erst 1826 aufgehoben, aber nicht vollständig. Das Prohibitivsystem mit Grenz¬
bewachung, Schmuggel, mit den Controlebefugnissen der Zollbehörden hemmte
die Bewegung des Handels. Nach außen fehlten Häfen und Ausmündungen,
Ein- und Ausfuhr blieben gering. Venedig, eine der wenigen Hafenstädte,
hatte von 1814- bis 1818 ein Drittel seiner Bevölkerung verloren; ein zweites
Drittel lebte von Unterstützungen. Die Dampfschiffahrt zwischen Trieft und
Venedig beutete noch 1828 ein monopolisirter Engländer aus; erst Herr von
Brück, ein Rheinpreuße von Geburt, schaffte Trieft von seiner trefflichen Lage
Vortheil. Der östreichische Handel aus östreichischen Schiffen blieb geringfügig;


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[0108] Der Finanzaufwand hatte sich in 26 Jahren mehr als verachtfacht. 1815, nach hergestellten Frieden betrug die Summe des umlaufenden Papiergeldes 700 Millionen Gulden, deren Cours bis 1816 bei zunehmender Entwerthung den stärksten Schwankungen (zwischen 300 bis 430) ausgesetzt war. 1820 hatte die Regierung allerdings das umlaufende Papiergeld auf 430 Millionen Florin reducirt und den Cours desselben auf 230 gehoben. Diese Summe konnte mit einem jährlichen Aufwand von 4 Millionen Florin in 43 Jahren eingezogen werden. Die Regierung aber überließ diese Operation der Bank. Sie erreichte zwar dadurch die Einlösung in der halben Zeit, aber um den Preis einer Reihe von Anleihen, die der Bank zuflössen und eine jährliche Zinsenlast von 4 Millionen Florin dem Staat hinterließen. Die Bank wurde überhaupt auffallend begünstigt. 1823 verpflichtete sich die Negierung, der Bank die Baarschaften zur Verfügung zu stellen, deren sie zur Einwechselung der Banknoten bedürfen würde. Die Bank konnte seitdem in ihren Geschäften ihren Reali- sirungsfonds bei weitem überschreiten: der Staat war für ihre Verbindlichkeiten Solidarschuldner. Sie gewann ungeheure Summen. Die Dividende war 1810 auf 90 Florin, die Actien von 300 Florin auf 1883 Florin gestiegen. Dabei kam sie als Discontobank nicht der Industrie und dem kleinen Handel, sondern wesentlich nur den großen wiener Handelshäusern zu Gute, welche große Geld¬ summen zu 4 Procent erhalten und zu 6 Procent im Lande anlegen konnten. Diese Begünstigung der Bank lag in dem ganzen politischen System, welches in den bevorzugten Staatsgläubigern eine Geldaristokratie schuf, die den alten bevorrechteten Ständen, dem Adel und der Geistlichkeit, das Gegengewicht hielt, ohne die Ansprüche derselben zu erheben. Dazu kommt die Solidarität unter der europäischen Geldaristokratie, welche die auf Europa lastenden 20 Mil¬ liarden Florin Schulden zu besorgen hat. Der gefesselte Eigennutz derselben ver¬ bürgt die Fügsamkeit im Innern und die Ruhe nach außen. Die Leichtigkeit, nut der die Regierung durch Anleihen finanzielle Hilfs¬ mittel sich beschaffte, erschlaffte die Triebfedern sorgsamer Verwaltung; Handel und Industrie wurden eher gehemmt als gefördert. Ungarn verblieb in seiner Zollisolirung. Die Zwischenzolllinien der übrigen Landestheile wurden erst 1826 aufgehoben, aber nicht vollständig. Das Prohibitivsystem mit Grenz¬ bewachung, Schmuggel, mit den Controlebefugnissen der Zollbehörden hemmte die Bewegung des Handels. Nach außen fehlten Häfen und Ausmündungen, Ein- und Ausfuhr blieben gering. Venedig, eine der wenigen Hafenstädte, hatte von 1814- bis 1818 ein Drittel seiner Bevölkerung verloren; ein zweites Drittel lebte von Unterstützungen. Die Dampfschiffahrt zwischen Trieft und Venedig beutete noch 1828 ein monopolisirter Engländer aus; erst Herr von Brück, ein Rheinpreuße von Geburt, schaffte Trieft von seiner trefflichen Lage Vortheil. Der östreichische Handel aus östreichischen Schiffen blieb geringfügig;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/108>, abgerufen am 22.07.2024.