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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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magh schon vorgedrungen sein bis zu der Dreitheilung des Ostseebeckens in den
bottnischen, finnischen und rigaischen Meerbusen. Da haben sich die Schiffe
vertheilt und beobachten, wie der Eispanzer der russischen Küsten zwischen den
Alandöinseln von Helsingfors und Reval, wie hinter Oesel und Dagö hervor,
seine zersplitterten Schuppenringe, Bruststücke und Gliederschienen in das offne
Wasser hinausspült. Von Riga, Neval, Helsingfors meldet zugleich eifrige
Berichterstattung, daß vor dem Ende des Monats kein Gedanke sei an das
Offenwerden der Häfen und wie unterdessen mitten im Winter neue Granit¬
werke emporwuchsen, welche mit ihrem Kugelregen keine Hand breit Wassers
offen lassen für einen etwaigen Sturmanlaus der feindlichen Drohungen.

Ob die Russen auch dort die Ausfallspforte verteilt haben, wie im Hafen
von Sebastopol mit versenkten Schiffsleibern -- wer vermags zu behaupten
oder zu widerlegen? Und wenn sie eine Pforte ließen, blieb sie. nicht am Ende
so eng, daß wenige Breitseiten der alliirten Flotte hinreichen würden, um die
russischen Kriegsdampfer in ihrem eignen Bereiche gefangen zu halten, wahrend
der Admiral mit der Hauptmacht achtlos vorüberzöge, unbekümmert vordränge
und im östlichen Winkel des finnischen Busens unmittelbar zum Hauptwerk
schriye, zum Angriff auf das unüberwindlich genannte Seebollwerk der
Zarenresidenz?

In frühern Schilderungen haben wir Neval und Helsingfors mit Swea-
borg kennen gelernt. Kronstäbe bleibt uns noch übrig.

Die Insel, die Festung und vie Stadt, dieser dreiköpfige, flammenspeiende
Cerberus war schon im tiefsten Frieden ein Schreckensbild für jeden, der an
die Möglichkeiten der Zerstörung dachte, welche diese übereinandergethürmten
Geschützreihen und die einander kreuzenden Kugeln der Batterien zu erwirken
vermöchten. Nichts als Kriegsrüstwerkzeuge, nichts als Vorbereitungen für
den Kampf, nichts als Waffen und schützende Wälle haben wir zu betrachten
und vorzuführen -- und dennoch ist nicht entfernt daran zu denken, daß unsre
Skizze die fortisicatorischen und strategischen Eigenschaften Kronstadts nach
irgendeiner Seite erschöpfend darstelle. Wie erwähnt, Frieden wars und kein
Gedanke an die Möglichkeit eines Krieges, als ich in dieser abgeschlossnen
Welt aus Granit und Erz verkehrte. Ein Civilist im schwarzen Rock betrat
ich die Insel, auf der das bürgerliche Leben nur etwa am äußersten Hafen¬
saume ein untergeordnetes Eristenzrecht hat.. Nur besonders begünstigenden
Umständen wars zu danken, daß man überhaupt soviel sehen durfte, als man
sah. -- Wer keine Uniform in Rußland trägt, ist von vornherein nichr viel
geachtet und eine ganz absonderliche Ausnahme wars, daß nach dem Beginne
des Kriegs den unnützen englischen Friedensaposteln die hohe Vergünstigung
gestattet ward, im schwarzen Quäckerfrack zu den Thronstufen Nikolaus I.
zu treten. In Kronstäbe bleibt dagegen sicher der nichtuniformirte Mensch für


magh schon vorgedrungen sein bis zu der Dreitheilung des Ostseebeckens in den
bottnischen, finnischen und rigaischen Meerbusen. Da haben sich die Schiffe
vertheilt und beobachten, wie der Eispanzer der russischen Küsten zwischen den
Alandöinseln von Helsingfors und Reval, wie hinter Oesel und Dagö hervor,
seine zersplitterten Schuppenringe, Bruststücke und Gliederschienen in das offne
Wasser hinausspült. Von Riga, Neval, Helsingfors meldet zugleich eifrige
Berichterstattung, daß vor dem Ende des Monats kein Gedanke sei an das
Offenwerden der Häfen und wie unterdessen mitten im Winter neue Granit¬
werke emporwuchsen, welche mit ihrem Kugelregen keine Hand breit Wassers
offen lassen für einen etwaigen Sturmanlaus der feindlichen Drohungen.

Ob die Russen auch dort die Ausfallspforte verteilt haben, wie im Hafen
von Sebastopol mit versenkten Schiffsleibern — wer vermags zu behaupten
oder zu widerlegen? Und wenn sie eine Pforte ließen, blieb sie. nicht am Ende
so eng, daß wenige Breitseiten der alliirten Flotte hinreichen würden, um die
russischen Kriegsdampfer in ihrem eignen Bereiche gefangen zu halten, wahrend
der Admiral mit der Hauptmacht achtlos vorüberzöge, unbekümmert vordränge
und im östlichen Winkel des finnischen Busens unmittelbar zum Hauptwerk
schriye, zum Angriff auf das unüberwindlich genannte Seebollwerk der
Zarenresidenz?

In frühern Schilderungen haben wir Neval und Helsingfors mit Swea-
borg kennen gelernt. Kronstäbe bleibt uns noch übrig.

Die Insel, die Festung und vie Stadt, dieser dreiköpfige, flammenspeiende
Cerberus war schon im tiefsten Frieden ein Schreckensbild für jeden, der an
die Möglichkeiten der Zerstörung dachte, welche diese übereinandergethürmten
Geschützreihen und die einander kreuzenden Kugeln der Batterien zu erwirken
vermöchten. Nichts als Kriegsrüstwerkzeuge, nichts als Vorbereitungen für
den Kampf, nichts als Waffen und schützende Wälle haben wir zu betrachten
und vorzuführen — und dennoch ist nicht entfernt daran zu denken, daß unsre
Skizze die fortisicatorischen und strategischen Eigenschaften Kronstadts nach
irgendeiner Seite erschöpfend darstelle. Wie erwähnt, Frieden wars und kein
Gedanke an die Möglichkeit eines Krieges, als ich in dieser abgeschlossnen
Welt aus Granit und Erz verkehrte. Ein Civilist im schwarzen Rock betrat
ich die Insel, auf der das bürgerliche Leben nur etwa am äußersten Hafen¬
saume ein untergeordnetes Eristenzrecht hat.. Nur besonders begünstigenden
Umständen wars zu danken, daß man überhaupt soviel sehen durfte, als man
sah. — Wer keine Uniform in Rußland trägt, ist von vornherein nichr viel
geachtet und eine ganz absonderliche Ausnahme wars, daß nach dem Beginne
des Kriegs den unnützen englischen Friedensaposteln die hohe Vergünstigung
gestattet ward, im schwarzen Quäckerfrack zu den Thronstufen Nikolaus I.
zu treten. In Kronstäbe bleibt dagegen sicher der nichtuniformirte Mensch für


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/250>, abgerufen am 01.07.2024.