Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

im Gegentheil in den Stand gesetzt sein würde, den Angriff seiner Gegner
mit Vortheil abzuschlagen; und sodann der Gegensatz dieses Ausganges, näm-
lich die Steigerung der Offensivoperationen zu so großer Entscheidungsgewalt,
daß der Zar letztlich gezwungen wäre, Bedingungen einzugehen, welche seinem
Reiche einen bedeutenden Machtabbruch zufügten und in demselben Maße die
gegen ihn ankämpfenden Mächte stärkten Wird die neutrale Haltung Preu¬
ßens -- darüber gilt es hiernächst ins Klare zu kommen -- dieser ersteren
und der letzteren Chance gegenüber aufrecht erhalten bleiben? -- ist diese Auf¬
rechterhaltung eine Gewißheit? -- und welche Garantien gibt es, welche die
Alliirten gegen ein Umschlagen der preußischen Politik inmitten der Schwan¬
kungen des Krieges verwahren?

ES ist meine Ansicht, daß es an und für sich Garantien für die Stetig¬
keit eines Staates in der eingenommenen Position nicht gibt, wenn dieselben
nicht aus den Verhältnissen herzuleiten sind, und daß auch nur dann auf diese
letzteren zu bauen ist, wenn in dem betreffenden Staat kein absoluter Wille
eristirt, welcher unter Umständen sich über eben jene Verhältnisse stellen und
ihnen entgegenhandeln könnte. Was den vorliegenden Fall angeht, so hat
eine gewisse rückhaltende Schüchternheit seither den lenkenden preußischen Staats-
willen (obwol er ohne Frage ein absoluter ist, der sich auch in vielen Fällen
nicht an die Verhältnisse band, wofür eben die Neutralität gegenüber dem
Zaren ein neuer Beweis ist,) charakterisiert; mit dieser Schüchternheit ist ein
rasches Parteinehmen durchaus nicht vereinbar, und es liegt ebendarum viel-,
leicht in ihr das stärkste Argument für die Annahme, daß Preußen unter
keinen Umständen zu Ungunsten der verbündeten Mächte aus seiner passiven
Stellung heraustreten wird.

Die Ansicht scheint begründet, wonach dies die Anschauung der verbünde¬
ten Cabinete von ihrem Verhältniß zu Preußen ist, und demnach die Ueber¬
zeugung bei ihnen feststeht, daß sie von einem Umschlagen der Politik jenes
Staates nichts für sich und den Fortgang ihres Unternehmens zu fürchten
haben werden. Auf die militärischen Arrangements wird aber eben diese Ueber¬
zeugung von dem größten Einfluß sein; sie wirb im Besonderen auf die Ent¬
scheidung über die Frage influiren, welche Aufgabe Oestreich bei Ausfüllung
der Lücke, welche Preußens Neutralität in der weitgespannten Angriffsfroyte
frei läßt, aus sich zu nehmen hat, und im Besonderen, welche Maßregeln
dieser Theil der allgemeinen Anordnungen erheischt.




im Gegentheil in den Stand gesetzt sein würde, den Angriff seiner Gegner
mit Vortheil abzuschlagen; und sodann der Gegensatz dieses Ausganges, näm-
lich die Steigerung der Offensivoperationen zu so großer Entscheidungsgewalt,
daß der Zar letztlich gezwungen wäre, Bedingungen einzugehen, welche seinem
Reiche einen bedeutenden Machtabbruch zufügten und in demselben Maße die
gegen ihn ankämpfenden Mächte stärkten Wird die neutrale Haltung Preu¬
ßens — darüber gilt es hiernächst ins Klare zu kommen — dieser ersteren
und der letzteren Chance gegenüber aufrecht erhalten bleiben? — ist diese Auf¬
rechterhaltung eine Gewißheit? — und welche Garantien gibt es, welche die
Alliirten gegen ein Umschlagen der preußischen Politik inmitten der Schwan¬
kungen des Krieges verwahren?

