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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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Oestreich und Preußen.

Der Kampf um die freie Hand, lloinlum meriäies. Berlin, E. A. Herbig. --

Es wird sich wol niemand darüber täuschen, daß die Friedenshoffnungen,
mit denen das vergangene Jahr abgeschlossen hat, auf Illusionen beruhen,
Ware es anders, könnte man sich in der That denken, daß auf Grundlage
der vier Garantiepunkte, wieweit man ihren Sinn auch immer ausdehnen
möge, ein Friede zwischen den kriegführenden Mächten zustandekäme, so
wäre das für Deutschland das größte Unglück. Zwar enthalten jene Punkte
ohne Zweifel eine Schwächung Rußlands, aber nicht nach der Seite hin, die
uns gefahrdrohend ist. Nußland würde für die erste Zeit seine orientalischen
Ideen beiseitelegen und sich sür seinen Machtverlust auf eine andere Weise
zu entschädigen suchen. Das könnte nicht anders geschehen als auf Kosten
Deutschlands und namentlich auf Kosten Preußens. Das Verhalten Preußens
während des letzten Jahres hat zwar der russischen Politik sehr unter die
Arme gegriffen und die Westmächte in einer Weise gereizt, daß sie gewiß zu
jeder Benachtheiligung Preußens gern die Hand bieten werden; allein es war
auch wieder nicht von der Art, Rußland jenen Dank abzuzwingen, den der
Starke nur dem Starken willig zugesteht. Preußen bietet dem Feinde sehr
viele verwundbare Stellen, sowol in seinen Besitzungen, als namentlich in
seinen gerechten Hoffnungen, und die russische Politik ist überlegen genug, um
den Fehler, den sie in einem Augenblick des Uebermuths begangen, wieder gut
zu machen. Eine Combination, wie das gegenwärtige Bündniß gegen Ru߬
land, wird nicht leicht wiederhergestellt werden, am wenigsten zu Gunsten
Preußens, ganz abgesehen davon, daß man trotz der bewundernswürdigen
Geschicklichkeit, welche der französische Kaiser entfaltet, diesen vulkanischen Boden
noch immer nicht berechnen kann. Preußens Zukunft beruht auf dem Erwerb
der Herzogthümer Schleswig-Holstein, auf der Bildung einer Ostseeflotte mit
einem Kriegshafen, auf der Hegemonie über diejenigen deutschen Kleinstaaten,
die als seine Enclaven zu betrachten sind, auf der Aufhebung des Sundzolls
und der Aufhebung der russischen Grenzsperre; nebenbei auf .der Sicherung der
französischen Grenze und dem herzlichen und offenen Einverständniß mit Oest-


Grenzbvlen I. issö, 1
Oestreich und Preußen.

