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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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alle Morgen eine Stund Wegs zu fahren, eh ich nur ein Thier durfte anbeißen
lassen; erst durch unsre Viehweid, dann durch einen großen Wald, und so fort
und fort in die Kreuz und Quer, bald durch diese, bald durch jenes Ab¬
theilung der Gegend, deren jede ich mit einem eignen Namen taufte. Da
hieß es, im vordern Boden, dort, zwischen den Felsen, hier in die Weißlaube,
dort im Kvllermelch, auf den Blatten, im .Kessel und s. f. Alle Tag hütete
ich an einem andern Ort, bald sonnen- bald schattenhalb. Zu Mittag aß ich
mein Bröilein und was mir sonst etwa die Mutter verstohlen mitgab. Auch
hatt ich meine eigne Geis, an der ich sog. Die Geisaugen waren meine Uhr.
Gegen Abend fuhr ich immer wieder den nämlichen Weg nach Haus, auf dem
ich gekommen war.

Welche Lust, bei angenehmen Sommertagen über die Hügel zu fahren --
durch Schaltenwälder streichen -- durchs Gebüsch EinHörnchen jagen, und-
Vogelnester ausnehmen! Alle Mittag lagerten wir uns am Bach; da ruhten
meine Geisen zwei bis drei Stunden aus, wann es heiß war noch mehr. Ich
aß mein Mittagbrot, sog mein Geischen, habe in spiegelhellem Wasser und
spielte mit den jungen Gitzer. Immer hatt ich einen Gertel oder eine kleine
Art bei mir, und fällte junge Zännchen, Weiden oder Ilmer. Dann kamen
meine Geisen haufenweis und tafelten das Laub ab. Wenn ich ihnen Leck,
Leck! rüste, dann gings gar im Galopp, und würd ich von ihnen wie eingc
mauert. Alles Laub und Kräuter, die sie fraßen, kostete auch ich; und einige
schmeckten mir sehr gut. So lang der Sommer währte, florirten die Erd-, Im-,
Heidel- und Brombeeren; deren hatt ich immer vollauf, und konnte noch der
Mutter am Abend mehr als genug many Haus bringen. Das war ein herz¬
liches Labsal, bis ich mich einst davon bis zum Ekel überfraß. -- Und welch
Vergnügen machte mir nicht jeder Tag, jeder neue Morgen; wenn jetzt die
Sonne die Hügel vergoldete, denen ich mit meiner Herde entgegenstieg, dann
jenen baldigen Buchenwald, und endlich die Wiesen und Weidplätze beschien.
Tausendmal denk ich dran; und oft buntes mich, die Sonne scheine jetzt
nicht mehr so schön. Wann dann alle anliegenden Gebüsche von jubilirenden
Vögeln ertönten, und dieselben um mich her hüpften -- O! Was fühlt ich
da! -- Ha, ich weiß es nicht! -- Halt süße, süße Lust! Da sang und trillerte
ich dann mit, bis ich heiser ward. Ein ander Mal spürte ich diesen muntern
Waldbürgern durch alle Stauden nach, ergötzte mich an ihrem hübschen Gesie¬
der, und wünschte, daß sie nur halb so zahm wären wie meine Geisen; be¬
guckte ihre Jungen und ihre Eier und erstaunte über den wundervollen Bau
ihrer Nester. Oft fand ich deren in der Erde, im Moos, in Farrn, unter
alten Stöcken, in den dicksten Dörnern, in Felsritzen, in hohlen Tannen oder
Buchen; oft hoch im Gipfel -- in der Mitte -- zu äußerst ans einem Ast.
Meist wußt ich ihrer etliche. Das war mir eine Wonne und fast mein einziger


alle Morgen eine Stund Wegs zu fahren, eh ich nur ein Thier durfte anbeißen
lassen; erst durch unsre Viehweid, dann durch einen großen Wald, und so fort
und fort in die Kreuz und Quer, bald durch diese, bald durch jenes Ab¬
theilung der Gegend, deren jede ich mit einem eignen Namen taufte. Da
hieß es, im vordern Boden, dort, zwischen den Felsen, hier in die Weißlaube,
dort im Kvllermelch, auf den Blatten, im .Kessel und s. f. Alle Tag hütete
ich an einem andern Ort, bald sonnen- bald schattenhalb. Zu Mittag aß ich
mein Bröilein und was mir sonst etwa die Mutter verstohlen mitgab. Auch
hatt ich meine eigne Geis, an der ich sog. Die Geisaugen waren meine Uhr.
Gegen Abend fuhr ich immer wieder den nämlichen Weg nach Haus, auf dem
ich gekommen war.

