Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Gegend jenseit dem Wachthause ist ziemlich einförmig. Durch die
Schluchten sieht man dann und wann nach dem Bosporus hinunter, rückwärts
hat man, schon am fernen Horizont gelegen, das eigentliche Stambul mit
seinen zahlreichen Kuppeln und darüber hinaus blinkt das Marmorameer mit
den Prinzeninseln. Die Luft war uicht ganz klar; die Berge an der Bai von
Nikomedien und der hohe Olymp verschwammen im nebeligen Dunst. Maslack
verdient im Grunde genommen nicht den Namen eines Dorfes; es ist eine
kleine Anhäufung von verschiedenen großen Gehöften. Wenn man darüber
hinaus ist, hat man sich links zu wenden, um nach dem Lager zu ge¬
gangen.

Schon ehe ich die Ortschaft erreicht hatte, war ich von ferne der weißen
Zeltreihen ansichtig geworden. Sie machen in der Ferne einen massenhafteren
und großartigeren Eindruck, als wenn man nahebei ist. Die volle Ausdehnung
des Lagerraumes überschaut man erst, wenn man jenseit Maslack sich nach
links wendend einen niederen Höhenrücken überschritten und damit den Ein¬
blick in das weite, von vielen Hügelzügen durchkreuzte Thal gewonnen hat,
welches sich hier mitten inne zwischen den Uferhöhen des Bosporus und ihrer
rückwärtigen Ausläufer und den westlichen Hängen des Strandscheagebirges
ausdehnt. Es ist ein gewaltiges Becken, von vielen Bächen durchkreuzt, die
im Sommer wol mehrentheils austrocknen und bietet in der jetzigen Jahreszeit
wegen des frischen Grüns einen freundlichen Anblick dar. Anbau findet sich
nur spärlich, aber es sehlt nicht an Weideplätzen für eine unermeßliche Menge
Schlachtvieh. In diesem Thale nun, aber zumeist auf den Hügeln gelegen,
die es durchkreuzen, liegen zehn oder zwölf Zeltgruppen von nicht gar großer
Ausdehnung, und kaum groß genug, daß eine jede ein Bataillon aufnehmen
könnte, auch wenn man das einzelne der ziemlich kleinen weißen Zelte mit
fünfzehn Mann, d. l). stark, belegen wollte. Aber den meisten dieser Zelt¬
gruppen schienen noch die Inwohner zu fehlen, soweit ich durch mein Fernrohr,
mit dem ich das Lager musterte, zu erkennen vermochte. Nach meiner Schätzung
konnten etwa sechs Bataillone im Lager anwesend sein; von Cavalerie waren
nur einzelne Offiziere und Ordonnanzreiter sichtbar; Artillerie bemerkte ich gar
nicht. Dagegen stellte sich die Bagagemasse, die neben den Zelten abgeladen
wurde, als äußerst bedeutend heraus, so bedeutend, daß ich gegenüber diesen
unzähligen schweren Kisten und Koffern, über deren Inhalt ich kaum eine be¬
stimmte Vermuthung auszusprechen vermag, so ungeheuerlich kommt mir diese
Bagage bei einer Feldarmee vor, meine frühere Ansicht aufgebe, wonach das
Lager nur als eine Durchgangöstation für die nach der Krim bestimmten Truppen
anzusehen ist. Hochragende Holzbauten, die in Arbeit begriffen sind, machen
den Eindruck einer permanenten Bestimmung, und es fiel mir sehr auf, daß im
Widerspruch mit den Angaben des Journal de Konstantinopel diese Baracken,


Die Gegend jenseit dem Wachthause ist ziemlich einförmig. Durch die
Schluchten sieht man dann und wann nach dem Bosporus hinunter, rückwärts
hat man, schon am fernen Horizont gelegen, das eigentliche Stambul mit
seinen zahlreichen Kuppeln und darüber hinaus blinkt das Marmorameer mit
den Prinzeninseln. Die Luft war uicht ganz klar; die Berge an der Bai von
Nikomedien und der hohe Olymp verschwammen im nebeligen Dunst. Maslack
verdient im Grunde genommen nicht den Namen eines Dorfes; es ist eine
kleine Anhäufung von verschiedenen großen Gehöften. Wenn man darüber
hinaus ist, hat man sich links zu wenden, um nach dem Lager zu ge¬
gangen.

