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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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Europa!" u. s. w. --

Wir wollen hier auf eine Frage aufmerksam machen, die nur anscheinend
der Vergangenheit angehört, die in der That sich immer wieder in den Border¬
grund drängen wird, solange es sich überhaupt um die Idee einer Wieder¬
geburt Deutschlands handelt. Und diese Idee können wir doch selbst jetzt bei
den allertrübsten Aussichten für Deutschland nicht aus den Augen lassen. Als
im Jahre 1849 die Scheidung zwischen den Großdeutschen und Kleindeutschen
eintrat, eine Scheidung, die, wenn man genau zusieht, sich von der äußersten
Rechten bis zur äußersten Linken erstreckte, behaupteten die Ersteren, die Le¬
gitimen zu sein, diejenigen, welche die historischen und traditionellen Ideen un¬
verfälscht fortzupflanzen und auszuführen strebten. Die Großveulschen von der
Rechten bezogen sich auf' das Reichskammergericht und auf den Bundestag, die
Großdeutschen von der Linken auf das Bolkslied vom einigen freien Deutsch¬
land, welches sich sogar in dem mißverstandenen Dictum eines Prinzen aus¬
gesprochen haben sollte, in dem man damals die Jncarnation dieser Idee ver¬
ehrte. Die Kleindeutschen dagegen wurden als Neuerer betrachtet und mit dem
Prädicat der Verräther beehrt, das man allen neuerem gern beilegt. Da die
Partei in Frankfurt groß geworden war, wo man unleugbar unter großdeutschen
Voraussetzungen zusammenkam, so wurde sie selbst stutzig und suchte ihre Le¬
gitimität durch Concessionen zu erkaufen, die denn freilich zu ihrem leitenden
Princip nicht recht stimmen wollten.

Nun wird es aber für jeden,, der.die politische Literatur zu Anfang dieses
Jahrhunderts ins Auge faßt, unzweifelhaft sein, daß die kleindeutsche Partei
als die legitime, als diejenige angesehen werden muß, welche die Traditionen
des Liberalismus fortpflanzte. In jener Zeit hatte man noch nicht die Hohen-
staufen auf den^Altar gehoben und wenn man Symbole für die deutsche Natio¬
nalität suchte, so waren es, abgesehen von dem farblosen Cheruskcrfürsten,
zwei sehr charakteristische, Luther un5 der alte Fritz. Luther hatte Deutschland
von Rom emancipirt, Friedrich der Große halte zuerst dem deutschen Volk zur
Anschauung gebracht, daß es noch Helden hervorbringen könne. In diesem
Sinne dachte und empfand mit wenigen Ausnahmen die ganze damalige Ge¬
schichtschreibung und Publicistik und wenn durch die Schlacht bei Jena in
diese Ansichten einige Verwirrung kam, so führte die gleich darauf erfolgende
Wiedergeburt deS preußischen Staates doch bald zu ihrer Wiederaufnahme.
Man rechnete auf den preußischen Staat und auf den Protestantismus, als
auf die beiden hauptsächlichsten Hebel zur Wiederaufrichtung Deutschlands. Auf
welche Weise sie ihre Aufgabe erfüllen sollten, darüber hatte man sich keine
bestimmten Borstellungen gebildet; aber über die Aufgabe selbst waltete kein
Zweifel ob und wenn man nun endlich genöthigt wurde, ans Werk zu gehen,


digstcn und würdigsten Arbeiter im Weinberge des Herrn damals fast in ganz
Europa!" u. s. w. —

Wir wollen hier auf eine Frage aufmerksam machen, die nur anscheinend
der Vergangenheit angehört, die in der That sich immer wieder in den Border¬
grund drängen wird, solange es sich überhaupt um die Idee einer Wieder¬
geburt Deutschlands handelt. Und diese Idee können wir doch selbst jetzt bei
den allertrübsten Aussichten für Deutschland nicht aus den Augen lassen. Als
im Jahre 1849 die Scheidung zwischen den Großdeutschen und Kleindeutschen
eintrat, eine Scheidung, die, wenn man genau zusieht, sich von der äußersten
Rechten bis zur äußersten Linken erstreckte, behaupteten die Ersteren, die Le¬
gitimen zu sein, diejenigen, welche die historischen und traditionellen Ideen un¬
verfälscht fortzupflanzen und auszuführen strebten. Die Großveulschen von der
Rechten bezogen sich auf' das Reichskammergericht und auf den Bundestag, die
Großdeutschen von der Linken auf das Bolkslied vom einigen freien Deutsch¬
land, welches sich sogar in dem mißverstandenen Dictum eines Prinzen aus¬
gesprochen haben sollte, in dem man damals die Jncarnation dieser Idee ver¬
ehrte. Die Kleindeutschen dagegen wurden als Neuerer betrachtet und mit dem
Prädicat der Verräther beehrt, das man allen neuerem gern beilegt. Da die
Partei in Frankfurt groß geworden war, wo man unleugbar unter großdeutschen
Voraussetzungen zusammenkam, so wurde sie selbst stutzig und suchte ihre Le¬
gitimität durch Concessionen zu erkaufen, die denn freilich zu ihrem leitenden
Princip nicht recht stimmen wollten.

