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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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die Resignation, mit der in seinen reifsten Werken die stärksten Empfindungen
sich vor dem Walten der Götter bescheiden, ist nichts Anderes, als die Aner¬
kennung dieser Naturnothwendigkeit, in welcher der Schmerz nur eine Erschei¬
nung ist.

Nicht so unbedenklich, als in den römischen Elegien, finden wir den Natur¬
cultus in den Venetianischen Epigrammen. Die heidnische Sinnlichkeit, die
sich in jenen heiter und unbefangen geltend macht, sieht in diesen zuweilen
etwas verwittert aus. Der Dichter ist in das nordische Klima zurückgekehrt,
sein Vaterland ist ihm fremd geworden, die überall hervorbrechende Gefühls¬
weichheit, die pietistische Unklarheit ist ihm zuwider, der immer dunkler werdende
Horizont mit dem Ungewitter der Revolution macht ihm Grauen, für die Welt
der Ideen hat er noch kein Verständniß gewonnen, und so flüchtet er denn
mit einem gewissen Trotz in diejenigen Stätten, die dem deutschen Idealismus
am fremdartigsten sind; er sucht die Spelunken auf, verkehrt mit Gauklern und
Vettine, die zierliche Lacerte, wird seine Muse. In diese Zeit fallen auch
seine heftigsten Ausfälle gegen das Christenthum.

Nun lernte er in dem schönsten Freundesbunde, der seinem Leben beschie-
den war, die Ideenwelt zunächst als eine subjective psychologische Erscheinung
schätzen und lieben; er verehrte zunächst den Idealisten und das machte ihm
auch die Ideen vertraut. Zugleich nahm die Philosophie durch Schelling eine
Wendung, die sie aus dem Reich todter Begriffe wieder in das lebendige
Studium der Natur zurückkehren ließ. Sein Denken versöhnte sich mit seinem
Empfinden, und die reinsten Dichtungen quollen aus seiner Seele. Aleris
und Dora hält sich durchaus in den griechischen Formen. Nicht blos das
wirklich darin geschilderte Leben, sondern auch die herkömmlichen Betrachtungen
(z. B. der Donner im Augenblick des höchsten Glücks) sind, den griechischen
Dichtern entlehnt, und doch kann man das Gedicht auch ebensogut deutsch
nennen, denn es drückt die allgemein menschliche Empfindung mit einer Glut
und einem Adel aus, wie sie nie ein anderer Dichter wiedergefunden hat.
Die Schilderung des Augenblicks, wo in Aleris zuerst das Gefühl der Liebe
erwacht, ist eins 'von jenen Geheimnissen der Poesie, die Uns den Glauben an
eine wirkliche Schöpfung einflößen, obgleich auch hier der Dichter nur die
Natur belauscht. Wenn man die höchste Verbindung klarer Sinnlichkeit und
innigen Gefühls als das Ideal der lyrischen Poesie bezeichnen kann, so gebührt
diesem Gedicht die erste Stelle in unsrem Pantheon. -- Ebenbürtig schließt
sich "Euphrosyne" daran an. Hier erzählt uns der Dichter ein Fragment
aus seinem eignen Leben,'trotzdem hat er zur Wiedergabe der Stimmung wieder
griechische Farben angewendet, aber sie sind im schönsten Ebenmaß mit seinem
Gefühl, und der milde Dämmerungstvn der Wehmuth macht einen um so
reinern Eindruck/ da er nicht im mindesten unkräftt'g ist, da die stärkste Regung


die Resignation, mit der in seinen reifsten Werken die stärksten Empfindungen
sich vor dem Walten der Götter bescheiden, ist nichts Anderes, als die Aner¬
kennung dieser Naturnothwendigkeit, in welcher der Schmerz nur eine Erschei¬
nung ist.

Nicht so unbedenklich, als in den römischen Elegien, finden wir den Natur¬
cultus in den Venetianischen Epigrammen. Die heidnische Sinnlichkeit, die
sich in jenen heiter und unbefangen geltend macht, sieht in diesen zuweilen
etwas verwittert aus. Der Dichter ist in das nordische Klima zurückgekehrt,
sein Vaterland ist ihm fremd geworden, die überall hervorbrechende Gefühls¬
weichheit, die pietistische Unklarheit ist ihm zuwider, der immer dunkler werdende
Horizont mit dem Ungewitter der Revolution macht ihm Grauen, für die Welt
der Ideen hat er noch kein Verständniß gewonnen, und so flüchtet er denn
mit einem gewissen Trotz in diejenigen Stätten, die dem deutschen Idealismus
am fremdartigsten sind; er sucht die Spelunken auf, verkehrt mit Gauklern und
Vettine, die zierliche Lacerte, wird seine Muse. In diese Zeit fallen auch
seine heftigsten Ausfälle gegen das Christenthum.

