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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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Ein Gegensatz, an dem sich unsre Philosophen lange vergebens abgequält
haben, weil sie als Wesen begründen, oder widerlegen wollten, was nur als
Erscheinung zu begreifen ist. Wäre der Pantheismus nichts anders, als was
Spinoza aufgestellt, eine Anerkennung der Einheit und.Nothwendigkeit des
Lebens im All und eine Leugnung aller Willkür, so würden sich jetzt, seitdem
Humboldt die höchsten Resultate der Naturwissenschaft dem Volk vermittelt hat,
w,ol nur noch wenige versucht finden, jenen Glauben als einen irreligiösen
zu brandmarken. Aber es liegt in dem Pantheismus in der That noch etwas
Anderes, insofern er aus dem Gebiet des mathematischen Räsonnements in
die ideale Welt der Phantasie und des Glaubens übertritt.

Die Angst vor der Natur und ihren blinden Beziehungsbegriffen war es,
die im transscendentalen Idealismus, wie früher in den Zeiten der Offenbarung,
die Welt auf den Kopf stellte, die, um die Freiheit zu retten, die irdische Be¬
dingtheit aus dem Reiche der Ideale ausschloß, die aus dem Gewissen die
Existenz Gottes herleitete und der Natur keine andere Bedeutung gab, als die
untergeordnete, als roher Stoff des menschlichen Pflichtgefühls verbraucht zu
werden. In das Labyrinth der Kantischen und Fichtischen Ideen haben sich
nur wenige vertieft, aber alle Welt kennt Schillers Worte des Glaubens
und Worte des Wahns, in denen sich in kurzen dogmatischen Sätzen die
Hauptpunkte jener Philosophie aufgezeichnet finden. Wir glauben an die
Freiheit, an Gott, üm ihr eine Basis, an die Tugend, um ihr einen Stoff
zu geöen; wir glauben aber nicht an eine Natur, die ihr ebenbürtig wäre.
Dies ist die Freiheitslehre, die, insofern sie in die Gesinnung und die Phan¬
tasie aufgenommen wird, den strengsten Gegensatz zur Lehre des Pantheismus
bildet. Es ist eigentlich eine wunderliche Zumuthung, an die Freiheit erst zu
glauben, da wir sie unmittelbar empfinden, denn die Freiheit ist nichts An¬
deres, als die Fähigkeit, von äußern Einflüssen und Beziehungen zu abstra-
hiren und unsre Handlungsweise nach unsrem eignen Wissen und Wollen
einzurichten. Daß wir diese Fähigkeit bis zu einem gewissen Grade besitzen,
weiß jedes Kind, ebenso, daß sie ihre Grenzen hat; und die Erscheinung der
Freiheit wird dadurch keineswegs aufgehoben und verkümmert, daß uns die
Metaphysik ihre Entstehung aus Naturbevingungen herleitet, sie wieder in Natur¬
elemente auflöst. Nur in diesem Sinne ist das Wort Glauben zu verstehen.
In der Poesie wie im praktischen Leben müssen wir an die Freiheit glauben,
das heißt, wir müssen uns den Gedanken, daß auch diese Freiheit wieder eine
Gemisch auflösbare Erscheinung ist, aus dem Sinn schlagen. Der Chemiker,
^ MetaPhysiker hat Recht, über die Individualität wie über die Erscheinung
im allgemeinen hinauszugehen; aber der Künstler und der handelnde Mensch
muß bei ihr stehen bleiben, weil er sonst nicht zeichnen, nicht schaffen könnte.
Die Wirklichkeit ist ein fortgesetzter Taumel, in dem eine Erscheinung die


Ein Gegensatz, an dem sich unsre Philosophen lange vergebens abgequält
haben, weil sie als Wesen begründen, oder widerlegen wollten, was nur als
Erscheinung zu begreifen ist. Wäre der Pantheismus nichts anders, als was
Spinoza aufgestellt, eine Anerkennung der Einheit und.Nothwendigkeit des
Lebens im All und eine Leugnung aller Willkür, so würden sich jetzt, seitdem
Humboldt die höchsten Resultate der Naturwissenschaft dem Volk vermittelt hat,
w,ol nur noch wenige versucht finden, jenen Glauben als einen irreligiösen
zu brandmarken. Aber es liegt in dem Pantheismus in der That noch etwas
Anderes, insofern er aus dem Gebiet des mathematischen Räsonnements in
die ideale Welt der Phantasie und des Glaubens übertritt.

