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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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Bundeslade hertanzte, und da wir die Shaker, Amerikas Derwische, zu wieder¬
holten Malen Gott nicht allein mit Zunge und Kehle, sondern auch durch
taktmäßige Bewegung der Füße und planetarische Rotation der Leiber die Ehre
geben sahen.

Wir schließen diesen Abschnitt mit einigen Anekdoten aus Gunnisons Buch,
der im Ganzen zwar sehr günstig auf die Mormonen zu sprechen ist, sich aber
doch niemals zu jener dithyrambischen Verherrlichung der Sekte hat hinreißen
lassen, in die Oberst Kane an gar manchen Stellen seines im vorigen Ab¬
schnitte erwähnten Berichts hineingerathen ist. Gunnison sagt über den Ton,
der in Deseret herrscht:

"Die heitern, behaglichen Gesichtszüge, die fröhlichen, zufriedenen Mienen,
die herzliche Anrede mit Bruder und Schwester, die Gesänge Zions, die einem
aus den Häusern und von den Werkstätten her entgegenschallen, machen den
Eindruck, als ob man in den Thälern Deseret sich eines nicht gewöhnlichen
Glücks erfreue.

Der Einfluß des Bruder- und Schwesternamens zeigt sich in ihren Hand¬
lungen und verknüpft die, welche häufiger miteinander zusammenkommen, als ein
Band der. Liebe. Er macht sich bereits bei kindlichen Gemüthern geltend und
läßt dieselben die Gemeinde wie eine große Familie betrachten. Wir fragten
einen kleinen Knaben, wer sein Vater sei und erhielten die naive Antwort:
"Ich bin Bruder Packs Sohn." Die Wohlfahrt der Gesammtheit steht bei
dieser Auffassung der Verhältnisse dem Interesse des Einzelnen voran; die Einig¬
keit der Herzen bewirkt, daß auch die Hände in allem einig sind,- was auf
den Ruhm drs Staates abzielt, und so sehen wir das unternehmungslustigste
Volk unsres Jahrhunderts entstehen und emporblühen. Wir können uns zur
Bezeichnung ihrer Ansichten vom Verhältniß des Einzelnen zur Gesammtheit
der Worte eines ihrer klügsten und redlichsten Männer bedienen, welcher sich
folgendermaßen ausdrückte: Unsre Politik faßt sich in die beiden Sätze zusam¬
men, jeder mit aller Kraft wirke damit und daran, was ihm das Beste scheint
und jeder füge sich dann dem Rathe derer, die über ihm stehen.

Dieser Rath ist allerdings bisweilen eine bittere Pille und Hunderte
wiesen ihn von sich als das californische Goldfieber in der Colonie zu grassiren
begann. Der Präsident wiedersetzte sich, wie bemerkt, der Emigration nach
Kräften, obwol er von den nach den Diggings Ausgezogenen durch seinen
dortigen Aufseher regelmäßig den Zehnten ihres oft sehr reichlichen Arbeits¬
ertrages bekam, und erklärte mehrmals, es würde ein großes Unglück sein, wenn
man in Deseret selbst Gold fände, da es die Brüder verführen würde,
ihre Farmer zu vernachlässigen, um nach unnützem Tande zu graben.

In Heirathsangelegenheiten werden die Rathschläge der Obern besser
befolgt. Bischof I. fügte seinem geräumigen Hause noch ein Seitengemach


Bundeslade hertanzte, und da wir die Shaker, Amerikas Derwische, zu wieder¬
holten Malen Gott nicht allein mit Zunge und Kehle, sondern auch durch
taktmäßige Bewegung der Füße und planetarische Rotation der Leiber die Ehre
geben sahen.

Wir schließen diesen Abschnitt mit einigen Anekdoten aus Gunnisons Buch,
der im Ganzen zwar sehr günstig auf die Mormonen zu sprechen ist, sich aber
doch niemals zu jener dithyrambischen Verherrlichung der Sekte hat hinreißen
lassen, in die Oberst Kane an gar manchen Stellen seines im vorigen Ab¬
schnitte erwähnten Berichts hineingerathen ist. Gunnison sagt über den Ton,
der in Deseret herrscht:

„Die heitern, behaglichen Gesichtszüge, die fröhlichen, zufriedenen Mienen,
die herzliche Anrede mit Bruder und Schwester, die Gesänge Zions, die einem
aus den Häusern und von den Werkstätten her entgegenschallen, machen den
Eindruck, als ob man in den Thälern Deseret sich eines nicht gewöhnlichen
Glücks erfreue.

