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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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Nur, wenige Orte machen eine zufällige Ausnahme, wo grade ein besonders
tüchtiger Dirigent mit Anstrengung aller seiner Kräfte es versteht, den krachen¬
den Bau auf einige Jahre vor dem Einsturz zu bewahren.

Es sind auch nicht die Stadttheater Deutschlands allein, welche krank
sind; die Theater, welche durch Höfe geleitet und zum Theil erhalten werden,
haben auch an der Ungunst der Zeiten schwer zu leiden, denn mehre Uebel¬
stände lasten sowol auf Hof-, wie Stadttheatern mit gleicher Schwere. Was die
Hoftheater gegenwärtig in Vortheil setzt, ist vor allem die Sicherheit eines
festen Etats und demnächst der Umstand, daß sie in ihrer Mehrheit um einige
Grade würdiger geblieben sind, als die Bühnen, welche man der Privatindustrie
überlassen hat. Die Intelligenz der Dirigenten von Hoftheatern läßt oft
viel zu wünschen übrig, denn die beaufsichtigenden Hofchargen verstehen in der
Regel sehr wenig von der Kunst, welche sie leiten sollen, aber wie mittelmäßig
auch ihre Befähigung ist, der maßgebende Wille eines Dynasten, auch des
schwächsten, scheint bei der Bühne doch noch bessere Resultate hervorzu¬
bringen, als ein Verein von Actionären oder diejenige Instanz, welche in
Theaterangelegenheiten die unglücklichste zu sein pflegt, eine städtische Ver¬
waltung.

Daß es im Allgemeinen mit dem deutschen Theater schlecht steht, mit der
Kunst der Schauspieler, der Theilnahme des Publicums und dem Verhältniß
der Einnahmen zu den Ausgaben, dies sind Klagen, die seit langer Zeit mit
mehr oder weniger Einsicht und Heftigkeit erhoben wurden und hier nur soweit
wiederholt werden sollen, als es in der Macht der jetzt lebenden Generation
steht, ihnen abzuhelfen.

Das Theater ist nicht mehr das einzige allgemeine Interesse des Publi-
cums, wie es zur Zeit Eckhoffö, Schröters, der Goethescher Leitung zu
Weimar war. Unser Leben ist ernster geworden und der Deutsche sucht seine
Ideale nicht ausschließlich mehr im Reich der schönen Kunst. Die Bewegungen,
welche in das deutsche Leben gekommen sind, haben die Prvducircnden und
die Genießenden mächtig ergriffen und die begehrende, unzufriedene und
noch schwache Gegenwart, welche grade jetzt, ermüdet von einem vergeblichen
Versuch, dem deutschen Leben eine neue Gestaltung zu geben, ausruht, ist
wenig günstig für die dramatische Productiv.n und verringert allerdings die
Warme des Publicums für das Spiel an den Lampen beträchtlich. Dagegen
hat auch der Wohlstand zugenommen, ti.e Anzahl der Genußsähigen und Ge¬
nußsüchtigen ist bedeutend größer geworden und wenn die dramatische Befähi¬
gung der deutschen Schriftsteller in auffallender Weise gering ist, so ist doch
das Repertoir der Theater nicht so arm, daß nicht trotz der bunte,i und
wunderlichen Contraste der Stile und Gattungen sich ein würdiges Leben
in der Kunst erhalten könnte. Wenn nicht ein jedes Jahrzehnt dazu berufen


Nur, wenige Orte machen eine zufällige Ausnahme, wo grade ein besonders
tüchtiger Dirigent mit Anstrengung aller seiner Kräfte es versteht, den krachen¬
den Bau auf einige Jahre vor dem Einsturz zu bewahren.

Es sind auch nicht die Stadttheater Deutschlands allein, welche krank
sind; die Theater, welche durch Höfe geleitet und zum Theil erhalten werden,
haben auch an der Ungunst der Zeiten schwer zu leiden, denn mehre Uebel¬
stände lasten sowol auf Hof-, wie Stadttheatern mit gleicher Schwere. Was die
Hoftheater gegenwärtig in Vortheil setzt, ist vor allem die Sicherheit eines
festen Etats und demnächst der Umstand, daß sie in ihrer Mehrheit um einige
Grade würdiger geblieben sind, als die Bühnen, welche man der Privatindustrie
überlassen hat. Die Intelligenz der Dirigenten von Hoftheatern läßt oft
viel zu wünschen übrig, denn die beaufsichtigenden Hofchargen verstehen in der
Regel sehr wenig von der Kunst, welche sie leiten sollen, aber wie mittelmäßig
auch ihre Befähigung ist, der maßgebende Wille eines Dynasten, auch des
schwächsten, scheint bei der Bühne doch noch bessere Resultate hervorzu¬
bringen, als ein Verein von Actionären oder diejenige Instanz, welche in
Theaterangelegenheiten die unglücklichste zu sein pflegt, eine städtische Ver¬
waltung.

