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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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Grunde würde ein andrer Plan den Vorzug Verdienen, wenn er nicht zu viele
Schwierigkeiten der Ausführung böte: er bestünde darin, das? man zwei oder drei
türkische Divisionen ins Lager vor Sebastopol tranSloeirte, ihnen in Verbindung
mit den dortigen osmanischen Truppen und unterstützt von den englischen, die Ver¬
theidigung der Befestigungen von Balaklava und gegen den Platz übergäbe, die
ganze französische Armee aber nach Enpatoria nähme, um, wenn die Sardinier und
die a"S Frankreich erwarteten Divisionen eingetroffen wären, von hier aus auf neuer
und weit günstiger gelegener Basis gegen die Russen im offenen Felde zu agiren
oder durch einen kühnen Bormarsch gegen Perekop dem Kriege eine neue Lage zu
geben. --

Wie Sie sehen, ist alles erst Vermuthung. Vielleicht daß man in acht Tagen
bereits klarer sehen wird!

-- Da ich am letzten Posttage wegen beschränkter Zeit keinen
Bericht über die hiesigen Vorgänge meinem Briefe mit beifügen konnte, so mangelte
mir die Gelegenheit, Ihnen über die bedeutungsvolle Erweiterung zu berichten,
welche demnächst dem sogenannten Tansimat, zu Gunsten der Christen, oder, um
mich bestimmter auszudrücken, der Najahbcvölkerung gegeben werden soll und von
der jüngst im Publicum einige Einzelheiten verkanteten. Der zu erwartende Erlas?
wird in seinen Wirkungen um so tiefgreifender sein, als er, indem er den
Nichtmnsclmanen das Recht ertheilt, ihr Kontingent zur bewaffneten Macht des
Reichs zu stellen, die Grundlage des seitherigen osmanischen Staats, wonach der
"Gläubige" allein Waffen tragen sollte und ihm ausschließlich die Verwendung als
Werkzeug der executivcn Gewalt vorbehalten war. nicht allein tangirt, son¬
dern gradezu über den Haufen wirft. Darüber, wie die fragliche Maßregel
Verwirklicht werden soll, laufen vorerst blos Gerüchte um. Als solches läßt sich
daS bezeichnen, was man hier über die beschlossene Formirung von bulgari¬
schen und armenischen Regimentern sich erzählt. Soviel scheint indeß festzustehen,
daß diese Truppen durch' eigne Offiziere bis zum Obersten hinauf befehligt sein
werden.

Ich behalte mir vor, der Besprechung der Resultate des in Aussicht stehenden
hochwichtigen Gesetzes einen besondern Aufsatz zu widmen, sobald der Wortlaut der
Verfügung bekannt geworden sein wird. Auch über die Operationen in der Krim muß
ich einstweilen mich darauf beschränken, hier einfach anzuführen, daß die ganze
Woche hindurch Gerüchte über einen Sturmvcrsuch im Umlauf waren, der, wenn
sie begründet sind, was sehr in Zweifel steht, am vergangenen Montag 'oder
Dienstag (am 2. oder 3. April) zur Ausführung gekommen sein dürfte. Im erstern
Falle wäre es befremdend, daß wir noch keine Nachricht von dem Ausfall des
Unternehmens haben. Freilich gebrauchen Nachrichten von Balaklava bis hierher nur
"utar günstigen Umständen weniger als zwei Tage? unter ungünstigen dagegen
sind sie oft um das Doppelte verspätet worden und das Wetter war in der jüng¬
sten Zeit nicht gut. Am Schluß der vorigen und zu Anfang der jetzigen Woche
wehte ein heftiger Südwind; auch die Post aus Trieft wurde bedeutend dadurch
aufgehalten und traf erst am Mittwoch anstatt am Montag hier ein. Aehnliche
Verspätungen ereignen sich jetzt wieder hänfiger auf der französischen Linie, zwischen


