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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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Jdealisinmg des wirklichen Lebens ist eS, was jeder wahrhafte Kunstfreund zu
erstreben hat.

Das Handwerk muß die Kunst ernähren, die Kunst muß das Handwerk
adeln. Wie tief ist das Handwerk gesunken, seitdem sich die Kunst von ihm
getrennt hat! Indem man alles Talent lediglich auf die Gegenstände anwendete,
die außerhalb der geivöhnlichen Zwecke lagen, überließ man die Anfertigung
der das alltägliche Leben erfüllenden Gegenstände der gemeinsten Routine, ohne
zu bedenken, daß keine größern Mittel dazu gehören, einen Stuhl oder Tisch
geschmackvoll einzurichten, als geschmacklos.

Die Einsicht des Bessern verbreitet sich immermehr. Freilich wird es noch
eine geraume Zeit erfordern, bevor auch die Geschicklichkeit und die Kunstfertig¬
keit dieser Erkenntniß, die Praris der Theorie folgt. In dieser Zeit des
Uebergangs ist es nun vor allen Dingen nothwendig, den Eintritt falscher
Principien abzuwehren, welche leicht die neue Kunstperiode in eine verderbliche
Bahn lenken könnten. Der Nächstliegende Irrthum, in den namentlich die Zeit
des sogenannten akademischen Stils häufig verfallen ist, besteht darin, daß man
das Schöne gewissermaßen äußerlich an das Nützliche anklebt, das Letzte hinter
dem Ersten versteckt, wie die Wilden es lieben, einer schlechten Tracht einen
recht unpassenden und sinnwidrigen Putz hinzuzufügen. Die echte Kunst geht
überall auf Wahrheit aus; sie versteckt nichts, weder den Zweck, noch das
Material, uoch die Arbeit; sie verschmäht die Lüge und die Heuchelei, in der
festen Ueberzeugung, daß alles Nützliche oder Gute sich auch schön darstellen lasse.

Am meisten tritt diese allmälig wieder auswachende Erkenntniß in der Ban¬
kunst hervor. Man schämt sich allmälig des Kasernenstils, man sucht auch in
den Privatwohnungen einen Stil herzustellen, der dem Zweck entsprechend
charakteristisch, einfach und doch gefällig ist. Noch tappt man freilich in der
Irre umher und es wird auch wol noch eine Weile dauern, ehe die Nation in
dieser wie in sovielen andern Beziehungen ihre Einheit herstellt; allein wenn man
nur das leitende Princip streng festhält und sich durch die Mannigfaltigkeit
der Formen in der Methode nicht irren läßt, so wird aus diesen Kämpfen
eine feste und bleibende Gestalt hervorgehen und der gute Geschmack der Privat¬
bauten wird dann auch auf die Lurusbauten seinen Einfluß ausüben, man
wird sich nicht mehr bestreben, in demselben der allgemeinen Methode zu wider¬
sprechen, sondern man wird auch hier das Ideal in der bestimmten nationale"
Form zur Geltung bringen.

An die Architektur schließen sich nun zunächst zwei Künste an, die man
nicht mehr in das Gebiet des Handwerksmäßigen verbannen, sondern die
man gleichfalls in den Begriff des Idealen erheben wird: die Kunst, den
Häusern eine zweckmäßige landschaftliche Grundlage zu geben, und die Kunst,
das Innere der Häuser geschmackvoll auszustatten, mit andern Worten, die


Jdealisinmg des wirklichen Lebens ist eS, was jeder wahrhafte Kunstfreund zu
erstreben hat.

Das Handwerk muß die Kunst ernähren, die Kunst muß das Handwerk
adeln. Wie tief ist das Handwerk gesunken, seitdem sich die Kunst von ihm
getrennt hat! Indem man alles Talent lediglich auf die Gegenstände anwendete,
die außerhalb der geivöhnlichen Zwecke lagen, überließ man die Anfertigung
der das alltägliche Leben erfüllenden Gegenstände der gemeinsten Routine, ohne
zu bedenken, daß keine größern Mittel dazu gehören, einen Stuhl oder Tisch
geschmackvoll einzurichten, als geschmacklos.

Die Einsicht des Bessern verbreitet sich immermehr. Freilich wird es noch
eine geraume Zeit erfordern, bevor auch die Geschicklichkeit und die Kunstfertig¬
keit dieser Erkenntniß, die Praris der Theorie folgt. In dieser Zeit des
Uebergangs ist es nun vor allen Dingen nothwendig, den Eintritt falscher
Principien abzuwehren, welche leicht die neue Kunstperiode in eine verderbliche
Bahn lenken könnten. Der Nächstliegende Irrthum, in den namentlich die Zeit
des sogenannten akademischen Stils häufig verfallen ist, besteht darin, daß man
das Schöne gewissermaßen äußerlich an das Nützliche anklebt, das Letzte hinter
dem Ersten versteckt, wie die Wilden es lieben, einer schlechten Tracht einen
recht unpassenden und sinnwidrigen Putz hinzuzufügen. Die echte Kunst geht
überall auf Wahrheit aus; sie versteckt nichts, weder den Zweck, noch das
Material, uoch die Arbeit; sie verschmäht die Lüge und die Heuchelei, in der
festen Ueberzeugung, daß alles Nützliche oder Gute sich auch schön darstellen lasse.