ES ist meine Ansicht, daß es an und für sich Garantien für die Stetig¬
keit eines Staates in der eingenommenen Position nicht gibt, wenn dieselben
nicht aus den Verhältnissen herzuleiten sind, und daß auch nur dann auf diese
letzteren zu bauen ist, wenn in dem betreffenden Staat kein absoluter Wille
eristirt, welcher unter Umständen sich über eben jene Verhältnisse stellen und
ihnen entgegenhandeln könnte. Was den vorliegenden Fall angeht, so hat
eine gewisse rückhaltende Schüchternheit seither den lenkenden preußischen Staats-
willen (obwol er ohne Frage ein absoluter ist, der sich auch in vielen Fällen
nicht an die Verhältnisse band, wofür eben die Neutralität gegenüber dem
Zaren ein neuer Beweis ist,) charakterisiert; mit dieser Schüchternheit ist ein
rasches Parteinehmen durchaus nicht vereinbar, und es liegt ebendarum viel-,
leicht in ihr das stärkste Argument für die Annahme, daß Preußen unter
keinen Umständen zu Ungunsten der verbündeten Mächte aus seiner passiven
Stellung heraustreten wird.

Die Ansicht scheint begründet, wonach dies die Anschauung der verbünde¬
ten Cabinete von ihrem Verhältniß zu Preußen ist, und demnach die Ueber¬
zeugung bei ihnen feststeht, daß sie von einem Umschlagen der Politik jenes
Staates nichts für sich und den Fortgang ihres Unternehmens zu fürchten
haben werden. Auf die militärischen Arrangements wird aber eben diese Ueber¬
zeugung von dem größten Einfluß sein; sie wirb im Besonderen auf die Ent¬
scheidung über die Frage influiren, welche Aufgabe Oestreich bei Ausfüllung
der Lücke, welche Preußens Neutralität in der weitgespannten Angriffsfroyte
frei läßt, aus sich zu nehmen hat, und im Besonderen, welche Maßregeln
dieser Theil der allgemeinen Anordnungen erheischt.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0188" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/99574"/>
            <p xml:id="ID_623" prev="#ID_622"> im Gegentheil in den Stand gesetzt sein würde, den Angriff seiner Gegner<lb/>
mit Vortheil abzuschlagen; und sodann der Gegensatz dieses Ausganges, näm-<lb/>
lich die Steigerung der Offensivoperationen zu so großer Entscheidungsgewalt,<lb/>
daß der Zar letztlich gezwungen wäre, Bedingungen einzugehen, welche seinem<lb/>
Reiche einen bedeutenden Machtabbruch zufügten und in demselben Maße die<lb/>
gegen ihn ankämpfenden Mächte stärkten Wird die neutrale Haltung Preu¬<lb/>
ßens &#x2014; darüber gilt es hiernächst ins Klare zu kommen &#x2014; dieser ersteren<lb/>
und der letzteren Chance gegenüber aufrecht erhalten bleiben? &#x2014; ist diese Auf¬<lb/>
rechterhaltung eine Gewißheit? &#x2014; und welche Garantien gibt es, welche die<lb/>
Alliirten gegen ein Umschlagen der preußischen Politik inmitten der Schwan¬<lb/>
kungen des Krieges verwahren?</p><lb/>
            <p xml:id="ID_624"> ES ist meine Ansicht, daß es an und für sich Garantien für die Stetig¬<lb/>
keit eines Staates in der eingenommenen Position nicht gibt, wenn dieselben<lb/>
nicht aus den Verhältnissen herzuleiten sind, und daß auch nur dann auf diese<lb/>
letzteren zu bauen ist, wenn in dem betreffenden Staat kein absoluter Wille<lb/>
eristirt, welcher unter Umständen sich über eben jene Verhältnisse stellen und<lb/>
ihnen entgegenhandeln könnte. Was den vorliegenden Fall angeht, so hat<lb/>
eine gewisse rückhaltende Schüchternheit seither den lenkenden preußischen Staats-<lb/>
willen (obwol er ohne Frage ein absoluter ist, der sich auch in vielen Fällen<lb/>
nicht an die Verhältnisse band, wofür eben die Neutralität gegenüber dem<lb/>
Zaren ein neuer Beweis ist,) charakterisiert; mit dieser Schüchternheit ist ein<lb/>
rasches Parteinehmen durchaus nicht vereinbar, und es liegt ebendarum viel-,<lb/>
