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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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einer schlanken runden Warte, dem sagenreichen Buttermilchthurm, endend
auf der Höhe, wo über die hohen Mauern des "hohen Schlosses" der
Thurm der Kirche, welche der Schutzherrin dieser Ordensveste geweiht ist, empor¬
ragt. Vom Eindruck des Ganzen ergriffen, das trotz dem Ein- und Anbau vieler
neuer Gebäude dennoch leicht zusammentritt, und angeweht von dem Geiste
einer reichen Erinnerung , der seine Flügel so mächtig um diese hohen Zinnen--
bächer schwingt, vergißt man leicht die Anachronismen, die ein späteres Bar-
barenthum, welches, um sich über seine eigne Leere zu trösten, so gern alle
Form- und Bilderschrift einer charakteristischen Vorzeit auslöschte, auch an diesem
erhabenen Werke angebracht hat. Nur die dem Blicke zugekehrte Westseite des
"mittleren Schlosses", einst Residenz der Hochmeister selbst, schaut noch
ganz in alterthümlicher Gestalt voll Majestät zu uns herüber. Auch kann
man vom Nogatufer aus noch sehr gut den Raum überblicken, welchen
einst die Vertheidigungswerke der ganzen Beste einnahmen; deutlich bezeichnet
liegt ihr Umfang vor uns: von jenem runden Wartthurm gegen Nord bis
weit hinauf über die Stadt fort, wol eine Viertelmeile lang, erstreckten sich die
Festungswerke das Ufer entlang und liefen dann in weitem Umschweife zurück
zu ihrem Anfang; hohe Mauern, aus gebrannten Ziegeln aufgeführt, noch überall
die Spuren von Zinnen und Scharten zeigend.

Wie in Frauenburg im Kopernicus, kehrt man in Marienburg am besten
im Hotel "zum Hochmeister" ein, dem nördlichen Flügel des Schlosses gegen¬
über. Man übersieht von hier aus die elegante Nordfacade der Burg mit der
Zugbrücke davor und dem Eingangsthore dahinter, dessen neuerbautes Portal
mit stattlichen Zinnen und zwei gothischen Spitzthürmen verziert ist. Zwischen
letzteren durch leuchtet von der rothen Schloßwand herab das hochmeisterliche
Wappen, ein schwarzes Kreuz mit goldener Einfassung und schwarzem Adler
inmitten, auf grauem Schild aus Stein ruhend. Die Vormauern tragen einen
langen Zinnenkranz, kräftig und zierlich zugleich. Hinter ihnen blinkt eine
dreifache Reihe gothischer Fenster mit wohnlichen Sälen. Die beiden Eckgiebel
sind mit Spitzbögen und feinen Knäufen verziert. Rings um das Dach ziehen
auch hier sich Zinnenkanten hin; vor jeder Giebelseite aber lugt ein altersgrauer
Wartthurm über die vielzinnige Schloßmauer hervor.

Treten wir durch das gewölbte Thor in den Schloßhof ein und vor
uns liegt der Hauptbau der Burg. Wir gewahren zwei nebeneinander ge¬
baute Burgen, beide große Vierecke, welche einen Schloßhof einschließen, ge¬
trennt durch einen tiefen Graben, über den eine Zugbrücke führt. Jener
kolossale Bau, der vor uns die Aussicht beschränkt und der Stadt zuliegt, ist
das "obere" oder "hohe Schloß", schon vom Landmeister Conrad von
Thierberg 1275 als ursprüngliche Burgveste erbaut, nächstdem zu Wohnungen
der Ritter bestimmt. Auch enthielt er den großen "Capitelsaal", dessen archi-


einer schlanken runden Warte, dem sagenreichen Buttermilchthurm, endend
auf der Höhe, wo über die hohen Mauern des „hohen Schlosses" der
Thurm der Kirche, welche der Schutzherrin dieser Ordensveste geweiht ist, empor¬
ragt. Vom Eindruck des Ganzen ergriffen, das trotz dem Ein- und Anbau vieler
neuer Gebäude dennoch leicht zusammentritt, und angeweht von dem Geiste
einer reichen Erinnerung , der seine Flügel so mächtig um diese hohen Zinnen--
bächer schwingt, vergißt man leicht die Anachronismen, die ein späteres Bar-
barenthum, welches, um sich über seine eigne Leere zu trösten, so gern alle
Form- und Bilderschrift einer charakteristischen Vorzeit auslöschte, auch an diesem
erhabenen Werke angebracht hat. Nur die dem Blicke zugekehrte Westseite des
„mittleren Schlosses", einst Residenz der Hochmeister selbst, schaut noch
ganz in alterthümlicher Gestalt voll Majestät zu uns herüber. Auch kann
man vom Nogatufer aus noch sehr gut den Raum überblicken, welchen
einst die Vertheidigungswerke der ganzen Beste einnahmen; deutlich bezeichnet
liegt ihr Umfang vor uns: von jenem runden Wartthurm gegen Nord bis
weit hinauf über die Stadt fort, wol eine Viertelmeile lang, erstreckten sich die
Festungswerke das Ufer entlang und liefen dann in weitem Umschweife zurück
zu ihrem Anfang; hohe Mauern, aus gebrannten Ziegeln aufgeführt, noch überall
die Spuren von Zinnen und Scharten zeigend.

Wie in Frauenburg im Kopernicus, kehrt man in Marienburg am besten
im Hotel „zum Hochmeister" ein, dem nördlichen Flügel des Schlosses gegen¬
über. Man übersieht von hier aus die elegante Nordfacade der Burg mit der
Zugbrücke davor und dem Eingangsthore dahinter, dessen neuerbautes Portal
mit stattlichen Zinnen und zwei gothischen Spitzthürmen verziert ist. Zwischen
letzteren durch leuchtet von der rothen Schloßwand herab das hochmeisterliche
Wappen, ein schwarzes Kreuz mit goldener Einfassung und schwarzem Adler
inmitten, auf grauem Schild aus Stein ruhend. Die Vormauern tragen einen
langen Zinnenkranz, kräftig und zierlich zugleich. Hinter ihnen blinkt eine
dreifache Reihe gothischer Fenster mit wohnlichen Sälen. Die beiden Eckgiebel
sind mit Spitzbögen und feinen Knäufen verziert. Rings um das Dach ziehen
auch hier sich Zinnenkanten hin; vor jeder Giebelseite aber lugt ein altersgrauer
Wartthurm über die vielzinnige Schloßmauer hervor.

Treten wir durch das gewölbte Thor in den Schloßhof ein und vor
uns liegt der Hauptbau der Burg. Wir gewahren zwei nebeneinander ge¬
baute Burgen, beide große Vierecke, welche einen Schloßhof einschließen, ge¬
trennt durch einen tiefen Graben, über den eine Zugbrücke führt. Jener
kolossale Bau, der vor uns die Aussicht beschränkt und der Stadt zuliegt, ist
das „obere" oder „hohe Schloß", schon vom Landmeister Conrad von
Thierberg 1275 als ursprüngliche Burgveste erbaut, nächstdem zu Wohnungen
der Ritter bestimmt. Auch enthielt er den großen „Capitelsaal", dessen archi-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/170>, abgerufen am 01.07.2024.