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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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und Zaudersystem befolgt, welches in die Kategorie der halben Maßregeln
hineinzustellen ist und sich insofern auch schon gerächt hat, als es neben der
nun wol nicht mehr zu bemäntelnden völligen Unfähigkeit des Generals en Chef
(Canrobert) das Meiste dazu beigetragen hat, den ersten Feldzug in der Krim
mißlingen zu lassen. Wenn ich seither hier in Gesprächen gegen Franzosen
meine Befürchtung äußerte, daß der zweite, infolge des Mangels ausreichender
Kräfte leicht möglich nicht besser ausfallen dürfte, entgegnete man mir zumeist,
daß ich die Stärke der Armee des Kaisers Napoleon in Taurien unterschätze;
daß ihr voller Bestand aus den Zeitungen allein, auf welche ich mich berufen
hatte, nicht bemessen werden könne; daß die Regierung absichtlich in ihren Organen
die nach dem Orient entsendeten Streitkräfte geringer angebe, als sie in der
That seien und daß man die beste Hoffnung hegen dürfe, ehestens unter der
Hand des Generals Pelissier, denn dieser sei an Stelle von Canrobert zum Ge¬
neralissimus bestimmt, eine Armee vereinigt zu sehen, welche allen Eventuali¬
täten des Kriegs gewachsen sein und mindestens die Operationen gegen Se-
bastopol zum schnellen und stegreichen Ende führen werde. ,,Waren Sie in
Daub Pascha?" fragte man mich mehr wie einmal; ,,waren Sie im Lager von
Maslack?" heißt es neuerdings; "gehen Sie hin und überzeugen Sie sich, daß
die getroffenen Maßregeln weit die Proportionen übersteigen, von denen im
Publicum rückstchtlich der Vorbereitungen verlautet und daß man mit diesen
schon weiter gediehen ist, als Sie annehmen!" Solcher Sprache war aller¬
dings nichts entgegenzustellen, bevor ich die fraglichen Punkte nicht besucht
hatte. Der wenig befriedigende Stand der Dinge in Taurien hatte mich in
den letzten Tagen in eine ungewöhnlich trübe Stimmung versetzt und so ent¬
schloß ich mich denn am letzten Sonnabend zu einem Ausflug nach dem Lager
bei Maslack, mit der Hoffnung, möglicherweise an den dortigen Vorberei¬
tungen meine gesunkenen Erwartungen auf eine entscheidungsreiche Campagne
aufzurichten. . >

Es ist die große Straße von Bujukdere, welche man einzuschlagen hat,
um nach dem Lager zu gelangen. Dieser Umstand steht mit der Wahl der
Oertlichkeit in enger Beziehung, insofern nämlich, als dieser Weg chaussee¬
artig mit Steinen beschüttet ist und auch mitten im Winter verhältni߬
mäßig gut fahrbar bleibt, während viele andere der hiesigen Straßen zu jener
Jahreszeit nur äußerst schwer von Wagen passirt ^werden können. Uebrigens
ist der Weg auf seiner ganzen Ausdehnung unbepflanzt, und schattenlos
und führt nicht wie die unsrigen in der Heimat mitten durch grünende
Saatfelder, sondern meist durch unbebautes Land. Haidekraut bedeckt die
Flächen rechts und links; Rasen ist spärlich. Gleich beim Einbiegen in
die große Straße fiel mir das militärische Leben auf, welches, soweit ich
sie zu übersehen vermochte, auf derselbe" wogte. Offiziere und Ordon-


und Zaudersystem befolgt, welches in die Kategorie der halben Maßregeln
hineinzustellen ist und sich insofern auch schon gerächt hat, als es neben der
nun wol nicht mehr zu bemäntelnden völligen Unfähigkeit des Generals en Chef
(Canrobert) das Meiste dazu beigetragen hat, den ersten Feldzug in der Krim
mißlingen zu lassen. Wenn ich seither hier in Gesprächen gegen Franzosen
meine Befürchtung äußerte, daß der zweite, infolge des Mangels ausreichender
Kräfte leicht möglich nicht besser ausfallen dürfte, entgegnete man mir zumeist,
daß ich die Stärke der Armee des Kaisers Napoleon in Taurien unterschätze;
daß ihr voller Bestand aus den Zeitungen allein, auf welche ich mich berufen
hatte, nicht bemessen werden könne; daß die Regierung absichtlich in ihren Organen
die nach dem Orient entsendeten Streitkräfte geringer angebe, als sie in der
That seien und daß man die beste Hoffnung hegen dürfe, ehestens unter der
Hand des Generals Pelissier, denn dieser sei an Stelle von Canrobert zum Ge¬
neralissimus bestimmt, eine Armee vereinigt zu sehen, welche allen Eventuali¬
täten des Kriegs gewachsen sein und mindestens die Operationen gegen Se-
bastopol zum schnellen und stegreichen Ende führen werde. ,,Waren Sie in
Daub Pascha?" fragte man mich mehr wie einmal; ,,waren Sie im Lager von
Maslack?" heißt es neuerdings; „gehen Sie hin und überzeugen Sie sich, daß
die getroffenen Maßregeln weit die Proportionen übersteigen, von denen im
Publicum rückstchtlich der Vorbereitungen verlautet und daß man mit diesen
schon weiter gediehen ist, als Sie annehmen!" Solcher Sprache war aller¬
dings nichts entgegenzustellen, bevor ich die fraglichen Punkte nicht besucht
hatte. Der wenig befriedigende Stand der Dinge in Taurien hatte mich in
den letzten Tagen in eine ungewöhnlich trübe Stimmung versetzt und so ent¬
schloß ich mich denn am letzten Sonnabend zu einem Ausflug nach dem Lager
bei Maslack, mit der Hoffnung, möglicherweise an den dortigen Vorberei¬
tungen meine gesunkenen Erwartungen auf eine entscheidungsreiche Campagne
aufzurichten. . >

Es ist die große Straße von Bujukdere, welche man einzuschlagen hat,
um nach dem Lager zu gelangen. Dieser Umstand steht mit der Wahl der
Oertlichkeit in enger Beziehung, insofern nämlich, als dieser Weg chaussee¬
artig mit Steinen beschüttet ist und auch mitten im Winter verhältni߬
mäßig gut fahrbar bleibt, während viele andere der hiesigen Straßen zu jener
Jahreszeit nur äußerst schwer von Wagen passirt ^werden können. Uebrigens
ist der Weg auf seiner ganzen Ausdehnung unbepflanzt, und schattenlos
und führt nicht wie die unsrigen in der Heimat mitten durch grünende
Saatfelder, sondern meist durch unbebautes Land. Haidekraut bedeckt die
Flächen rechts und links; Rasen ist spärlich. Gleich beim Einbiegen in
die große Straße fiel mir das militärische Leben auf, welches, soweit ich
sie zu übersehen vermochte, auf derselbe» wogte. Offiziere und Ordon-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/181>, abgerufen am 01.07.2024.