Am meisten tritt diese allmälig wieder auswachende Erkenntniß in der Ban¬
kunst hervor. Man schämt sich allmälig des Kasernenstils, man sucht auch in
den Privatwohnungen einen Stil herzustellen, der dem Zweck entsprechend
charakteristisch, einfach und doch gefällig ist. Noch tappt man freilich in der
Irre umher und es wird auch wol noch eine Weile dauern, ehe die Nation in
dieser wie in sovielen andern Beziehungen ihre Einheit herstellt; allein wenn man
nur das leitende Princip streng festhält und sich durch die Mannigfaltigkeit
der Formen in der Methode nicht irren läßt, so wird aus diesen Kämpfen
eine feste und bleibende Gestalt hervorgehen und der gute Geschmack der Privat¬
bauten wird dann auch auf die Lurusbauten seinen Einfluß ausüben, man
wird sich nicht mehr bestreben, in demselben der allgemeinen Methode zu wider¬
sprechen, sondern man wird auch hier das Ideal in der bestimmten nationale»
Form zur Geltung bringen.

An die Architektur schließen sich nun zunächst zwei Künste an, die man
nicht mehr in das Gebiet des Handwerksmäßigen verbannen, sondern die
man gleichfalls in den Begriff des Idealen erheben wird: die Kunst, den
Häusern eine zweckmäßige landschaftliche Grundlage zu geben, und die Kunst,
das Innere der Häuser geschmackvoll auszustatten, mit andern Worten, die


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[0350] Jdealisinmg des wirklichen Lebens ist eS, was jeder wahrhafte Kunstfreund zu erstreben hat. Das Handwerk muß die Kunst ernähren, die Kunst muß das Handwerk adeln. Wie tief ist das Handwerk gesunken, seitdem sich die Kunst von ihm getrennt hat! Indem man alles Talent lediglich auf die Gegenstände anwendete, die außerhalb der geivöhnlichen Zwecke lagen, überließ man die Anfertigung der das alltägliche Leben erfüllenden Gegenstände der gemeinsten Routine, ohne zu bedenken, daß keine größern Mittel dazu gehören, einen Stuhl oder Tisch geschmackvoll einzurichten, als geschmacklos. Die Einsicht des Bessern verbreitet sich immermehr. Freilich wird es noch eine geraume Zeit erfordern, bevor auch die Geschicklichkeit und die Kunstfertig¬ keit dieser Erkenntniß, die Praris der Theorie folgt. In dieser Zeit des Uebergangs ist es nun vor allen Dingen nothwendig, den Eintritt falscher Principien abzuwehren, welche leicht die neue Kunstperiode in eine verderbliche Bahn lenken könnten. Der Nächstliegende Irrthum, in den namentlich die Zeit des sogenannten akademischen Stils häufig verfallen ist, besteht darin, daß man das Schöne gewissermaßen äußerlich an das Nützliche anklebt, das Letzte hinter dem Ersten versteckt, wie die Wilden es lieben, einer schlechten Tracht einen recht unpassenden und sinnwidrigen Putz hinzuzufügen. Die echte Kunst geht überall auf Wahrheit aus; sie versteckt nichts, weder den Zweck, noch das Material, uoch die Arbeit; sie verschmäht die Lüge und die Heuchelei, in der festen Ueberzeugung, daß alles Nützliche oder Gute sich auch schön darstellen lasse. Am meisten tritt diese allmälig wieder auswachende Erkenntniß in der Ban¬ kunst hervor. Man schämt sich allmälig des Kasernenstils, man sucht auch in den Privatwohnungen einen Stil herzustellen, der dem Zweck entsprechend charakteristisch, einfach und doch gefällig ist. Noch tappt man freilich in der Irre umher und es wird auch wol noch eine Weile dauern, ehe die Nation in dieser wie in sovielen andern Beziehungen ihre Einheit herstellt; allein wenn man nur das leitende Princip streng festhält und sich durch die Mannigfaltigkeit der Formen in der Methode nicht irren läßt, so wird aus diesen Kämpfen eine feste und bleibende Gestalt hervorgehen und der gute Geschmack der Privat¬ bauten wird dann auch auf die Lurusbauten seinen Einfluß ausüben, man wird sich nicht mehr bestreben, in demselben der allgemeinen Methode zu wider¬ sprechen, sondern man wird auch hier das Ideal in der bestimmten nationale» Form zur Geltung bringen. An die Architektur schließen sich nun zunächst zwei Künste an, die man nicht mehr in das Gebiet des Handwerksmäßigen verbannen, sondern die man gleichfalls in den Begriff des Idealen erheben wird: die Kunst, den Häusern eine zweckmäßige landschaftliche Grundlage zu geben, und die Kunst, das Innere der Häuser geschmackvoll auszustatten, mit andern Worten, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/350>, abgerufen am 26.06.2024.