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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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in die Vorstellungen, welche sich jene Kreise davon machen. -- Der Verfasser
sucht es zunächst zu rechtfertigen, daß sich ein Prediger in eine politische Frage
einmischt. "Meint man denn etwa, daß nur die Liberalen und Radicalen in
ihren oft von Juden redigirten Zeitungen und Zeitschriften oder nur die Ulira-
montanen ein Recht haben, dem Publicum vorzudenken und vorzusagen, wie
es in der Welt aussehe, und wie Kirche und Staat müssen regiert werden?
Auch für die Geschichte und das richtige Verständniß derselben gilt der Ausspruch
des Apostels: Der Geistliche richtet alles. Nur wo der Herr sein An¬
gesicht leuchten läßt, sind wir vermögend, auf Erden zu erkennen seinen Weg,
unter allen Völkern seine Gerichte." -- "Es ist eine heilige Pflicht derer, die
Gottes Wort kennen, mit der Geschichte vertraut sind, ihr eignes Herz kennen
und den Zugang ins Cabinet Gottes durch Gebet, daß sie den umlaufen¬
den Juden das Maul stopfen." -- Schon in dieser Andeutung spricht
der Versasser seine Ansicht aus, daß die orientalische Frage gegen Preußen
vorzugsweise von den Ultramontanen und von den umlaufenden Juden aus¬
gebeutet wird. Da nun die Theilnahme Englands an diesem Kampf mit dieser
Ansicht nicht vollständig übereinzustimmen scheint, so erklärt sie der Verfasser
folgendermaßen. "Es kommt den Kindern Albions, das jetzt so gewaltig für
das Gleichgewicht der Staaten und wider das vermeinte Uebergewicht Ru߬
lands in die Schranken tritt, als ein Attentat auf ihre Herrlichkeit vor, wenn
so ein mächtiges Volk, wie die Russen, es sich einfallen läßt, einen großen
Sieg zur See zu erstreiten." -- Seit der Seeschlacht zu Sinope haben die
erbitterten Engländer die Absicht, die russischen Flotten zu Grunde zu richten.
"Ob dieser Rache- und Zerstörungsgeist ein christlicher ist, möge doch ernstlich
erwogen werden." -- Allein der erste Anlaß ging vom französischen Kaiser
aus, der dadurch eine besondere Gunst beim Papste erwerben und namentlich
das Zugeständniß desselben erlangen wollte, ihn zu salben. "Soviel ist gewiß,
da der jetzige Herrscher von Frankreich seinen Thron auf die 400,000 oder
600,000 französische Bajonette stützen muß und bisher gestützt hat, daß diesen
Soldaten, denen in Friedenszeiten sol,se allerlei einfallen könnte, Lust und
Neigung über ihre Rolle am 2. December 183-1 in politische Raisonnements
sich zu vertiefen, in einem ernsten Kriege vergehen muß." -- Auch die englisch-
protestantischen Geistlichen, die gegen die Russen spreche", werden scharf getadelt.
"Sehr weit geht in diesem Stück der evangelische Bischof Gobert: er muthet
uns zu, für den Sultan, also für den Islam, für den Halbmond und wider
die zu bitten, so unier dem Banner des Kreuzes streiten. Jahrhundertelang
hat die evangelische Kirche gebetet und gesungen: Vor des Papstes und Tür¬
ken More behüt uns lieber Herr und Gott! -- und nun sollen wir für die
Türken bitten! -- Nein, das geht nicht: kein evangelischer Christ darf den
Muth oder das Gelüste haben, dafür zu bitten, daß nur einen Tag länger