leicht in ihr das stärkste Argument für die Annahme, daß Preußen unter<lb/>
keinen Umständen zu Ungunsten der verbündeten Mächte aus seiner passiven<lb/>
Stellung heraustreten wird.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_625"> Die Ansicht scheint begründet, wonach dies die Anschauung der verbünde¬<lb/>
ten Cabinete von ihrem Verhältniß zu Preußen ist, und demnach die Ueber¬<lb/>
zeugung bei ihnen feststeht, daß sie von einem Umschlagen der Politik jenes<lb/>
Staates nichts für sich und den Fortgang ihres Unternehmens zu fürchten<lb/>
haben werden. Auf die militärischen Arrangements wird aber eben diese Ueber¬<lb/>
zeugung von dem größten Einfluß sein; sie wirb im Besonderen auf die Ent¬<lb/>
scheidung über die Frage influiren, welche Aufgabe Oestreich bei Ausfüllung<lb/>
der Lücke, welche Preußens Neutralität in der weitgespannten Angriffsfroyte<lb/>
frei läßt, aus sich zu nehmen hat, und im Besonderen, welche Maßregeln<lb/>
dieser Theil der allgemeinen Anordnungen erheischt.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0188] im Gegentheil in den Stand gesetzt sein würde, den Angriff seiner Gegner mit Vortheil abzuschlagen; und sodann der Gegensatz dieses Ausganges, näm- lich die Steigerung der Offensivoperationen zu so großer Entscheidungsgewalt, daß der Zar letztlich gezwungen wäre, Bedingungen einzugehen, welche seinem Reiche einen bedeutenden Machtabbruch zufügten und in demselben Maße die gegen ihn ankämpfenden Mächte stärkten Wird die neutrale Haltung Preu¬ ßens — darüber gilt es hiernächst ins Klare zu kommen — dieser ersteren und der letzteren Chance gegenüber aufrecht erhalten bleiben? — ist diese Auf¬ rechterhaltung eine Gewißheit? — und welche Garantien gibt es, welche die Alliirten gegen ein Umschlagen der preußischen Politik inmitten der Schwan¬ kungen des Krieges verwahren? ES ist meine Ansicht, daß es an und für sich Garantien für die Stetig¬ keit eines Staates in der eingenommenen Position nicht gibt, wenn dieselben nicht aus den Verhältnissen herzuleiten sind, und daß auch nur dann auf diese letzteren zu bauen ist, wenn in dem betreffenden Staat kein absoluter Wille eristirt, welcher unter Umständen sich über eben jene Verhältnisse stellen und ihnen entgegenhandeln könnte. Was den vorliegenden Fall angeht, so hat eine gewisse rückhaltende Schüchternheit seither den lenkenden preußischen Staats- willen (obwol er ohne Frage ein absoluter ist, der sich auch in vielen Fällen nicht an die Verhältnisse band, wofür eben die Neutralität gegenüber dem Zaren ein neuer Beweis ist,) charakterisiert; mit dieser Schüchternheit ist ein rasches Parteinehmen durchaus nicht vereinbar, und es liegt ebendarum viel-, leicht in ihr das stärkste Argument für die Annahme, daß Preußen unter keinen Umständen zu Ungunsten der verbündeten Mächte aus seiner passiven Stellung heraustreten wird. Die Ansicht scheint begründet, wonach dies die Anschauung der verbünde¬ ten Cabinete von ihrem Verhältniß zu Preußen ist, und demnach die Ueber¬ zeugung bei ihnen feststeht, daß sie von einem Umschlagen der Politik jenes Staates nichts für sich und den Fortgang ihres Unternehmens zu fürchten haben werden. Auf die militärischen Arrangements wird aber eben diese Ueber¬ zeugung von dem größten Einfluß sein; sie wirb im Besonderen auf die Ent¬ scheidung über die Frage influiren, welche Aufgabe Oestreich bei Ausfüllung der Lücke, welche Preußens Neutralität in der weitgespannten Angriffsfroyte frei läßt, aus sich zu nehmen hat, und im Besonderen, welche Maßregeln dieser Theil der allgemeinen Anordnungen erheischt.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/188
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/188>, abgerufen am 01.07.2024.