Welche Lust, bei angenehmen Sommertagen über die Hügel zu fahren —
durch Schaltenwälder streichen — durchs Gebüsch EinHörnchen jagen, und-
Vogelnester ausnehmen! Alle Mittag lagerten wir uns am Bach; da ruhten
meine Geisen zwei bis drei Stunden aus, wann es heiß war noch mehr. Ich
aß mein Mittagbrot, sog mein Geischen, habe in spiegelhellem Wasser und
spielte mit den jungen Gitzer. Immer hatt ich einen Gertel oder eine kleine
Art bei mir, und fällte junge Zännchen, Weiden oder Ilmer. Dann kamen
meine Geisen haufenweis und tafelten das Laub ab. Wenn ich ihnen Leck,
Leck! rüste, dann gings gar im Galopp, und würd ich von ihnen wie eingc
mauert. Alles Laub und Kräuter, die sie fraßen, kostete auch ich; und einige
schmeckten mir sehr gut. So lang der Sommer währte, florirten die Erd-, Im-,
Heidel- und Brombeeren; deren hatt ich immer vollauf, und konnte noch der
Mutter am Abend mehr als genug many Haus bringen. Das war ein herz¬
liches Labsal, bis ich mich einst davon bis zum Ekel überfraß. — Und welch
Vergnügen machte mir nicht jeder Tag, jeder neue Morgen; wenn jetzt die
Sonne die Hügel vergoldete, denen ich mit meiner Herde entgegenstieg, dann
jenen baldigen Buchenwald, und endlich die Wiesen und Weidplätze beschien.
Tausendmal denk ich dran; und oft buntes mich, die Sonne scheine jetzt
nicht mehr so schön. Wann dann alle anliegenden Gebüsche von jubilirenden
Vögeln ertönten, und dieselben um mich her hüpften — O! Was fühlt ich
da! — Ha, ich weiß es nicht! — Halt süße, süße Lust! Da sang und trillerte
ich dann mit, bis ich heiser ward. Ein ander Mal spürte ich diesen muntern
Waldbürgern durch alle Stauden nach, ergötzte mich an ihrem hübschen Gesie¬
der, und wünschte, daß sie nur halb so zahm wären wie meine Geisen; be¬
guckte ihre Jungen und ihre Eier und erstaunte über den wundervollen Bau
ihrer Nester. Oft fand ich deren in der Erde, im Moos, in Farrn, unter
alten Stöcken, in den dicksten Dörnern, in Felsritzen, in hohlen Tannen oder
Buchen; oft hoch im Gipfel — in der Mitte — zu äußerst ans einem Ast.
Meist wußt ich ihrer etliche. Das war mir eine Wonne und fast mein einziger


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[0432] alle Morgen eine Stund Wegs zu fahren, eh ich nur ein Thier durfte anbeißen lassen; erst durch unsre Viehweid, dann durch einen großen Wald, und so fort und fort in die Kreuz und Quer, bald durch diese, bald durch jenes Ab¬ theilung der Gegend, deren jede ich mit einem eignen Namen taufte. Da hieß es, im vordern Boden, dort, zwischen den Felsen, hier in die Weißlaube, dort im Kvllermelch, auf den Blatten, im .Kessel und s. f. Alle Tag hütete ich an einem andern Ort, bald sonnen- bald schattenhalb. Zu Mittag aß ich mein Bröilein und was mir sonst etwa die Mutter verstohlen mitgab. Auch hatt ich meine eigne Geis, an der ich sog. Die Geisaugen waren meine Uhr. Gegen Abend fuhr ich immer wieder den nämlichen Weg nach Haus, auf dem ich gekommen war. Welche Lust, bei angenehmen Sommertagen über die Hügel zu fahren — durch Schaltenwälder streichen — durchs Gebüsch EinHörnchen jagen, und- Vogelnester ausnehmen! Alle Mittag lagerten wir uns am Bach; da ruhten meine Geisen zwei bis drei Stunden aus, wann es heiß war noch mehr. Ich aß mein Mittagbrot, sog mein Geischen, habe in spiegelhellem Wasser und spielte mit den jungen Gitzer. Immer hatt ich einen Gertel oder eine kleine Art bei mir, und fällte junge Zännchen, Weiden oder Ilmer. Dann kamen meine Geisen haufenweis und tafelten das Laub ab. Wenn ich ihnen Leck, Leck! rüste, dann gings gar im Galopp, und würd ich von ihnen wie eingc mauert. Alles Laub und Kräuter, die sie fraßen, kostete auch ich; und einige schmeckten mir sehr gut. So lang der Sommer währte, florirten die Erd-, Im-, Heidel- und Brombeeren; deren hatt ich immer vollauf, und konnte noch der Mutter am Abend mehr als genug many Haus bringen. Das war ein herz¬ liches Labsal, bis ich mich einst davon bis zum Ekel überfraß. — Und welch Vergnügen machte mir nicht jeder Tag, jeder neue Morgen; wenn jetzt die Sonne die Hügel vergoldete, denen ich mit meiner Herde entgegenstieg, dann jenen baldigen Buchenwald, und endlich die Wiesen und Weidplätze beschien. Tausendmal denk ich dran; und oft buntes mich, die Sonne scheine jetzt nicht mehr so schön. Wann dann alle anliegenden Gebüsche von jubilirenden Vögeln ertönten, und dieselben um mich her hüpften — O! Was fühlt ich da! — Ha, ich weiß es nicht! — Halt süße, süße Lust! Da sang und trillerte ich dann mit, bis ich heiser ward. Ein ander Mal spürte ich diesen muntern Waldbürgern durch alle Stauden nach, ergötzte mich an ihrem hübschen Gesie¬ der, und wünschte, daß sie nur halb so zahm wären wie meine Geisen; be¬ guckte ihre Jungen und ihre Eier und erstaunte über den wundervollen Bau ihrer Nester. Oft fand ich deren in der Erde, im Moos, in Farrn, unter alten Stöcken, in den dicksten Dörnern, in Felsritzen, in hohlen Tannen oder Buchen; oft hoch im Gipfel — in der Mitte — zu äußerst ans einem Ast. Meist wußt ich ihrer etliche. Das war mir eine Wonne und fast mein einziger

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/432>, abgerufen am 22.07.2024.