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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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Brentano, Bettina geführt, in Bamberg traf er Hegel, Schlegel, den er wieder
auf einen Augenblick besuchte, sprach sich über Goethe jetzt sehr kalt und sast
geringschätzig aus. Er schrieb über die Uebersetzung des Ariost eine sehr ein¬
gehende Kritik in die Heidelberger Jahrbücher.

An die Uebersetzung des Calderon ging Gries mit dem gewissenhaften
Ernst und den gründlichen Studien, die überhaupt alle seine Arbeiten aus¬
zeichnen. -1814 erschien der erste Band, in welchem unter anderem "das Leben
ein Traum" enthalten war, ein Drama, welches auf die Entwicklung der deut¬
schen Bühne den größten Einfluß ausgeübt hat. Fast alle zwei Jahre folgte
ein neuer Band, so daß Gries bis zum Jahre 1823 dreizehn Stücke übersetzt
hatte. Das Werk sand vielen Anklang, mit der reinsten Anerkennung sprach
sich Goethe darüber aus. Wir haben über das Princip des Uebersetzens unsre
Ansicht schon mehrfach ausgesprochen. Der von Schlegel aufgestellte Grund¬
satz, daß jede poetische Uebersetzung streng das Versmaß des Originals bei¬
behalten muß, scheint uns für Sprachen von so verschiedener Statur nicht an¬
wendbar. Die romanischen Sprachen haben keine Quantität, kaum einen
bestimmt ausgesprochenen Accent, dasür einen sehr reichentwickelten Vocalismus
und einen schönen sinnlichen Klang. Auf unser Ohr macht also der nachgebildete
Rhythmus einen ganz andern Eindruck, als der Rhythmus des Originals, und
dabei wird doch der Dichter zu Gewaltthätigkeiten gegen die Sprache verführt,
die, wenn das Geschäft des Uebersetzens so massenhaft getrieben wird, wie es
in den zwanziger Jahren geschah, auf alle Fälle einen schädlichen Einfluß auf den
poetischen Stil ausüben. Das Calderonisiren im Stil ist für unser Theater
fast ebenso nachtheilig gewesen, als das Calderonisiren im Inhalt. Indeß ist
diese Einwirkung jetzt glücklicherweise überwunden, der dramatische Dichter, der
heutzutage noch calderonisiren wollte, würde allgemein ausgezischt werden, und
so können wir nun an diesen kunstreichen Versuchen, die uns den seltsamsten und
begabtesten unter allen romanischen Dichtern vergegenwärtigen, ein unbefangenes
Wohlgefallen haben. Unzweifelhaft hat Gries sein Vorbild Schlegel erreicht;
sein Nachfolger Malsburg, dem "wir gleichfalls die Uebersetzung von zwölf
neuen Dramen verdanken, fand einen schon völlig ausgebildeten und fertigen
Stil vor, und sein Geschäft war daher sehr erleichtert.

Später wandte sich Gries wieder der italienischen Poesie zu. Er über¬
setzte den Nichardett und den Bojardo; das letztere große Werk vollendete er
1833. Aber das Publicum war bereits für dergleichen Leistungen unempfänglich
geworden. In die Poesie wie in das Leben war jene realistische Richtung
eingetreten, in welcher die alten romantischen Ideale nicht gedeihen konnten.

Das äußere Leben des wackern Mannes war nicht erfreulich. Jena war
ein verkümmerter Ort geworden; er setzte von Zeit zu Zeit seine Wanderungen
sort, aber die lebendige Mittheilung mit gleichgestimmten Freunden war ihm


Brentano, Bettina geführt, in Bamberg traf er Hegel, Schlegel, den er wieder
auf einen Augenblick besuchte, sprach sich über Goethe jetzt sehr kalt und sast
geringschätzig aus. Er schrieb über die Uebersetzung des Ariost eine sehr ein¬
gehende Kritik in die Heidelberger Jahrbücher.

An die Uebersetzung des Calderon ging Gries mit dem gewissenhaften
Ernst und den gründlichen Studien, die überhaupt alle seine Arbeiten aus¬
zeichnen. -1814 erschien der erste Band, in welchem unter anderem „das Leben
ein Traum" enthalten war, ein Drama, welches auf die Entwicklung der deut¬
schen Bühne den größten Einfluß ausgeübt hat. Fast alle zwei Jahre folgte
ein neuer Band, so daß Gries bis zum Jahre 1823 dreizehn Stücke übersetzt
hatte. Das Werk sand vielen Anklang, mit der reinsten Anerkennung sprach
sich Goethe darüber aus. Wir haben über das Princip des Uebersetzens unsre
Ansicht schon mehrfach ausgesprochen. Der von Schlegel aufgestellte Grund¬
satz, daß jede poetische Uebersetzung streng das Versmaß des Originals bei¬
behalten muß, scheint uns für Sprachen von so verschiedener Statur nicht an¬
wendbar. Die romanischen Sprachen haben keine Quantität, kaum einen
bestimmt ausgesprochenen Accent, dasür einen sehr reichentwickelten Vocalismus
und einen schönen sinnlichen Klang. Auf unser Ohr macht also der nachgebildete
Rhythmus einen ganz andern Eindruck, als der Rhythmus des Originals, und
dabei wird doch der Dichter zu Gewaltthätigkeiten gegen die Sprache verführt,
die, wenn das Geschäft des Uebersetzens so massenhaft getrieben wird, wie es
in den zwanziger Jahren geschah, auf alle Fälle einen schädlichen Einfluß auf den
poetischen Stil ausüben. Das Calderonisiren im Stil ist für unser Theater
fast ebenso nachtheilig gewesen, als das Calderonisiren im Inhalt. Indeß ist
diese Einwirkung jetzt glücklicherweise überwunden, der dramatische Dichter, der
heutzutage noch calderonisiren wollte, würde allgemein ausgezischt werden, und
so können wir nun an diesen kunstreichen Versuchen, die uns den seltsamsten und
begabtesten unter allen romanischen Dichtern vergegenwärtigen, ein unbefangenes
Wohlgefallen haben. Unzweifelhaft hat Gries sein Vorbild Schlegel erreicht;
sein Nachfolger Malsburg, dem »wir gleichfalls die Uebersetzung von zwölf
neuen Dramen verdanken, fand einen schon völlig ausgebildeten und fertigen
Stil vor, und sein Geschäft war daher sehr erleichtert.