Nun wird es aber für jeden,, der.die politische Literatur zu Anfang dieses
Jahrhunderts ins Auge faßt, unzweifelhaft sein, daß die kleindeutsche Partei
als die legitime, als diejenige angesehen werden muß, welche die Traditionen
des Liberalismus fortpflanzte. In jener Zeit hatte man noch nicht die Hohen-
staufen auf den^Altar gehoben und wenn man Symbole für die deutsche Natio¬
nalität suchte, so waren es, abgesehen von dem farblosen Cheruskcrfürsten,
zwei sehr charakteristische, Luther un5 der alte Fritz. Luther hatte Deutschland
von Rom emancipirt, Friedrich der Große halte zuerst dem deutschen Volk zur
Anschauung gebracht, daß es noch Helden hervorbringen könne. In diesem
Sinne dachte und empfand mit wenigen Ausnahmen die ganze damalige Ge¬
schichtschreibung und Publicistik und wenn durch die Schlacht bei Jena in
diese Ansichten einige Verwirrung kam, so führte die gleich darauf erfolgende
Wiedergeburt deS preußischen Staates doch bald zu ihrer Wiederaufnahme.
Man rechnete auf den preußischen Staat und auf den Protestantismus, als
auf die beiden hauptsächlichsten Hebel zur Wiederaufrichtung Deutschlands. Auf
welche Weise sie ihre Aufgabe erfüllen sollten, darüber hatte man sich keine
bestimmten Borstellungen gebildet; aber über die Aufgabe selbst waltete kein
Zweifel ob und wenn man nun endlich genöthigt wurde, ans Werk zu gehen,


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[0372] digstcn und würdigsten Arbeiter im Weinberge des Herrn damals fast in ganz Europa!" u. s. w. — Wir wollen hier auf eine Frage aufmerksam machen, die nur anscheinend der Vergangenheit angehört, die in der That sich immer wieder in den Border¬ grund drängen wird, solange es sich überhaupt um die Idee einer Wieder¬ geburt Deutschlands handelt. Und diese Idee können wir doch selbst jetzt bei den allertrübsten Aussichten für Deutschland nicht aus den Augen lassen. Als im Jahre 1849 die Scheidung zwischen den Großdeutschen und Kleindeutschen eintrat, eine Scheidung, die, wenn man genau zusieht, sich von der äußersten Rechten bis zur äußersten Linken erstreckte, behaupteten die Ersteren, die Le¬ gitimen zu sein, diejenigen, welche die historischen und traditionellen Ideen un¬ verfälscht fortzupflanzen und auszuführen strebten. Die Großveulschen von der Rechten bezogen sich auf' das Reichskammergericht und auf den Bundestag, die Großdeutschen von der Linken auf das Bolkslied vom einigen freien Deutsch¬ land, welches sich sogar in dem mißverstandenen Dictum eines Prinzen aus¬ gesprochen haben sollte, in dem man damals die Jncarnation dieser Idee ver¬ ehrte. Die Kleindeutschen dagegen wurden als Neuerer betrachtet und mit dem Prädicat der Verräther beehrt, das man allen neuerem gern beilegt. Da die Partei in Frankfurt groß geworden war, wo man unleugbar unter großdeutschen Voraussetzungen zusammenkam, so wurde sie selbst stutzig und suchte ihre Le¬ gitimität durch Concessionen zu erkaufen, die denn freilich zu ihrem leitenden Princip nicht recht stimmen wollten. Nun wird es aber für jeden,, der.die politische Literatur zu Anfang dieses Jahrhunderts ins Auge faßt, unzweifelhaft sein, daß die kleindeutsche Partei als die legitime, als diejenige angesehen werden muß, welche die Traditionen des Liberalismus fortpflanzte. In jener Zeit hatte man noch nicht die Hohen- staufen auf den^Altar gehoben und wenn man Symbole für die deutsche Natio¬ nalität suchte, so waren es, abgesehen von dem farblosen Cheruskcrfürsten, zwei sehr charakteristische, Luther un5 der alte Fritz. Luther hatte Deutschland von Rom emancipirt, Friedrich der Große halte zuerst dem deutschen Volk zur Anschauung gebracht, daß es noch Helden hervorbringen könne. In diesem Sinne dachte und empfand mit wenigen Ausnahmen die ganze damalige Ge¬ schichtschreibung und Publicistik und wenn durch die Schlacht bei Jena in diese Ansichten einige Verwirrung kam, so führte die gleich darauf erfolgende Wiedergeburt deS preußischen Staates doch bald zu ihrer Wiederaufnahme. Man rechnete auf den preußischen Staat und auf den Protestantismus, als auf die beiden hauptsächlichsten Hebel zur Wiederaufrichtung Deutschlands. Auf welche Weise sie ihre Aufgabe erfüllen sollten, darüber hatte man sich keine bestimmten Borstellungen gebildet; aber über die Aufgabe selbst waltete kein Zweifel ob und wenn man nun endlich genöthigt wurde, ans Werk zu gehen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/372>, abgerufen am 01.07.2024.