Die Angst vor der Natur und ihren blinden Beziehungsbegriffen war es,
die im transscendentalen Idealismus, wie früher in den Zeiten der Offenbarung,
die Welt auf den Kopf stellte, die, um die Freiheit zu retten, die irdische Be¬
dingtheit aus dem Reiche der Ideale ausschloß, die aus dem Gewissen die
Existenz Gottes herleitete und der Natur keine andere Bedeutung gab, als die
untergeordnete, als roher Stoff des menschlichen Pflichtgefühls verbraucht zu
werden. In das Labyrinth der Kantischen und Fichtischen Ideen haben sich
nur wenige vertieft, aber alle Welt kennt Schillers Worte des Glaubens
und Worte des Wahns, in denen sich in kurzen dogmatischen Sätzen die
Hauptpunkte jener Philosophie aufgezeichnet finden. Wir glauben an die
Freiheit, an Gott, üm ihr eine Basis, an die Tugend, um ihr einen Stoff
zu geöen; wir glauben aber nicht an eine Natur, die ihr ebenbürtig wäre.
Dies ist die Freiheitslehre, die, insofern sie in die Gesinnung und die Phan¬
tasie aufgenommen wird, den strengsten Gegensatz zur Lehre des Pantheismus
bildet. Es ist eigentlich eine wunderliche Zumuthung, an die Freiheit erst zu
glauben, da wir sie unmittelbar empfinden, denn die Freiheit ist nichts An¬
deres, als die Fähigkeit, von äußern Einflüssen und Beziehungen zu abstra-
hiren und unsre Handlungsweise nach unsrem eignen Wissen und Wollen
einzurichten. Daß wir diese Fähigkeit bis zu einem gewissen Grade besitzen,
weiß jedes Kind, ebenso, daß sie ihre Grenzen hat; und die Erscheinung der
Freiheit wird dadurch keineswegs aufgehoben und verkümmert, daß uns die
Metaphysik ihre Entstehung aus Naturbevingungen herleitet, sie wieder in Natur¬
elemente auflöst. Nur in diesem Sinne ist das Wort Glauben zu verstehen.
In der Poesie wie im praktischen Leben müssen wir an die Freiheit glauben,
das heißt, wir müssen uns den Gedanken, daß auch diese Freiheit wieder eine
Gemisch auflösbare Erscheinung ist, aus dem Sinn schlagen. Der Chemiker,
^ MetaPhysiker hat Recht, über die Individualität wie über die Erscheinung
im allgemeinen hinauszugehen; aber der Künstler und der handelnde Mensch
muß bei ihr stehen bleiben, weil er sonst nicht zeichnen, nicht schaffen könnte.
Die Wirklichkeit ist ein fortgesetzter Taumel, in dem eine Erscheinung die


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[0023] Ein Gegensatz, an dem sich unsre Philosophen lange vergebens abgequält haben, weil sie als Wesen begründen, oder widerlegen wollten, was nur als Erscheinung zu begreifen ist. Wäre der Pantheismus nichts anders, als was Spinoza aufgestellt, eine Anerkennung der Einheit und.Nothwendigkeit des Lebens im All und eine Leugnung aller Willkür, so würden sich jetzt, seitdem Humboldt die höchsten Resultate der Naturwissenschaft dem Volk vermittelt hat, w,ol nur noch wenige versucht finden, jenen Glauben als einen irreligiösen zu brandmarken. Aber es liegt in dem Pantheismus in der That noch etwas Anderes, insofern er aus dem Gebiet des mathematischen Räsonnements in die ideale Welt der Phantasie und des Glaubens übertritt. Die Angst vor der Natur und ihren blinden Beziehungsbegriffen war es, die im transscendentalen Idealismus, wie früher in den Zeiten der Offenbarung, die Welt auf den Kopf stellte, die, um die Freiheit zu retten, die irdische Be¬ dingtheit aus dem Reiche der Ideale ausschloß, die aus dem Gewissen die Existenz Gottes herleitete und der Natur keine andere Bedeutung gab, als die untergeordnete, als roher Stoff des menschlichen Pflichtgefühls verbraucht zu werden. In das Labyrinth der Kantischen und Fichtischen Ideen haben sich nur wenige vertieft, aber alle Welt kennt Schillers Worte des Glaubens und Worte des Wahns, in denen sich in kurzen dogmatischen Sätzen die Hauptpunkte jener Philosophie aufgezeichnet finden. Wir glauben an die Freiheit, an Gott, üm ihr eine Basis, an die Tugend, um ihr einen Stoff zu geöen; wir glauben aber nicht an eine Natur, die ihr ebenbürtig wäre. Dies ist die Freiheitslehre, die, insofern sie in die Gesinnung und die Phan¬ tasie aufgenommen wird, den strengsten Gegensatz zur Lehre des Pantheismus bildet. Es ist eigentlich eine wunderliche Zumuthung, an die Freiheit erst zu glauben, da wir sie unmittelbar empfinden, denn die Freiheit ist nichts An¬ deres, als die Fähigkeit, von äußern Einflüssen und Beziehungen zu abstra- hiren und unsre Handlungsweise nach unsrem eignen Wissen und Wollen einzurichten. Daß wir diese Fähigkeit bis zu einem gewissen Grade besitzen, weiß jedes Kind, ebenso, daß sie ihre Grenzen hat; und die Erscheinung der Freiheit wird dadurch keineswegs aufgehoben und verkümmert, daß uns die Metaphysik ihre Entstehung aus Naturbevingungen herleitet, sie wieder in Natur¬ elemente auflöst. Nur in diesem Sinne ist das Wort Glauben zu verstehen. In der Poesie wie im praktischen Leben müssen wir an die Freiheit glauben, das heißt, wir müssen uns den Gedanken, daß auch diese Freiheit wieder eine Gemisch auflösbare Erscheinung ist, aus dem Sinn schlagen. Der Chemiker, ^ MetaPhysiker hat Recht, über die Individualität wie über die Erscheinung im allgemeinen hinauszugehen; aber der Künstler und der handelnde Mensch muß bei ihr stehen bleiben, weil er sonst nicht zeichnen, nicht schaffen könnte. Die Wirklichkeit ist ein fortgesetzter Taumel, in dem eine Erscheinung die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/23>, abgerufen am 26.06.2024.