Nun lernte er in dem schönsten Freundesbunde, der seinem Leben beschie-
den war, die Ideenwelt zunächst als eine subjective psychologische Erscheinung
schätzen und lieben; er verehrte zunächst den Idealisten und das machte ihm
auch die Ideen vertraut. Zugleich nahm die Philosophie durch Schelling eine
Wendung, die sie aus dem Reich todter Begriffe wieder in das lebendige
Studium der Natur zurückkehren ließ. Sein Denken versöhnte sich mit seinem
Empfinden, und die reinsten Dichtungen quollen aus seiner Seele. Aleris
und Dora hält sich durchaus in den griechischen Formen. Nicht blos das
wirklich darin geschilderte Leben, sondern auch die herkömmlichen Betrachtungen
(z. B. der Donner im Augenblick des höchsten Glücks) sind, den griechischen
Dichtern entlehnt, und doch kann man das Gedicht auch ebensogut deutsch
nennen, denn es drückt die allgemein menschliche Empfindung mit einer Glut
und einem Adel aus, wie sie nie ein anderer Dichter wiedergefunden hat.
Die Schilderung des Augenblicks, wo in Aleris zuerst das Gefühl der Liebe
erwacht, ist eins 'von jenen Geheimnissen der Poesie, die Uns den Glauben an
eine wirkliche Schöpfung einflößen, obgleich auch hier der Dichter nur die
Natur belauscht. Wenn man die höchste Verbindung klarer Sinnlichkeit und
innigen Gefühls als das Ideal der lyrischen Poesie bezeichnen kann, so gebührt
diesem Gedicht die erste Stelle in unsrem Pantheon. — Ebenbürtig schließt
sich „Euphrosyne" daran an. Hier erzählt uns der Dichter ein Fragment
aus seinem eignen Leben,'trotzdem hat er zur Wiedergabe der Stimmung wieder
griechische Farben angewendet, aber sie sind im schönsten Ebenmaß mit seinem
Gefühl, und der milde Dämmerungstvn der Wehmuth macht einen um so
reinern Eindruck/ da er nicht im mindesten unkräftt'g ist, da die stärkste Regung


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[0504] die Resignation, mit der in seinen reifsten Werken die stärksten Empfindungen sich vor dem Walten der Götter bescheiden, ist nichts Anderes, als die Aner¬ kennung dieser Naturnothwendigkeit, in welcher der Schmerz nur eine Erschei¬ nung ist. Nicht so unbedenklich, als in den römischen Elegien, finden wir den Natur¬ cultus in den Venetianischen Epigrammen. Die heidnische Sinnlichkeit, die sich in jenen heiter und unbefangen geltend macht, sieht in diesen zuweilen etwas verwittert aus. Der Dichter ist in das nordische Klima zurückgekehrt, sein Vaterland ist ihm fremd geworden, die überall hervorbrechende Gefühls¬ weichheit, die pietistische Unklarheit ist ihm zuwider, der immer dunkler werdende Horizont mit dem Ungewitter der Revolution macht ihm Grauen, für die Welt der Ideen hat er noch kein Verständniß gewonnen, und so flüchtet er denn mit einem gewissen Trotz in diejenigen Stätten, die dem deutschen Idealismus am fremdartigsten sind; er sucht die Spelunken auf, verkehrt mit Gauklern und Vettine, die zierliche Lacerte, wird seine Muse. In diese Zeit fallen auch seine heftigsten Ausfälle gegen das Christenthum. Nun lernte er in dem schönsten Freundesbunde, der seinem Leben beschie- den war, die Ideenwelt zunächst als eine subjective psychologische Erscheinung schätzen und lieben; er verehrte zunächst den Idealisten und das machte ihm auch die Ideen vertraut. Zugleich nahm die Philosophie durch Schelling eine Wendung, die sie aus dem Reich todter Begriffe wieder in das lebendige Studium der Natur zurückkehren ließ. Sein Denken versöhnte sich mit seinem Empfinden, und die reinsten Dichtungen quollen aus seiner Seele. Aleris und Dora hält sich durchaus in den griechischen Formen. Nicht blos das wirklich darin geschilderte Leben, sondern auch die herkömmlichen Betrachtungen (z. B. der Donner im Augenblick des höchsten Glücks) sind, den griechischen Dichtern entlehnt, und doch kann man das Gedicht auch ebensogut deutsch nennen, denn es drückt die allgemein menschliche Empfindung mit einer Glut und einem Adel aus, wie sie nie ein anderer Dichter wiedergefunden hat. Die Schilderung des Augenblicks, wo in Aleris zuerst das Gefühl der Liebe erwacht, ist eins 'von jenen Geheimnissen der Poesie, die Uns den Glauben an eine wirkliche Schöpfung einflößen, obgleich auch hier der Dichter nur die Natur belauscht. Wenn man die höchste Verbindung klarer Sinnlichkeit und innigen Gefühls als das Ideal der lyrischen Poesie bezeichnen kann, so gebührt diesem Gedicht die erste Stelle in unsrem Pantheon. — Ebenbürtig schließt sich „Euphrosyne" daran an. Hier erzählt uns der Dichter ein Fragment aus seinem eignen Leben,'trotzdem hat er zur Wiedergabe der Stimmung wieder griechische Farben angewendet, aber sie sind im schönsten Ebenmaß mit seinem Gefühl, und der milde Dämmerungstvn der Wehmuth macht einen um so reinern Eindruck/ da er nicht im mindesten unkräftt'g ist, da die stärkste Regung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/504>, abgerufen am 03.07.2024.