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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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Werner gab sich ihm vertrauungsvoll hin. In einem Briefe Werners, der
dem Herausgeber vorliegt, "küßte ihm dieser seine heiligen Hände." Werners
Freunde sollten, ohne es zu wissen, eine Pflanzschule bilden, aus welcher dann
Werner die Herangereisten seinem Meister zur Aufnahme in die höheren Grade
der Rosenkreuzerei zuzuführen gedachte. Auch Iffland war bestimmt, unbewußt
für das Wert der Söhne des Thals zu wirken. Der Herausgeber theilt über
dieses Verhältniß ein höchst interessantes Actenstück aus Warschau 180i mit,
von wo aus die Korrespondenz mit Mayr am lebhaftesten betrieben wurde.
Werner faßte in der Folge Mißtrauen gegen seinen Meister, und dieses Mi߬
trauen gehörte zu den Beweggründen seines Uebertritts zum Katholicismus. --
Sehr lustig sind auch die Anekdoten von dem Pater Hoffbauer, dem General
der Redemptoristen, der den Predigten Werners in Wien gewissermaßen Con-
currenz machte. -- Während Werners Aufenthaltes in Berlin wurde sein uner¬
schütterlicher Glaube an Wunder, Gespenster und Hexen zur Mystifikation be¬
nutzt. Eines Abends hatten sich alle andern verbündet zur Erzählung von
Geister- und sonstigen Spukgeschichten, denen aber jedes Mal, wenn sie ihren
augenblicklichen Eindruck gemacht hatten, die natürliche Lösung folgen mußte.
Werner hörte anfangs mit genußreicher Aufmerksamkeit zu, wurde aber allmälig
bei jeder natürlichen Aufklärung verstimmter, dann heftig, und als eben der
Bericht von einer Verherung durch eine höchst komische Erklärung sich in Nichts
verwandelt und sehr gelacht wurde, gerieth Werner außer sich, schlug mit ge¬
ballter Faust aus den Tisch, schrie dabei: "Harem geben ers!" (Provinzialismus
für: "Heren gibt es!"), verließ stürmisch das Zimmer, und es bedürfte mehrmaligen
Zuredens, ehe er sich wieder in jenem Familienkreise sehen ließ. -- Eine andre,
gastronomische Anekdote, die als Gegensatz äußerst spaßhaft ist, möge man im
Buch selbst nachschlagen. -- Interessant sind ferner die Mittheilungen über
Arnim. Der Dichter, dessen menschlich liebenswürdige und selbst bedeutende
Seiten der Herausgeber mit Recht hervorhebt, schrieb 1817 über Stillings
Geisterkunde einen Aufsatz, in dem sein Glaube an die Welt des Spuks ebenso
lebhaft hervortrat, als bei Werner; wir müssen indeß hinzufügen, daß bei
Arnim dieser Glaube doch eine andre Form hatte. Es war eigentlich nur
Skepticismus, d. h. ein Skepticismus, der sich nicht gegen die überirdische
Welt, sondern gegen das Gesetz der Wirklichkeit, gegen das Einmaleins u. s. w.
richtete. "Die neuere deutsche Physik kann Geistererscheinungen gar nicht be¬
streiten, sowie sie fast nothwendig auf den thierischen Magnetismus und höhere
Weltorganisation führt, weil sie, den niederen Organismus rein auffassend, schon
die Fußtritte höherer Wesen auf den Köpfen der niederen ansteigenden wahr¬
nimmt und anerkennt." Daß er unter diesen Umständen vor der zersetzenden
und negirenden Kritik einen großen Abscheu hatte, ist natürlich. Indeß waren
seine Kritiker nicht blos Nicolais, es gehörte unter andern auch Goethe dazu.


Werner gab sich ihm vertrauungsvoll hin. In einem Briefe Werners, der
dem Herausgeber vorliegt, „küßte ihm dieser seine heiligen Hände." Werners
Freunde sollten, ohne es zu wissen, eine Pflanzschule bilden, aus welcher dann
Werner die Herangereisten seinem Meister zur Aufnahme in die höheren Grade
der Rosenkreuzerei zuzuführen gedachte. Auch Iffland war bestimmt, unbewußt
für das Wert der Söhne des Thals zu wirken. Der Herausgeber theilt über
dieses Verhältniß ein höchst interessantes Actenstück aus Warschau 180i mit,
von wo aus die Korrespondenz mit Mayr am lebhaftesten betrieben wurde.
Werner faßte in der Folge Mißtrauen gegen seinen Meister, und dieses Mi߬
trauen gehörte zu den Beweggründen seines Uebertritts zum Katholicismus. —
Sehr lustig sind auch die Anekdoten von dem Pater Hoffbauer, dem General
der Redemptoristen, der den Predigten Werners in Wien gewissermaßen Con-
currenz machte. — Während Werners Aufenthaltes in Berlin wurde sein uner¬
schütterlicher Glaube an Wunder, Gespenster und Hexen zur Mystifikation be¬
nutzt. Eines Abends hatten sich alle andern verbündet zur Erzählung von
Geister- und sonstigen Spukgeschichten, denen aber jedes Mal, wenn sie ihren
augenblicklichen Eindruck gemacht hatten, die natürliche Lösung folgen mußte.