Schon ehe ich die Ortschaft erreicht hatte, war ich von ferne der weißen
Zeltreihen ansichtig geworden. Sie machen in der Ferne einen massenhafteren
und großartigeren Eindruck, als wenn man nahebei ist. Die volle Ausdehnung
des Lagerraumes überschaut man erst, wenn man jenseit Maslack sich nach
links wendend einen niederen Höhenrücken überschritten und damit den Ein¬
blick in das weite, von vielen Hügelzügen durchkreuzte Thal gewonnen hat,
welches sich hier mitten inne zwischen den Uferhöhen des Bosporus und ihrer
rückwärtigen Ausläufer und den westlichen Hängen des Strandscheagebirges
ausdehnt. Es ist ein gewaltiges Becken, von vielen Bächen durchkreuzt, die
im Sommer wol mehrentheils austrocknen und bietet in der jetzigen Jahreszeit
wegen des frischen Grüns einen freundlichen Anblick dar. Anbau findet sich
nur spärlich, aber es sehlt nicht an Weideplätzen für eine unermeßliche Menge
Schlachtvieh. In diesem Thale nun, aber zumeist auf den Hügeln gelegen,
die es durchkreuzen, liegen zehn oder zwölf Zeltgruppen von nicht gar großer
Ausdehnung, und kaum groß genug, daß eine jede ein Bataillon aufnehmen
könnte, auch wenn man das einzelne der ziemlich kleinen weißen Zelte mit
fünfzehn Mann, d. l). stark, belegen wollte. Aber den meisten dieser Zelt¬
gruppen schienen noch die Inwohner zu fehlen, soweit ich durch mein Fernrohr,
mit dem ich das Lager musterte, zu erkennen vermochte. Nach meiner Schätzung
konnten etwa sechs Bataillone im Lager anwesend sein; von Cavalerie waren
nur einzelne Offiziere und Ordonnanzreiter sichtbar; Artillerie bemerkte ich gar
nicht. Dagegen stellte sich die Bagagemasse, die neben den Zelten abgeladen
wurde, als äußerst bedeutend heraus, so bedeutend, daß ich gegenüber diesen
unzähligen schweren Kisten und Koffern, über deren Inhalt ich kaum eine be¬
stimmte Vermuthung auszusprechen vermag, so ungeheuerlich kommt mir diese
Bagage bei einer Feldarmee vor, meine frühere Ansicht aufgebe, wonach das
Lager nur als eine Durchgangöstation für die nach der Krim bestimmten Truppen
anzusehen ist. Hochragende Holzbauten, die in Arbeit begriffen sind, machen
den Eindruck einer permanenten Bestimmung, und es fiel mir sehr auf, daß im
Widerspruch mit den Angaben des Journal de Konstantinopel diese Baracken,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0183" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/99569"/>
          <p xml:id="ID_608"> Die Gegend jenseit dem Wachthause ist ziemlich einförmig. Durch die<lb/>
Schluchten sieht man dann und wann nach dem Bosporus hinunter, rückwärts<lb/>
hat man, schon am fernen Horizont gelegen, das eigentliche Stambul mit<lb/>
seinen zahlreichen Kuppeln und darüber hinaus blinkt das Marmorameer mit<lb/>
den Prinzeninseln. Die Luft war uicht ganz klar; die Berge an der Bai von<lb/>
Nikomedien und der hohe Olymp verschwammen im nebeligen Dunst. Maslack<lb/>
verdient im Grunde genommen nicht den Namen eines Dorfes; es ist eine<lb/>
kleine Anhäufung von verschiedenen großen Gehöften. Wenn man darüber<lb/>
hinaus ist, hat man sich links zu wenden, um nach dem Lager zu ge¬<lb/>
gangen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_609" next="#ID_610"> Schon ehe ich die Ortschaft erreicht hatte, war ich von ferne der weißen<lb/>
Zeltreihen ansichtig geworden. Sie machen in der Ferne einen massenhafteren<lb/>
und großartigeren Eindruck, als wenn man nahebei ist. Die volle Ausdehnung<lb/>
des Lagerraumes überschaut man erst, wenn man jenseit Maslack sich nach<lb/>
links wendend einen niederen Höhenrücken überschritten und damit den Ein¬<lb/>
blick in das weite, von vielen Hügelzügen durchkreuzte Thal gewonnen hat,<lb/>
welches sich hier mitten inne zwischen den Uferhöhen des Bosporus und ihrer<lb/>
rückwärtigen Ausläufer und den westlichen Hängen des Strandscheagebirges<lb/>
ausdehnt. Es ist ein gewaltiges Becken, von vielen Bächen durchkreuzt, die<lb/>
im Sommer wol mehrentheils austrocknen und bietet in der jetzigen Jahreszeit<lb/>
wegen des frischen Grüns einen freundlichen Anblick dar. Anbau findet sich<lb/>
nur spärlich, aber es sehlt nicht an Weideplätzen für eine unermeßliche Menge<lb/>
Schlachtvieh. In diesem Thale nun, aber zumeist auf den Hügeln gelegen,<lb/>
die es durchkreuzen, liegen zehn oder zwölf Zeltgruppen von nicht gar großer<lb/>
Ausdehnung, und kaum groß genug, daß eine jede ein Bataillon aufnehmen<lb/>
