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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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über, die Masse von Proletariern des Schauspielerstandes, welche dnrch diese
Institute in erschreckender Weise vermehrt wird, bemüht sich im Winter unter
jeden Bedingungen ein Unterkommen bei festen Bühnen zu finden und die ge¬
müthliche Plumpheit dringt so durch alle Ritzen auf das Repertoir, das Po¬
dium und die Galerien der. festern Institute. Es läßt sich behaupten, ' daß
nichts so sehr das Verderben der deutschen Bühne beschleunigt hat, als der
Aufbau der Sommertheater.

Wenn diese Uebelstände die Stadttheater mehr drückten, als die Hofbühnen,
so hatten die Stadttheater doch auch manche Vortheile. Zuerst konnte es für sie von
Nutzen werde", daß sie ganz auf die Theilnahme des Publicums gestellt waren ;
denn sie konnten voraussichtlich nur an solchen Orten gedeihen, welche menschen¬
reich, intelligent und wohlhabend waren. Sie waren zwar in der Lage, der Zeit¬
strömung zu folgen und für Ausstattung und Gage große Summen auszugeben,
aber sie konnten hierin leichter kluges Maß halten, als lururiöse Hoftheater. Bei
einer systematischen Behandlung des Publicums, welche vermied, Ausstattungs¬
stücke mit zu brillantem Wtterkram zu geben, konnte ein anständiges Maß in
Decorationen und Garderobe wol innegehalten werden. Wenn ein solches
Theater auf den zweifelhaften Vortheil verzichtete, Virtuosen erster Größe an
sich zu fesseln, und seine ganze Kraft darauf richtete, ein gutes Ensemble,
energisches Tempo, sorgfältiges Einstudiren durchzusetzen, so konnte das Publi-
cum dieser Städte sehr wohl an seiner Bühne Freude haben. Daß dies möglich,
ist hier und da vorübergehend bewiesen worden.

Statt dessen zeigten die Stadttheater fast ohne Ausnahme die entgegenge¬
setzten Erscheinungen. Aus kurzsichtiger Gewinnsucht wurden einzelne Stücke
mit übermäßiger Pracht ausgestattet und dadurch, das Knappe und oft Mes-
quine gewöhnlicher Darstellungen dem Publicum recht sichtbar gemacht. Statt
auf ein gutes Ensemble zu halten, wurde daS Einstudiren, der künstlerische
Theil der Darstellung in der unverantwortlichsten Weise vernachlässigt. Es
fehlte die Einsicht und die Kraft, das vorhandene Brauchbare zu,benutzen und
fortzubilden, jedes junge strebsame Talent sehnte sich aus der wüsten Wirth¬
schaft fort in die ruhigere Atmosphäre eines Hoftheaters. Die Vernachlässigung
der einheimischen Kräfte suchte die Direction zu ersetzen durch massenhafte
Gastspiele, durch welche daS Publicum verwöhnt, das Repertoir gestört
und die Einnahme des einen Monats nur auf Kosten des nächsten erhöht
wurde.

Das ist die Schuld bei weitem der meisten Dirigenten von Stadttheatern,
und diese Menge von Unwürdigkeiten wurde deshalb möglich, weil das Prin¬
cip der Organisation bei allen deutschen Stadttheatern bis jetzt ein verkehrtes
gewesen ist. Sie sind sämmtlich bis jetzt Institute gewesen, welche aus Zeit
an Privatspeculanten verpachtet wurden. >


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über, die Masse von Proletariern des Schauspielerstandes, welche dnrch diese
Institute in erschreckender Weise vermehrt wird, bemüht sich im Winter unter
jeden Bedingungen ein Unterkommen bei festen Bühnen zu finden und die ge¬
müthliche Plumpheit dringt so durch alle Ritzen auf das Repertoir, das Po¬
dium und die Galerien der. festern Institute. Es läßt sich behaupten, ' daß
nichts so sehr das Verderben der deutschen Bühne beschleunigt hat, als der
Aufbau der Sommertheater.

Wenn diese Uebelstände die Stadttheater mehr drückten, als die Hofbühnen,
so hatten die Stadttheater doch auch manche Vortheile. Zuerst konnte es für sie von
Nutzen werde», daß sie ganz auf die Theilnahme des Publicums gestellt waren ;
denn sie konnten voraussichtlich nur an solchen Orten gedeihen, welche menschen¬
reich, intelligent und wohlhabend waren. Sie waren zwar in der Lage, der Zeit¬
strömung zu folgen und für Ausstattung und Gage große Summen auszugeben,
aber sie konnten hierin leichter kluges Maß halten, als lururiöse Hoftheater. Bei
einer systematischen Behandlung des Publicums, welche vermied, Ausstattungs¬
stücke mit zu brillantem Wtterkram zu geben, konnte ein anständiges Maß in
Decorationen und Garderobe wol innegehalten werden. Wenn ein solches
Theater auf den zweifelhaften Vortheil verzichtete, Virtuosen erster Größe an
sich zu fesseln, und seine ganze Kraft darauf richtete, ein gutes Ensemble,
energisches Tempo, sorgfältiges Einstudiren durchzusetzen, so konnte das Publi-
cum dieser Städte sehr wohl an seiner Bühne Freude haben. Daß dies möglich,
ist hier und da vorübergehend bewiesen worden.

Statt dessen zeigten die Stadttheater fast ohne Ausnahme die entgegenge¬
setzten Erscheinungen. Aus kurzsichtiger Gewinnsucht wurden einzelne Stücke
mit übermäßiger Pracht ausgestattet und dadurch, das Knappe und oft Mes-
quine gewöhnlicher Darstellungen dem Publicum recht sichtbar gemacht. Statt
auf ein gutes Ensemble zu halten, wurde daS Einstudiren, der künstlerische
Theil der Darstellung in der unverantwortlichsten Weise vernachlässigt. Es
fehlte die Einsicht und die Kraft, das vorhandene Brauchbare zu,benutzen und
fortzubilden, jedes junge strebsame Talent sehnte sich aus der wüsten Wirth¬
schaft fort in die ruhigere Atmosphäre eines Hoftheaters. Die Vernachlässigung
der einheimischen Kräfte suchte die Direction zu ersetzen durch massenhafte
Gastspiele, durch welche daS Publicum verwöhnt, das Repertoir gestört
und die Einnahme des einen Monats nur auf Kosten des nächsten erhöht
wurde.

Das ist die Schuld bei weitem der meisten Dirigenten von Stadttheatern,
und diese Menge von Unwürdigkeiten wurde deshalb möglich, weil das Prin¬
cip der Organisation bei allen deutschen Stadttheatern bis jetzt ein verkehrtes
gewesen ist. Sie sind sämmtlich bis jetzt Institute gewesen, welche aus Zeit
an Privatspeculanten verpachtet wurden. >


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/385>, abgerufen am 22.07.2024.