Der Einfluß des Bruder- und Schwesternamens zeigt sich in ihren Hand¬
lungen und verknüpft die, welche häufiger miteinander zusammenkommen, als ein
Band der. Liebe. Er macht sich bereits bei kindlichen Gemüthern geltend und
läßt dieselben die Gemeinde wie eine große Familie betrachten. Wir fragten
einen kleinen Knaben, wer sein Vater sei und erhielten die naive Antwort:
„Ich bin Bruder Packs Sohn." Die Wohlfahrt der Gesammtheit steht bei
dieser Auffassung der Verhältnisse dem Interesse des Einzelnen voran; die Einig¬
keit der Herzen bewirkt, daß auch die Hände in allem einig sind,- was auf
den Ruhm drs Staates abzielt, und so sehen wir das unternehmungslustigste
Volk unsres Jahrhunderts entstehen und emporblühen. Wir können uns zur
Bezeichnung ihrer Ansichten vom Verhältniß des Einzelnen zur Gesammtheit
der Worte eines ihrer klügsten und redlichsten Männer bedienen, welcher sich
folgendermaßen ausdrückte: Unsre Politik faßt sich in die beiden Sätze zusam¬
men, jeder mit aller Kraft wirke damit und daran, was ihm das Beste scheint
und jeder füge sich dann dem Rathe derer, die über ihm stehen.

Dieser Rath ist allerdings bisweilen eine bittere Pille und Hunderte
wiesen ihn von sich als das californische Goldfieber in der Colonie zu grassiren
begann. Der Präsident wiedersetzte sich, wie bemerkt, der Emigration nach
Kräften, obwol er von den nach den Diggings Ausgezogenen durch seinen
dortigen Aufseher regelmäßig den Zehnten ihres oft sehr reichlichen Arbeits¬
ertrages bekam, und erklärte mehrmals, es würde ein großes Unglück sein, wenn
man in Deseret selbst Gold fände, da es die Brüder verführen würde,
ihre Farmer zu vernachlässigen, um nach unnützem Tande zu graben.

In Heirathsangelegenheiten werden die Rathschläge der Obern besser
befolgt. Bischof I. fügte seinem geräumigen Hause noch ein Seitengemach


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[0103] Bundeslade hertanzte, und da wir die Shaker, Amerikas Derwische, zu wieder¬ holten Malen Gott nicht allein mit Zunge und Kehle, sondern auch durch taktmäßige Bewegung der Füße und planetarische Rotation der Leiber die Ehre geben sahen. Wir schließen diesen Abschnitt mit einigen Anekdoten aus Gunnisons Buch, der im Ganzen zwar sehr günstig auf die Mormonen zu sprechen ist, sich aber doch niemals zu jener dithyrambischen Verherrlichung der Sekte hat hinreißen lassen, in die Oberst Kane an gar manchen Stellen seines im vorigen Ab¬ schnitte erwähnten Berichts hineingerathen ist. Gunnison sagt über den Ton, der in Deseret herrscht: „Die heitern, behaglichen Gesichtszüge, die fröhlichen, zufriedenen Mienen, die herzliche Anrede mit Bruder und Schwester, die Gesänge Zions, die einem aus den Häusern und von den Werkstätten her entgegenschallen, machen den Eindruck, als ob man in den Thälern Deseret sich eines nicht gewöhnlichen Glücks erfreue. Der Einfluß des Bruder- und Schwesternamens zeigt sich in ihren Hand¬ lungen und verknüpft die, welche häufiger miteinander zusammenkommen, als ein Band der. Liebe. Er macht sich bereits bei kindlichen Gemüthern geltend und läßt dieselben die Gemeinde wie eine große Familie betrachten. Wir fragten einen kleinen Knaben, wer sein Vater sei und erhielten die naive Antwort: „Ich bin Bruder Packs Sohn." Die Wohlfahrt der Gesammtheit steht bei dieser Auffassung der Verhältnisse dem Interesse des Einzelnen voran; die Einig¬ keit der Herzen bewirkt, daß auch die Hände in allem einig sind,- was auf den Ruhm drs Staates abzielt, und so sehen wir das unternehmungslustigste Volk unsres Jahrhunderts entstehen und emporblühen. Wir können uns zur Bezeichnung ihrer Ansichten vom Verhältniß des Einzelnen zur Gesammtheit der Worte eines ihrer klügsten und redlichsten Männer bedienen, welcher sich folgendermaßen ausdrückte: Unsre Politik faßt sich in die beiden Sätze zusam¬ men, jeder mit aller Kraft wirke damit und daran, was ihm das Beste scheint und jeder füge sich dann dem Rathe derer, die über ihm stehen. Dieser Rath ist allerdings bisweilen eine bittere Pille und Hunderte wiesen ihn von sich als das californische Goldfieber in der Colonie zu grassiren begann. Der Präsident wiedersetzte sich, wie bemerkt, der Emigration nach Kräften, obwol er von den nach den Diggings Ausgezogenen durch seinen dortigen Aufseher regelmäßig den Zehnten ihres oft sehr reichlichen Arbeits¬ ertrages bekam, und erklärte mehrmals, es würde ein großes Unglück sein, wenn man in Deseret selbst Gold fände, da es die Brüder verführen würde, ihre Farmer zu vernachlässigen, um nach unnützem Tande zu graben. In Heirathsangelegenheiten werden die Rathschläge der Obern besser befolgt. Bischof I. fügte seinem geräumigen Hause noch ein Seitengemach

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/103>, abgerufen am 01.07.2024.