Grunde würde ein andrer Plan den Vorzug Verdienen, wenn er nicht zu viele
Schwierigkeiten der Ausführung böte: er bestünde darin, das? man zwei oder drei
türkische Divisionen ins Lager vor Sebastopol tranSloeirte, ihnen in Verbindung
mit den dortigen osmanischen Truppen und unterstützt von den englischen, die Ver¬
theidigung der Befestigungen von Balaklava und gegen den Platz übergäbe, die
ganze französische Armee aber nach Enpatoria nähme, um, wenn die Sardinier und
die a»S Frankreich erwarteten Divisionen eingetroffen wären, von hier aus auf neuer
und weit günstiger gelegener Basis gegen die Russen im offenen Felde zu agiren
oder durch einen kühnen Bormarsch gegen Perekop dem Kriege eine neue Lage zu
geben. —

Wie Sie sehen, ist alles erst Vermuthung. Vielleicht daß man in acht Tagen
bereits klarer sehen wird!

— Da ich am letzten Posttage wegen beschränkter Zeit keinen
Bericht über die hiesigen Vorgänge meinem Briefe mit beifügen konnte, so mangelte
mir die Gelegenheit, Ihnen über die bedeutungsvolle Erweiterung zu berichten,
welche demnächst dem sogenannten Tansimat, zu Gunsten der Christen, oder, um
mich bestimmter auszudrücken, der Najahbcvölkerung gegeben werden soll und von
der jüngst im Publicum einige Einzelheiten verkanteten. Der zu erwartende Erlas?
wird in seinen Wirkungen um so tiefgreifender sein, als er, indem er den
Nichtmnsclmanen das Recht ertheilt, ihr Kontingent zur bewaffneten Macht des
Reichs zu stellen, die Grundlage des seitherigen osmanischen Staats, wonach der
„Gläubige" allein Waffen tragen sollte und ihm ausschließlich die Verwendung als
Werkzeug der executivcn Gewalt vorbehalten war. nicht allein tangirt, son¬
dern gradezu über den Haufen wirft. Darüber, wie die fragliche Maßregel
Verwirklicht werden soll, laufen vorerst blos Gerüchte um. Als solches läßt sich
daS bezeichnen, was man hier über die beschlossene Formirung von bulgari¬
schen und armenischen Regimentern sich erzählt. Soviel scheint indeß festzustehen,
daß diese Truppen durch' eigne Offiziere bis zum Obersten hinauf befehligt sein
werden.

Ich behalte mir vor, der Besprechung der Resultate des in Aussicht stehenden
hochwichtigen Gesetzes einen besondern Aufsatz zu widmen, sobald der Wortlaut der
Verfügung bekannt geworden sein wird. Auch über die Operationen in der Krim muß
ich einstweilen mich darauf beschränken, hier einfach anzuführen, daß die ganze
Woche hindurch Gerüchte über einen Sturmvcrsuch im Umlauf waren, der, wenn
sie begründet sind, was sehr in Zweifel steht, am vergangenen Montag 'oder
Dienstag (am 2. oder 3. April) zur Ausführung gekommen sein dürfte. Im erstern
Falle wäre es befremdend, daß wir noch keine Nachricht von dem Ausfall des
Unternehmens haben. Freilich gebrauchen Nachrichten von Balaklava bis hierher nur
»utar günstigen Umständen weniger als zwei Tage? unter ungünstigen dagegen
sind sie oft um das Doppelte verspätet worden und das Wetter war in der jüng¬
sten Zeit nicht gut. Am Schluß der vorigen und zu Anfang der jetzigen Woche
wehte ein heftiger Südwind; auch die Post aus Trieft wurde bedeutend dadurch
aufgehalten und traf erst am Mittwoch anstatt am Montag hier ein. Aehnliche
Verspätungen ereignen sich jetzt wieder hänfiger auf der französischen Linie, zwischen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/165>, abgerufen am 03.07.2024.