Werner hörte anfangs mit genußreicher Aufmerksamkeit zu, wurde aber allmälig
bei jeder natürlichen Aufklärung verstimmter, dann heftig, und als eben der
Bericht von einer Verherung durch eine höchst komische Erklärung sich in Nichts
verwandelt und sehr gelacht wurde, gerieth Werner außer sich, schlug mit ge¬
ballter Faust aus den Tisch, schrie dabei: „Harem geben ers!" (Provinzialismus
für: „Heren gibt es!"), verließ stürmisch das Zimmer, und es bedürfte mehrmaligen
Zuredens, ehe er sich wieder in jenem Familienkreise sehen ließ. — Eine andre,
gastronomische Anekdote, die als Gegensatz äußerst spaßhaft ist, möge man im
Buch selbst nachschlagen. — Interessant sind ferner die Mittheilungen über
Arnim. Der Dichter, dessen menschlich liebenswürdige und selbst bedeutende
Seiten der Herausgeber mit Recht hervorhebt, schrieb 1817 über Stillings
Geisterkunde einen Aufsatz, in dem sein Glaube an die Welt des Spuks ebenso
lebhaft hervortrat, als bei Werner; wir müssen indeß hinzufügen, daß bei
Arnim dieser Glaube doch eine andre Form hatte. Es war eigentlich nur
Skepticismus, d. h. ein Skepticismus, der sich nicht gegen die überirdische
Welt, sondern gegen das Gesetz der Wirklichkeit, gegen das Einmaleins u. s. w.
richtete. „Die neuere deutsche Physik kann Geistererscheinungen gar nicht be¬
streiten, sowie sie fast nothwendig auf den thierischen Magnetismus und höhere
Weltorganisation führt, weil sie, den niederen Organismus rein auffassend, schon
die Fußtritte höherer Wesen auf den Köpfen der niederen ansteigenden wahr¬
nimmt und anerkennt." Daß er unter diesen Umständen vor der zersetzenden
und negirenden Kritik einen großen Abscheu hatte, ist natürlich. Indeß waren
seine Kritiker nicht blos Nicolais, es gehörte unter andern auch Goethe dazu.


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[0344] Werner gab sich ihm vertrauungsvoll hin. In einem Briefe Werners, der dem Herausgeber vorliegt, „küßte ihm dieser seine heiligen Hände." Werners Freunde sollten, ohne es zu wissen, eine Pflanzschule bilden, aus welcher dann Werner die Herangereisten seinem Meister zur Aufnahme in die höheren Grade der Rosenkreuzerei zuzuführen gedachte. Auch Iffland war bestimmt, unbewußt für das Wert der Söhne des Thals zu wirken. Der Herausgeber theilt über dieses Verhältniß ein höchst interessantes Actenstück aus Warschau 180i mit, von wo aus die Korrespondenz mit Mayr am lebhaftesten betrieben wurde. Werner faßte in der Folge Mißtrauen gegen seinen Meister, und dieses Mi߬ trauen gehörte zu den Beweggründen seines Uebertritts zum Katholicismus. — Sehr lustig sind auch die Anekdoten von dem Pater Hoffbauer, dem General der Redemptoristen, der den Predigten Werners in Wien gewissermaßen Con- currenz machte. — Während Werners Aufenthaltes in Berlin wurde sein uner¬ schütterlicher Glaube an Wunder, Gespenster und Hexen zur Mystifikation be¬ nutzt. Eines Abends hatten sich alle andern verbündet zur Erzählung von Geister- und sonstigen Spukgeschichten, denen aber jedes Mal, wenn sie ihren augenblicklichen Eindruck gemacht hatten, die natürliche Lösung folgen mußte. Werner hörte anfangs mit genußreicher Aufmerksamkeit zu, wurde aber allmälig bei jeder natürlichen Aufklärung verstimmter, dann heftig, und als eben der Bericht von einer Verherung durch eine höchst komische Erklärung sich in Nichts verwandelt und sehr gelacht wurde, gerieth Werner außer sich, schlug mit ge¬ ballter Faust aus den Tisch, schrie dabei: „Harem geben ers!" (Provinzialismus für: „Heren gibt es!"), verließ stürmisch das Zimmer, und es bedürfte mehrmaligen Zuredens, ehe er sich wieder in jenem Familienkreise sehen ließ. — Eine andre, gastronomische Anekdote, die als Gegensatz äußerst spaßhaft ist, möge man im Buch selbst nachschlagen. — Interessant sind ferner die Mittheilungen über Arnim. Der Dichter, dessen menschlich liebenswürdige und selbst bedeutende Seiten der Herausgeber mit Recht hervorhebt, schrieb 1817 über Stillings Geisterkunde einen Aufsatz, in dem sein Glaube an die Welt des Spuks ebenso lebhaft hervortrat, als bei Werner; wir müssen indeß hinzufügen, daß bei Arnim dieser Glaube doch eine andre Form hatte. Es war eigentlich nur Skepticismus, d. h. ein Skepticismus, der sich nicht gegen die überirdische Welt, sondern gegen das Gesetz der Wirklichkeit, gegen das Einmaleins u. s. w. richtete. „Die neuere deutsche Physik kann Geistererscheinungen gar nicht be¬ streiten, sowie sie fast nothwendig auf den thierischen Magnetismus und höhere Weltorganisation führt, weil sie, den niederen Organismus rein auffassend, schon die Fußtritte höherer Wesen auf den Köpfen der niederen ansteigenden wahr¬ nimmt und anerkennt." Daß er unter diesen Umständen vor der zersetzenden und negirenden Kritik einen großen Abscheu hatte, ist natürlich. Indeß waren seine Kritiker nicht blos Nicolais, es gehörte unter andern auch Goethe dazu.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/344>, abgerufen am 29.06.2024.