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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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Mormonen (wenn auch vielleicht nur vorläufig) Bürger der Vereinigten Staaten
sein, daß sie es aber auf ihre eigne Weise sein wollen, und dagegen wird sich,
sobald das Territorium zum Staate geworden ist, nichts Triftiges einwenden
lassen. Die Constitution verbürgt die unbeschränkteste Gewissensfreiheit, und
sie schreibt den einzelnen Gliedern der Union in Bezug aus die Verfassung und
ihr Recht nicht das Mindeste vor, was in dem Mormonenstaate nicht erfüllt
wäre. Sie mischt sich endlich in die innern Angelegenheiten der von ihr zu
einem Bunde verknüpften "souveränen" Republiken durchaus nicht.

Etwas Anderes ist es, solange Utah noch Territorium ist. Dann hängt es
von seinem Vormund, dem Präsidenten in Washington, ab, wieviel Freiheit
er dem Mündel gestatten, wieviel Rücksicht er auf die eigenthümlichen Verhält¬
nisse nehmen will, und es möchte den Mormonen schwer fallen, wenn der gegen¬
wärtige Präsident (der übrigens als Demokrat der letzte sein würde, gegen ihr
Streben nach möglichster Unabhängigkeit einzuschreiten) ihnen Beamte gegen
ihren Willen zu geben beliebte, darin einen unconstitutionellen Act nachzuweisen.
Eine entschiedene Unbilligkeit aber würden selbst die Gegner der Sekte darin
sehen.

Die Ansiedler von Descret vergleichen ihre Stellung nicht ganz unpassend
mit der, in welcher sich die Kolonien vor Ausbruch des Unabhängigkeitskrieges
befanden. Sie sehen den einzigen Unterschied darin, daß letztere sich über die
Last der Besteuerung ohne Vertretung im britischen Parlamente zu beschweren
hatten, während sie, die Mormonen, eine Ungerechtigkeit darin finden, wenn
von auswärts gekommene Regierungsbeamte, die ihre Gewohnheiten und ihren
Glauben nicht kennen, ihnen Gesetze aufnöthigen sollten. Bei allem Widerwillen,
den uns ihr Aberglaube und die Verkehrtheit ihrer gesellschaftlichen Einrichtungen
einflößt, können wir diese Verwahrung und das daraus gegründete Verlangen, sie
nach ihrer Fa^on selig und auf Erden glücklich werden zu lassen, nur billigen,
wie ihre Ein- und Ansprüche denn auch voll Fillmore zum Theil, von Pierce
durchaus durch die That gebilligt worden sind. Die Frage, ob die Mormonen
sich von Washington Leiter ihrer Angelegenheiten und Richter in ihren Pro¬
cessen schicken lassen oder sich selbst nach der Verfassung regieren und richten
sollen, ist im Grunde nur eine Frage der politischen Etiquette, und unklug
würde es sein, wollte man aus ihrer Weigerung, dieselbe nach jener Seite
hin zu bejahen, einen Hochverrathsproceß herleiten. Die Folge würde ein
Aufstand der Eolonie in den Felsengebirgen fein, zu dessen Dämpfung man zu¬
nächst vielleicht "einige Dragonerregimenter", wie dies von den Heißsporns unter
den Zeitungsschreibern in den Staaten bereits angekündigt wurde, absenden würde.
Diese Truppen, würden entweder.vor den befestigten Felsenpässen der Rocky
Mountains umkehren müssen, oder man würde vor ihnen zur Ruhe zurück¬
kehren und sie würden, um fernere Auflehnungen zu verhüten, als Besatzung


Mormonen (wenn auch vielleicht nur vorläufig) Bürger der Vereinigten Staaten
sein, daß sie es aber auf ihre eigne Weise sein wollen, und dagegen wird sich,
sobald das Territorium zum Staate geworden ist, nichts Triftiges einwenden
lassen. Die Constitution verbürgt die unbeschränkteste Gewissensfreiheit, und
sie schreibt den einzelnen Gliedern der Union in Bezug aus die Verfassung und
ihr Recht nicht das Mindeste vor, was in dem Mormonenstaate nicht erfüllt
wäre. Sie mischt sich endlich in die innern Angelegenheiten der von ihr zu
einem Bunde verknüpften „souveränen" Republiken durchaus nicht.

Etwas Anderes ist es, solange Utah noch Territorium ist. Dann hängt es
von seinem Vormund, dem Präsidenten in Washington, ab, wieviel Freiheit
er dem Mündel gestatten, wieviel Rücksicht er auf die eigenthümlichen Verhält¬
nisse nehmen will, und es möchte den Mormonen schwer fallen, wenn der gegen¬
wärtige Präsident (der übrigens als Demokrat der letzte sein würde, gegen ihr
Streben nach möglichster Unabhängigkeit einzuschreiten) ihnen Beamte gegen
ihren Willen zu geben beliebte, darin einen unconstitutionellen Act nachzuweisen.
Eine entschiedene Unbilligkeit aber würden selbst die Gegner der Sekte darin
sehen.

Die Ansiedler von Descret vergleichen ihre Stellung nicht ganz unpassend
mit der, in welcher sich die Kolonien vor Ausbruch des Unabhängigkeitskrieges
befanden. Sie sehen den einzigen Unterschied darin, daß letztere sich über die
Last der Besteuerung ohne Vertretung im britischen Parlamente zu beschweren
hatten, während sie, die Mormonen, eine Ungerechtigkeit darin finden, wenn
von auswärts gekommene Regierungsbeamte, die ihre Gewohnheiten und ihren
Glauben nicht kennen, ihnen Gesetze aufnöthigen sollten. Bei allem Widerwillen,
den uns ihr Aberglaube und die Verkehrtheit ihrer gesellschaftlichen Einrichtungen
einflößt, können wir diese Verwahrung und das daraus gegründete Verlangen, sie
nach ihrer Fa^on selig und auf Erden glücklich werden zu lassen, nur billigen,
wie ihre Ein- und Ansprüche denn auch voll Fillmore zum Theil, von Pierce
durchaus durch die That gebilligt worden sind. Die Frage, ob die Mormonen
sich von Washington Leiter ihrer Angelegenheiten und Richter in ihren Pro¬
cessen schicken lassen oder sich selbst nach der Verfassung regieren und richten
sollen, ist im Grunde nur eine Frage der politischen Etiquette, und unklug
würde es sein, wollte man aus ihrer Weigerung, dieselbe nach jener Seite
hin zu bejahen, einen Hochverrathsproceß herleiten. Die Folge würde ein
Aufstand der Eolonie in den Felsengebirgen fein, zu dessen Dämpfung man zu¬
nächst vielleicht „einige Dragonerregimenter", wie dies von den Heißsporns unter
den Zeitungsschreibern in den Staaten bereits angekündigt wurde, absenden würde.
Diese Truppen, würden entweder.vor den befestigten Felsenpässen der Rocky
Mountains umkehren müssen, oder man würde vor ihnen zur Ruhe zurück¬
kehren und sie würden, um fernere Auflehnungen zu verhüten, als Besatzung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/140>, abgerufen am 01.10.2024.