Daß es im Allgemeinen mit dem deutschen Theater schlecht steht, mit der
Kunst der Schauspieler, der Theilnahme des Publicums und dem Verhältniß
der Einnahmen zu den Ausgaben, dies sind Klagen, die seit langer Zeit mit
mehr oder weniger Einsicht und Heftigkeit erhoben wurden und hier nur soweit
wiederholt werden sollen, als es in der Macht der jetzt lebenden Generation
steht, ihnen abzuhelfen.

Das Theater ist nicht mehr das einzige allgemeine Interesse des Publi-
cums, wie es zur Zeit Eckhoffö, Schröters, der Goethescher Leitung zu
Weimar war. Unser Leben ist ernster geworden und der Deutsche sucht seine
Ideale nicht ausschließlich mehr im Reich der schönen Kunst. Die Bewegungen,
welche in das deutsche Leben gekommen sind, haben die Prvducircnden und
die Genießenden mächtig ergriffen und die begehrende, unzufriedene und
noch schwache Gegenwart, welche grade jetzt, ermüdet von einem vergeblichen
Versuch, dem deutschen Leben eine neue Gestaltung zu geben, ausruht, ist
wenig günstig für die dramatische Productiv.n und verringert allerdings die
Warme des Publicums für das Spiel an den Lampen beträchtlich. Dagegen
hat auch der Wohlstand zugenommen, ti.e Anzahl der Genußsähigen und Ge¬
nußsüchtigen ist bedeutend größer geworden und wenn die dramatische Befähi¬
gung der deutschen Schriftsteller in auffallender Weise gering ist, so ist doch
das Repertoir der Theater nicht so arm, daß nicht trotz der bunte,i und
wunderlichen Contraste der Stile und Gattungen sich ein würdiges Leben
in der Kunst erhalten könnte. Wenn nicht ein jedes Jahrzehnt dazu berufen


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[0383] Nur, wenige Orte machen eine zufällige Ausnahme, wo grade ein besonders tüchtiger Dirigent mit Anstrengung aller seiner Kräfte es versteht, den krachen¬ den Bau auf einige Jahre vor dem Einsturz zu bewahren. Es sind auch nicht die Stadttheater Deutschlands allein, welche krank sind; die Theater, welche durch Höfe geleitet und zum Theil erhalten werden, haben auch an der Ungunst der Zeiten schwer zu leiden, denn mehre Uebel¬ stände lasten sowol auf Hof-, wie Stadttheatern mit gleicher Schwere. Was die Hoftheater gegenwärtig in Vortheil setzt, ist vor allem die Sicherheit eines festen Etats und demnächst der Umstand, daß sie in ihrer Mehrheit um einige Grade würdiger geblieben sind, als die Bühnen, welche man der Privatindustrie überlassen hat. Die Intelligenz der Dirigenten von Hoftheatern läßt oft viel zu wünschen übrig, denn die beaufsichtigenden Hofchargen verstehen in der Regel sehr wenig von der Kunst, welche sie leiten sollen, aber wie mittelmäßig auch ihre Befähigung ist, der maßgebende Wille eines Dynasten, auch des schwächsten, scheint bei der Bühne doch noch bessere Resultate hervorzu¬ bringen, als ein Verein von Actionären oder diejenige Instanz, welche in Theaterangelegenheiten die unglücklichste zu sein pflegt, eine städtische Ver¬ waltung. Daß es im Allgemeinen mit dem deutschen Theater schlecht steht, mit der Kunst der Schauspieler, der Theilnahme des Publicums und dem Verhältniß der Einnahmen zu den Ausgaben, dies sind Klagen, die seit langer Zeit mit mehr oder weniger Einsicht und Heftigkeit erhoben wurden und hier nur soweit wiederholt werden sollen, als es in der Macht der jetzt lebenden Generation steht, ihnen abzuhelfen. Das Theater ist nicht mehr das einzige allgemeine Interesse des Publi- cums, wie es zur Zeit Eckhoffö, Schröters, der Goethescher Leitung zu Weimar war. Unser Leben ist ernster geworden und der Deutsche sucht seine Ideale nicht ausschließlich mehr im Reich der schönen Kunst. Die Bewegungen, welche in das deutsche Leben gekommen sind, haben die Prvducircnden und die Genießenden mächtig ergriffen und die begehrende, unzufriedene und noch schwache Gegenwart, welche grade jetzt, ermüdet von einem vergeblichen Versuch, dem deutschen Leben eine neue Gestaltung zu geben, ausruht, ist wenig günstig für die dramatische Productiv.n und verringert allerdings die Warme des Publicums für das Spiel an den Lampen beträchtlich. Dagegen hat auch der Wohlstand zugenommen, ti.e Anzahl der Genußsähigen und Ge¬ nußsüchtigen ist bedeutend größer geworden und wenn die dramatische Befähi¬ gung der deutschen Schriftsteller in auffallender Weise gering ist, so ist doch das Repertoir der Theater nicht so arm, daß nicht trotz der bunte,i und wunderlichen Contraste der Stile und Gattungen sich ein würdiges Leben in der Kunst erhalten könnte. Wenn nicht ein jedes Jahrzehnt dazu berufen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/383>, abgerufen am 01.07.2024.