Der Kampf um die freie Hand, lloinlum meriäies. Berlin, E. A. Herbig. —

Es wird sich wol niemand darüber täuschen, daß die Friedenshoffnungen,
mit denen das vergangene Jahr abgeschlossen hat, auf Illusionen beruhen,
Ware es anders, könnte man sich in der That denken, daß auf Grundlage
der vier Garantiepunkte, wieweit man ihren Sinn auch immer ausdehnen
möge, ein Friede zwischen den kriegführenden Mächten zustandekäme, so
wäre das für Deutschland das größte Unglück. Zwar enthalten jene Punkte
ohne Zweifel eine Schwächung Rußlands, aber nicht nach der Seite hin, die
uns gefahrdrohend ist. Nußland würde für die erste Zeit seine orientalischen
Ideen beiseitelegen und sich sür seinen Machtverlust auf eine andere Weise
zu entschädigen suchen. Das könnte nicht anders geschehen als auf Kosten
Deutschlands und namentlich auf Kosten Preußens. Das Verhalten Preußens
während des letzten Jahres hat zwar der russischen Politik sehr unter die
Arme gegriffen und die Westmächte in einer Weise gereizt, daß sie gewiß zu
jeder Benachtheiligung Preußens gern die Hand bieten werden; allein es war
auch wieder nicht von der Art, Rußland jenen Dank abzuzwingen, den der
Starke nur dem Starken willig zugesteht. Preußen bietet dem Feinde sehr
viele verwundbare Stellen, sowol in seinen Besitzungen, als namentlich in
seinen gerechten Hoffnungen, und die russische Politik ist überlegen genug, um
den Fehler, den sie in einem Augenblick des Uebermuths begangen, wieder gut
zu machen. Eine Combination, wie das gegenwärtige Bündniß gegen Ru߬
land, wird nicht leicht wiederhergestellt werden, am wenigsten zu Gunsten
Preußens, ganz abgesehen davon, daß man trotz der bewundernswürdigen
Geschicklichkeit, welche der französische Kaiser entfaltet, diesen vulkanischen Boden
noch immer nicht berechnen kann. Preußens Zukunft beruht auf dem Erwerb
der Herzogthümer Schleswig-Holstein, auf der Bildung einer Ostseeflotte mit
einem Kriegshafen, auf der Hegemonie über diejenigen deutschen Kleinstaaten,
die als seine Enclaven zu betrachten sind, auf der Aufhebung des Sundzolls
und der Aufhebung der russischen Grenzsperre; nebenbei auf .der Sicherung der
französischen Grenze und dem herzlichen und offenen Einverständniß mit Oest-


Grenzbvlen I. issö, 1
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[0009] Oestreich und Preußen. Der Kampf um die freie Hand, lloinlum meriäies. Berlin, E. A. Herbig. — Es wird sich wol niemand darüber täuschen, daß die Friedenshoffnungen, mit denen das vergangene Jahr abgeschlossen hat, auf Illusionen beruhen, Ware es anders, könnte man sich in der That denken, daß auf Grundlage der vier Garantiepunkte, wieweit man ihren Sinn auch immer ausdehnen möge, ein Friede zwischen den kriegführenden Mächten zustandekäme, so wäre das für Deutschland das größte Unglück. Zwar enthalten jene Punkte ohne Zweifel eine Schwächung Rußlands, aber nicht nach der Seite hin, die uns gefahrdrohend ist. Nußland würde für die erste Zeit seine orientalischen Ideen beiseitelegen und sich sür seinen Machtverlust auf eine andere Weise zu entschädigen suchen. Das könnte nicht anders geschehen als auf Kosten Deutschlands und namentlich auf Kosten Preußens. Das Verhalten Preußens während des letzten Jahres hat zwar der russischen Politik sehr unter die Arme gegriffen und die Westmächte in einer Weise gereizt, daß sie gewiß zu jeder Benachtheiligung Preußens gern die Hand bieten werden; allein es war auch wieder nicht von der Art, Rußland jenen Dank abzuzwingen, den der Starke nur dem Starken willig zugesteht. Preußen bietet dem Feinde sehr viele verwundbare Stellen, sowol in seinen Besitzungen, als namentlich in seinen gerechten Hoffnungen, und die russische Politik ist überlegen genug, um den Fehler, den sie in einem Augenblick des Uebermuths begangen, wieder gut zu machen. Eine Combination, wie das gegenwärtige Bündniß gegen Ru߬ land, wird nicht leicht wiederhergestellt werden, am wenigsten zu Gunsten Preußens, ganz abgesehen davon, daß man trotz der bewundernswürdigen Geschicklichkeit, welche der französische Kaiser entfaltet, diesen vulkanischen Boden noch immer nicht berechnen kann. Preußens Zukunft beruht auf dem Erwerb der Herzogthümer Schleswig-Holstein, auf der Bildung einer Ostseeflotte mit einem Kriegshafen, auf der Hegemonie über diejenigen deutschen Kleinstaaten, die als seine Enclaven zu betrachten sind, auf der Aufhebung des Sundzolls und der Aufhebung der russischen Grenzsperre; nebenbei auf .der Sicherung der französischen Grenze und dem herzlichen und offenen Einverständniß mit Oest- Grenzbvlen I. issö, 1

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/9>, abgerufen am 26.06.2024.