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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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Kirchen jetzt ihre Streitigkeiten auf die Weise führen, wie es in der That ge¬
schieht, als daß sie zu der Weise des 13. und des 16. Jahrhunderts zurück¬
greifen. Die Albigenserkriege und die Bartholomäusnacht sind doch gewiß
nicht sehr leuchtende Züge aus der Geschichte der katholischen Kirche; denn
Herr Reichensperger wird wol soviel Unbefangenheit in die Geschichte mit¬
bringen, daß er das Aushängeschild von der Sache scheidet, daß er trotz der
kirchlichen Firma in jenen Begebenheiten die losgelassne Bestialität erkennt.
Daß wir uns nicht mehr auf eine so bestialische Weise Verhalten, daS ver¬
danken wir nicht der katholischen Kirche, überhaupt keiner Kirche, sondern der
auf die classische Bildung zurückzuführenden Humanität. Diese Humanität schützt
uns keineswegs vor allen Greueln und vor allem Blutvergießen, die Leiden¬
schaften werden nach wie vor ihr Spiel treiben, aber sie schützt uns wenigstens
vol der bestialen Form des Blutvergießens und das ist doch schon ein großer
Gewinn. Um also noch einmal auf einen von uns früher gebrauchten Ver¬
gleich zu kommen: Sowie Schleiermacher im Jahre 1799 Reden über die
Religion an die Gebildeten unter ihren Verächtern schrieb, so möchte man sich
jetzt versucht fühlen, Reden über die Bildung an die Gebildeten unter ihren
Verächtern zu schreiben.

Die moderne Bildung hat unter andern den Vorzug, daß sie einen neu¬
tralen Boden für die Erörterung der Streitfragen möglich macht. Nun fällt
es zwar zuweilen schwer, sich dieses Bodens zu bedienen, denn die Voraus¬
setzungen, die der Ultramontanismus als absolute Gewißheit darstellt, sind
häufig von der Art, daß man sie pathologisch erörtern möchte; es klingt zu¬
weilen so, als wenn sie behaupteten: Bekanntlich wurde Karl der Große am
i8. April des Jahres 2817 vor Christi Geburt geboren, oder bekanntlich ist
der Fisch ein vierfüßiges Thier, welches voizugsweise von Kirschen lebt :c.;
indessen an Zeit fehlt es ja nicht und auch jene Behauptungen, selbst wenn sie
als Ganzes aufgefaßt uns verdutzen, können doch stückweise analvsirt und
damit berichtigt werden.

Möchte Herr Reichensperger in dem Beifall, den seine künstlerischen Be¬
strebungen grade auch bei protestantischen Blättern finden, nicht eine geheime
Neigung zum Katholicismus, sondern das ehrliche Bestreben herauserkennen,
gerecht zu sein. --


Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuß der Kunstwerke Italiens von Jacob
Burckhard. Basel, Schweighauscrsche Verlagsbuchhandlung. 1835. --

Grade jetzt, wo der Winter scheidet und der Reiselustige den Plan seiner
Wanderungen zurechtlegt, erscheint ein Werk, welches jedem Wanderer, der
seinen Sinn auf Italien gestellt hat, eine erfreuliche Gabe sein soll. Von
einer Aufzählung und Beschreibung der Kunstwerke, wie sie in dem guten


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Kirchen jetzt ihre Streitigkeiten auf die Weise führen, wie es in der That ge¬
schieht, als daß sie zu der Weise des 13. und des 16. Jahrhunderts zurück¬
greifen. Die Albigenserkriege und die Bartholomäusnacht sind doch gewiß
nicht sehr leuchtende Züge aus der Geschichte der katholischen Kirche; denn
Herr Reichensperger wird wol soviel Unbefangenheit in die Geschichte mit¬
bringen, daß er das Aushängeschild von der Sache scheidet, daß er trotz der
kirchlichen Firma in jenen Begebenheiten die losgelassne Bestialität erkennt.
Daß wir uns nicht mehr auf eine so bestialische Weise Verhalten, daS ver¬
danken wir nicht der katholischen Kirche, überhaupt keiner Kirche, sondern der
auf die classische Bildung zurückzuführenden Humanität. Diese Humanität schützt
uns keineswegs vor allen Greueln und vor allem Blutvergießen, die Leiden¬
schaften werden nach wie vor ihr Spiel treiben, aber sie schützt uns wenigstens
vol der bestialen Form des Blutvergießens und das ist doch schon ein großer
Gewinn. Um also noch einmal auf einen von uns früher gebrauchten Ver¬
gleich zu kommen: Sowie Schleiermacher im Jahre 1799 Reden über die
Religion an die Gebildeten unter ihren Verächtern schrieb, so möchte man sich
jetzt versucht fühlen, Reden über die Bildung an die Gebildeten unter ihren
Verächtern zu schreiben.