könnte, auch wenn man das einzelne der ziemlich kleinen weißen Zelte mit<lb/>
fünfzehn Mann, d. l). stark, belegen wollte. Aber den meisten dieser Zelt¬<lb/>
gruppen schienen noch die Inwohner zu fehlen, soweit ich durch mein Fernrohr,<lb/>
mit dem ich das Lager musterte, zu erkennen vermochte. Nach meiner Schätzung<lb/>
konnten etwa sechs Bataillone im Lager anwesend sein; von Cavalerie waren<lb/>
nur einzelne Offiziere und Ordonnanzreiter sichtbar; Artillerie bemerkte ich gar<lb/>
nicht. Dagegen stellte sich die Bagagemasse, die neben den Zelten abgeladen<lb/>
wurde, als äußerst bedeutend heraus, so bedeutend, daß ich gegenüber diesen<lb/>
unzähligen schweren Kisten und Koffern, über deren Inhalt ich kaum eine be¬<lb/>
stimmte Vermuthung auszusprechen vermag, so ungeheuerlich kommt mir diese<lb/>
Bagage bei einer Feldarmee vor, meine frühere Ansicht aufgebe, wonach das<lb/>
Lager nur als eine Durchgangöstation für die nach der Krim bestimmten Truppen<lb/>
anzusehen ist. Hochragende Holzbauten, die in Arbeit begriffen sind, machen<lb/>
den Eindruck einer permanenten Bestimmung, und es fiel mir sehr auf, daß im<lb/>
Widerspruch mit den Angaben des Journal de Konstantinopel diese Baracken,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0183] Die Gegend jenseit dem Wachthause ist ziemlich einförmig. Durch die Schluchten sieht man dann und wann nach dem Bosporus hinunter, rückwärts hat man, schon am fernen Horizont gelegen, das eigentliche Stambul mit seinen zahlreichen Kuppeln und darüber hinaus blinkt das Marmorameer mit den Prinzeninseln. Die Luft war uicht ganz klar; die Berge an der Bai von Nikomedien und der hohe Olymp verschwammen im nebeligen Dunst. Maslack verdient im Grunde genommen nicht den Namen eines Dorfes; es ist eine kleine Anhäufung von verschiedenen großen Gehöften. Wenn man darüber hinaus ist, hat man sich links zu wenden, um nach dem Lager zu ge¬ gangen. Schon ehe ich die Ortschaft erreicht hatte, war ich von ferne der weißen Zeltreihen ansichtig geworden. Sie machen in der Ferne einen massenhafteren und großartigeren Eindruck, als wenn man nahebei ist. Die volle Ausdehnung des Lagerraumes überschaut man erst, wenn man jenseit Maslack sich nach links wendend einen niederen Höhenrücken überschritten und damit den Ein¬ blick in das weite, von vielen Hügelzügen durchkreuzte Thal gewonnen hat, welches sich hier mitten inne zwischen den Uferhöhen des Bosporus und ihrer rückwärtigen Ausläufer und den westlichen Hängen des Strandscheagebirges ausdehnt. Es ist ein gewaltiges Becken, von vielen Bächen durchkreuzt, die im Sommer wol mehrentheils austrocknen und bietet in der jetzigen Jahreszeit wegen des frischen Grüns einen freundlichen Anblick dar. Anbau findet sich nur spärlich, aber es sehlt nicht an Weideplätzen für eine unermeßliche Menge Schlachtvieh. In diesem Thale nun, aber zumeist auf den Hügeln gelegen, die es durchkreuzen, liegen zehn oder zwölf Zeltgruppen von nicht gar großer Ausdehnung, und kaum groß genug, daß eine jede ein Bataillon aufnehmen könnte, auch wenn man das einzelne der ziemlich kleinen weißen Zelte mit fünfzehn Mann, d. l). stark, belegen wollte. Aber den meisten dieser Zelt¬ gruppen schienen noch die Inwohner zu fehlen, soweit ich durch mein Fernrohr, mit dem ich das Lager musterte, zu erkennen vermochte. Nach meiner Schätzung konnten etwa sechs Bataillone im Lager anwesend sein; von Cavalerie waren nur einzelne Offiziere und Ordonnanzreiter sichtbar; Artillerie bemerkte ich gar nicht. Dagegen stellte sich die Bagagemasse, die neben den Zelten abgeladen wurde, als äußerst bedeutend heraus, so bedeutend, daß ich gegenüber diesen unzähligen schweren Kisten und Koffern, über deren Inhalt ich kaum eine be¬ stimmte Vermuthung auszusprechen vermag, so ungeheuerlich kommt mir diese Bagage bei einer Feldarmee vor, meine frühere Ansicht aufgebe, wonach das Lager nur als eine Durchgangöstation für die nach der Krim bestimmten Truppen anzusehen ist. Hochragende Holzbauten, die in Arbeit begriffen sind, machen den Eindruck einer permanenten Bestimmung, und es fiel mir sehr auf, daß im Widerspruch mit den Angaben des Journal de Konstantinopel diese Baracken,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/183
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/183>, abgerufen am 03.07.2024.