Später wandte sich Gries wieder der italienischen Poesie zu. Er über¬
setzte den Nichardett und den Bojardo; das letztere große Werk vollendete er
1833. Aber das Publicum war bereits für dergleichen Leistungen unempfänglich
geworden. In die Poesie wie in das Leben war jene realistische Richtung
eingetreten, in welcher die alten romantischen Ideale nicht gedeihen konnten.

Das äußere Leben des wackern Mannes war nicht erfreulich. Jena war
ein verkümmerter Ort geworden; er setzte von Zeit zu Zeit seine Wanderungen
sort, aber die lebendige Mittheilung mit gleichgestimmten Freunden war ihm


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[0054] Brentano, Bettina geführt, in Bamberg traf er Hegel, Schlegel, den er wieder auf einen Augenblick besuchte, sprach sich über Goethe jetzt sehr kalt und sast geringschätzig aus. Er schrieb über die Uebersetzung des Ariost eine sehr ein¬ gehende Kritik in die Heidelberger Jahrbücher. An die Uebersetzung des Calderon ging Gries mit dem gewissenhaften Ernst und den gründlichen Studien, die überhaupt alle seine Arbeiten aus¬ zeichnen. -1814 erschien der erste Band, in welchem unter anderem „das Leben ein Traum" enthalten war, ein Drama, welches auf die Entwicklung der deut¬ schen Bühne den größten Einfluß ausgeübt hat. Fast alle zwei Jahre folgte ein neuer Band, so daß Gries bis zum Jahre 1823 dreizehn Stücke übersetzt hatte. Das Werk sand vielen Anklang, mit der reinsten Anerkennung sprach sich Goethe darüber aus. Wir haben über das Princip des Uebersetzens unsre Ansicht schon mehrfach ausgesprochen. Der von Schlegel aufgestellte Grund¬ satz, daß jede poetische Uebersetzung streng das Versmaß des Originals bei¬ behalten muß, scheint uns für Sprachen von so verschiedener Statur nicht an¬ wendbar. Die romanischen Sprachen haben keine Quantität, kaum einen bestimmt ausgesprochenen Accent, dasür einen sehr reichentwickelten Vocalismus und einen schönen sinnlichen Klang. Auf unser Ohr macht also der nachgebildete Rhythmus einen ganz andern Eindruck, als der Rhythmus des Originals, und dabei wird doch der Dichter zu Gewaltthätigkeiten gegen die Sprache verführt, die, wenn das Geschäft des Uebersetzens so massenhaft getrieben wird, wie es in den zwanziger Jahren geschah, auf alle Fälle einen schädlichen Einfluß auf den poetischen Stil ausüben. Das Calderonisiren im Stil ist für unser Theater fast ebenso nachtheilig gewesen, als das Calderonisiren im Inhalt. Indeß ist diese Einwirkung jetzt glücklicherweise überwunden, der dramatische Dichter, der heutzutage noch calderonisiren wollte, würde allgemein ausgezischt werden, und so können wir nun an diesen kunstreichen Versuchen, die uns den seltsamsten und begabtesten unter allen romanischen Dichtern vergegenwärtigen, ein unbefangenes Wohlgefallen haben. Unzweifelhaft hat Gries sein Vorbild Schlegel erreicht; sein Nachfolger Malsburg, dem »wir gleichfalls die Uebersetzung von zwölf neuen Dramen verdanken, fand einen schon völlig ausgebildeten und fertigen Stil vor, und sein Geschäft war daher sehr erleichtert. Später wandte sich Gries wieder der italienischen Poesie zu. Er über¬ setzte den Nichardett und den Bojardo; das letztere große Werk vollendete er 1833. Aber das Publicum war bereits für dergleichen Leistungen unempfänglich geworden. In die Poesie wie in das Leben war jene realistische Richtung eingetreten, in welcher die alten romantischen Ideale nicht gedeihen konnten. Das äußere Leben des wackern Mannes war nicht erfreulich. Jena war ein verkümmerter Ort geworden; er setzte von Zeit zu Zeit seine Wanderungen sort, aber die lebendige Mittheilung mit gleichgestimmten Freunden war ihm

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/54>, abgerufen am 03.07.2024.