Die moderne Bildung hat unter andern den Vorzug, daß sie einen neu¬
tralen Boden für die Erörterung der Streitfragen möglich macht. Nun fällt
es zwar zuweilen schwer, sich dieses Bodens zu bedienen, denn die Voraus¬
setzungen, die der Ultramontanismus als absolute Gewißheit darstellt, sind
häufig von der Art, daß man sie pathologisch erörtern möchte; es klingt zu¬
weilen so, als wenn sie behaupteten: Bekanntlich wurde Karl der Große am
i8. April des Jahres 2817 vor Christi Geburt geboren, oder bekanntlich ist
der Fisch ein vierfüßiges Thier, welches voizugsweise von Kirschen lebt :c.;
indessen an Zeit fehlt es ja nicht und auch jene Behauptungen, selbst wenn sie
als Ganzes aufgefaßt uns verdutzen, können doch stückweise analvsirt und
damit berichtigt werden.

Möchte Herr Reichensperger in dem Beifall, den seine künstlerischen Be¬
strebungen grade auch bei protestantischen Blättern finden, nicht eine geheime
Neigung zum Katholicismus, sondern das ehrliche Bestreben herauserkennen,
gerecht zu sein. —


Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuß der Kunstwerke Italiens von Jacob
Burckhard. Basel, Schweighauscrsche Verlagsbuchhandlung. 1835. —

Grade jetzt, wo der Winter scheidet und der Reiselustige den Plan seiner
Wanderungen zurechtlegt, erscheint ein Werk, welches jedem Wanderer, der
seinen Sinn auf Italien gestellt hat, eine erfreuliche Gabe sein soll. Von
einer Aufzählung und Beschreibung der Kunstwerke, wie sie in dem guten


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[0147] Kirchen jetzt ihre Streitigkeiten auf die Weise führen, wie es in der That ge¬ schieht, als daß sie zu der Weise des 13. und des 16. Jahrhunderts zurück¬ greifen. Die Albigenserkriege und die Bartholomäusnacht sind doch gewiß nicht sehr leuchtende Züge aus der Geschichte der katholischen Kirche; denn Herr Reichensperger wird wol soviel Unbefangenheit in die Geschichte mit¬ bringen, daß er das Aushängeschild von der Sache scheidet, daß er trotz der kirchlichen Firma in jenen Begebenheiten die losgelassne Bestialität erkennt. Daß wir uns nicht mehr auf eine so bestialische Weise Verhalten, daS ver¬ danken wir nicht der katholischen Kirche, überhaupt keiner Kirche, sondern der auf die classische Bildung zurückzuführenden Humanität. Diese Humanität schützt uns keineswegs vor allen Greueln und vor allem Blutvergießen, die Leiden¬ schaften werden nach wie vor ihr Spiel treiben, aber sie schützt uns wenigstens vol der bestialen Form des Blutvergießens und das ist doch schon ein großer Gewinn. Um also noch einmal auf einen von uns früher gebrauchten Ver¬ gleich zu kommen: Sowie Schleiermacher im Jahre 1799 Reden über die Religion an die Gebildeten unter ihren Verächtern schrieb, so möchte man sich jetzt versucht fühlen, Reden über die Bildung an die Gebildeten unter ihren Verächtern zu schreiben. Die moderne Bildung hat unter andern den Vorzug, daß sie einen neu¬ tralen Boden für die Erörterung der Streitfragen möglich macht. Nun fällt es zwar zuweilen schwer, sich dieses Bodens zu bedienen, denn die Voraus¬ setzungen, die der Ultramontanismus als absolute Gewißheit darstellt, sind häufig von der Art, daß man sie pathologisch erörtern möchte; es klingt zu¬ weilen so, als wenn sie behaupteten: Bekanntlich wurde Karl der Große am i8. April des Jahres 2817 vor Christi Geburt geboren, oder bekanntlich ist der Fisch ein vierfüßiges Thier, welches voizugsweise von Kirschen lebt :c.; indessen an Zeit fehlt es ja nicht und auch jene Behauptungen, selbst wenn sie als Ganzes aufgefaßt uns verdutzen, können doch stückweise analvsirt und damit berichtigt werden. Möchte Herr Reichensperger in dem Beifall, den seine künstlerischen Be¬ strebungen grade auch bei protestantischen Blättern finden, nicht eine geheime Neigung zum Katholicismus, sondern das ehrliche Bestreben herauserkennen, gerecht zu sein. — Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuß der Kunstwerke Italiens von Jacob Burckhard. Basel, Schweighauscrsche Verlagsbuchhandlung. 1835. — Grade jetzt, wo der Winter scheidet und der Reiselustige den Plan seiner Wanderungen zurechtlegt, erscheint ein Werk, welches jedem Wanderer, der seinen Sinn auf Italien gestellt hat, eine erfreuliche Gabe sein soll. Von einer Aufzählung und Beschreibung der Kunstwerke, wie sie in dem guten 18*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/147>, abgerufen am 02.10.2024.