in die Vorstellungen, welche sich jene Kreise davon machen. — Der Verfasser
sucht es zunächst zu rechtfertigen, daß sich ein Prediger in eine politische Frage
einmischt. „Meint man denn etwa, daß nur die Liberalen und Radicalen in
ihren oft von Juden redigirten Zeitungen und Zeitschriften oder nur die Ulira-
montanen ein Recht haben, dem Publicum vorzudenken und vorzusagen, wie
es in der Welt aussehe, und wie Kirche und Staat müssen regiert werden?
Auch für die Geschichte und das richtige Verständniß derselben gilt der Ausspruch
des Apostels: Der Geistliche richtet alles. Nur wo der Herr sein An¬
gesicht leuchten läßt, sind wir vermögend, auf Erden zu erkennen seinen Weg,
unter allen Völkern seine Gerichte." — „Es ist eine heilige Pflicht derer, die
Gottes Wort kennen, mit der Geschichte vertraut sind, ihr eignes Herz kennen
und den Zugang ins Cabinet Gottes durch Gebet, daß sie den umlaufen¬
den Juden das Maul stopfen." — Schon in dieser Andeutung spricht
der Versasser seine Ansicht aus, daß die orientalische Frage gegen Preußen
vorzugsweise von den Ultramontanen und von den umlaufenden Juden aus¬
gebeutet wird. Da nun die Theilnahme Englands an diesem Kampf mit dieser
Ansicht nicht vollständig übereinzustimmen scheint, so erklärt sie der Verfasser
folgendermaßen. „Es kommt den Kindern Albions, das jetzt so gewaltig für
das Gleichgewicht der Staaten und wider das vermeinte Uebergewicht Ru߬
lands in die Schranken tritt, als ein Attentat auf ihre Herrlichkeit vor, wenn
so ein mächtiges Volk, wie die Russen, es sich einfallen läßt, einen großen
Sieg zur See zu erstreiten." — Seit der Seeschlacht zu Sinope haben die
erbitterten Engländer die Absicht, die russischen Flotten zu Grunde zu richten.
„Ob dieser Rache- und Zerstörungsgeist ein christlicher ist, möge doch ernstlich
erwogen werden." — Allein der erste Anlaß ging vom französischen Kaiser
aus, der dadurch eine besondere Gunst beim Papste erwerben und namentlich
das Zugeständniß desselben erlangen wollte, ihn zu salben. „Soviel ist gewiß,
da der jetzige Herrscher von Frankreich seinen Thron auf die 400,000 oder
600,000 französische Bajonette stützen muß und bisher gestützt hat, daß diesen
Soldaten, denen in Friedenszeiten sol,se allerlei einfallen könnte, Lust und
Neigung über ihre Rolle am 2. December 183-1 in politische Raisonnements
sich zu vertiefen, in einem ernsten Kriege vergehen muß." — Auch die englisch-
protestantischen Geistlichen, die gegen die Russen spreche», werden scharf getadelt.
„Sehr weit geht in diesem Stück der evangelische Bischof Gobert: er muthet
uns zu, für den Sultan, also für den Islam, für den Halbmond und wider
die zu bitten, so unier dem Banner des Kreuzes streiten. Jahrhundertelang
hat die evangelische Kirche gebetet und gesungen: Vor des Papstes und Tür¬
ken More behüt uns lieber Herr und Gott! — und nun sollen wir für die
Türken bitten! — Nein, das geht nicht: kein evangelischer Christ darf den
Muth oder das Gelüste haben, dafür zu bitten, daß nur einen Tag länger


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[0272] in die Vorstellungen, welche sich jene Kreise davon machen. — Der Verfasser sucht es zunächst zu rechtfertigen, daß sich ein Prediger in eine politische Frage einmischt. „Meint man denn etwa, daß nur die Liberalen und Radicalen in ihren oft von Juden redigirten Zeitungen und Zeitschriften oder nur die Ulira- montanen ein Recht haben, dem Publicum vorzudenken und vorzusagen, wie es in der Welt aussehe, und wie Kirche und Staat müssen regiert werden? Auch für die Geschichte und das richtige Verständniß derselben gilt der Ausspruch des Apostels: Der Geistliche richtet alles. Nur wo der Herr sein An¬ gesicht leuchten läßt, sind wir vermögend, auf Erden zu erkennen seinen Weg, unter allen Völkern seine Gerichte." — „Es ist eine heilige Pflicht derer, die Gottes Wort kennen, mit der Geschichte vertraut sind, ihr eignes Herz kennen und den Zugang ins Cabinet Gottes durch Gebet, daß sie den umlaufen¬ den Juden das Maul stopfen." — Schon in dieser Andeutung spricht der Versasser seine Ansicht aus, daß die orientalische Frage gegen Preußen vorzugsweise von den Ultramontanen und von den umlaufenden Juden aus¬ gebeutet wird. Da nun die Theilnahme Englands an diesem Kampf mit dieser Ansicht nicht vollständig übereinzustimmen scheint, so erklärt sie der Verfasser folgendermaßen. „Es kommt den Kindern Albions, das jetzt so gewaltig für das Gleichgewicht der Staaten und wider das vermeinte Uebergewicht Ru߬ lands in die Schranken tritt, als ein Attentat auf ihre Herrlichkeit vor, wenn so ein mächtiges Volk, wie die Russen, es sich einfallen läßt, einen großen Sieg zur See zu erstreiten." — Seit der Seeschlacht zu Sinope haben die erbitterten Engländer die Absicht, die russischen Flotten zu Grunde zu richten. „Ob dieser Rache- und Zerstörungsgeist ein christlicher ist, möge doch ernstlich erwogen werden." — Allein der erste Anlaß ging vom französischen Kaiser aus, der dadurch eine besondere Gunst beim Papste erwerben und namentlich das Zugeständniß desselben erlangen wollte, ihn zu salben. „Soviel ist gewiß, da der jetzige Herrscher von Frankreich seinen Thron auf die 400,000 oder 600,000 französische Bajonette stützen muß und bisher gestützt hat, daß diesen Soldaten, denen in Friedenszeiten sol,se allerlei einfallen könnte, Lust und Neigung über ihre Rolle am 2. December 183-1 in politische Raisonnements sich zu vertiefen, in einem ernsten Kriege vergehen muß." — Auch die englisch- protestantischen Geistlichen, die gegen die Russen spreche», werden scharf getadelt. „Sehr weit geht in diesem Stück der evangelische Bischof Gobert: er muthet uns zu, für den Sultan, also für den Islam, für den Halbmond und wider die zu bitten, so unier dem Banner des Kreuzes streiten. Jahrhundertelang hat die evangelische Kirche gebetet und gesungen: Vor des Papstes und Tür¬ ken More behüt uns lieber Herr und Gott! — und nun sollen wir für die Türken bitten! — Nein, das geht nicht: kein evangelischer Christ darf den Muth oder das Gelüste haben, dafür zu bitten, daß nur einen Tag länger

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/272>, abgerufen am 02.10.2024.