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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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des Jahres in Neval, den andern in Helsingfors spielte, machte mit einem
guten deutschen Repertoir und Uebersetzungen der dänischen und schwedischen
Lustspiele vortreffliche Geschäfte. Jemehr sich das russische Publicum (zu Anfang
der vierziger Jahre, in denen überhaupt ein massenhaftes Vorrücken der vor¬
nehmern russischen Elemente in die baltischen und finnischen Städte begann)
den Schaustellungen zuwendete, desto auffallender ward das Ausbleiben des
vorherigen Publicums. Und umsonst war die Herstellung eines neuen Theaters,
umsonst die Subvention der Direktionen durch den Staat, umsonst die Heran¬
ziehung von Opern und Balleten -- das Theater hat jetzt ein fast ausschließlich
russisches Auditorium, welches indessen nach und nach ebenfalls äußerst spärlich
geworden ist.

Es würde den uns gestatteten Raum überschreiten, wenn wir diese Sym¬
ptome des passiven Widerstandes gegen das Eindringen Rußlands in Finnland
weiter verfolgen möchten. Sie würden dem fremden Leser vielleicht ebenso reiz¬
los erscheinen, als die Bilder baltischer Landschaften mit ihren unvermeidlichen
Schwarzholzwäldern, Halben, Sümpfen, verstreuten Hütten und vereinsamten
Menschen. Nur wenn man sich darin eingelebt, verfolgt man die Einzelheiten
mit steigendem Interesse. Aber' dies Interesse ist ein schmerzliches. Mit
offenem Zwang und Härte würde Rußland in Finnland nur wenig erreichen.
So geht es denselben Weg wie im Anfänge seiner Herrschaft über die Ostsee¬
provinzen. Es bietet mancherlei Vortheile und unterbindet gleichzeitig die
Wurzeln der selbstständigen, eigenthümlichen Entwicklungen. Um Helsingfors,
das von Sweaborg militärisch beherrschte, zur Landeshauptstadt zu machen,
ward Abo, die natürliche Landeshauptstadt, ihrer historischen Besitzthümer (der
Universität und der Senatsresidenz) beraubt, ward sein Seehandel beschränkt,
ward sein Hafen vernachlässigt, ward verhältnißmäßig nichts zur Unterstützung
der Stadt nach dem furchtbaren Brande (1827) gethan. Aber die Helsingforser
Entwicklung ward ebenfalls an russische Bedingungen gebunden, als deren
Rechtfertigung einestheils der kriegerische Charakter seines Vorhafens Sweaborg,
anderntheils die allerdings durchaus staatliche Neuschöpfung der Stadt Hel¬
singfors mit Leichtigkeit geltendgemacht wurde. So ist denn allerdings auch
ein Theil ihres innern Wesens durch die äußern Vortheile dem russischen Wesen
angenähert worden. Und weiteres Widerstreben, als jenes leise passive, läßt
sich unter den heutigen Verhältnissen nicht wohl denken.

Man darf aber nicht vergessen, daß Finnlands Flachland in seinen Ver¬
hältnissen zu den Küstenstädten das gerade Widerspiel zum baltischen Lande
bildet. In Kur-, Liv- und Esthland sind die Städte fast ausschließlich auf
das Flachland gewiesen, in Finnland lebt das ganze Land von den Städten.
Ihre Richtungen und Interessen, ihr Charakter und Wesen wirkt also mit un¬
widerstehlicher Gewalt in das Innere des Landes hinein.


Grenzboten. I. i8on. 27

des Jahres in Neval, den andern in Helsingfors spielte, machte mit einem
guten deutschen Repertoir und Uebersetzungen der dänischen und schwedischen
Lustspiele vortreffliche Geschäfte. Jemehr sich das russische Publicum (zu Anfang
der vierziger Jahre, in denen überhaupt ein massenhaftes Vorrücken der vor¬
nehmern russischen Elemente in die baltischen und finnischen Städte begann)
den Schaustellungen zuwendete, desto auffallender ward das Ausbleiben des
vorherigen Publicums. Und umsonst war die Herstellung eines neuen Theaters,
umsonst die Subvention der Direktionen durch den Staat, umsonst die Heran¬
ziehung von Opern und Balleten — das Theater hat jetzt ein fast ausschließlich
russisches Auditorium, welches indessen nach und nach ebenfalls äußerst spärlich
geworden ist.

Es würde den uns gestatteten Raum überschreiten, wenn wir diese Sym¬
ptome des passiven Widerstandes gegen das Eindringen Rußlands in Finnland
weiter verfolgen möchten. Sie würden dem fremden Leser vielleicht ebenso reiz¬
los erscheinen, als die Bilder baltischer Landschaften mit ihren unvermeidlichen
Schwarzholzwäldern, Halben, Sümpfen, verstreuten Hütten und vereinsamten
Menschen. Nur wenn man sich darin eingelebt, verfolgt man die Einzelheiten
mit steigendem Interesse. Aber' dies Interesse ist ein schmerzliches. Mit
offenem Zwang und Härte würde Rußland in Finnland nur wenig erreichen.
So geht es denselben Weg wie im Anfänge seiner Herrschaft über die Ostsee¬
provinzen. Es bietet mancherlei Vortheile und unterbindet gleichzeitig die
Wurzeln der selbstständigen, eigenthümlichen Entwicklungen. Um Helsingfors,
das von Sweaborg militärisch beherrschte, zur Landeshauptstadt zu machen,
ward Abo, die natürliche Landeshauptstadt, ihrer historischen Besitzthümer (der
Universität und der Senatsresidenz) beraubt, ward sein Seehandel beschränkt,
ward sein Hafen vernachlässigt, ward verhältnißmäßig nichts zur Unterstützung
der Stadt nach dem furchtbaren Brande (1827) gethan. Aber die Helsingforser
Entwicklung ward ebenfalls an russische Bedingungen gebunden, als deren
Rechtfertigung einestheils der kriegerische Charakter seines Vorhafens Sweaborg,
anderntheils die allerdings durchaus staatliche Neuschöpfung der Stadt Hel¬
singfors mit Leichtigkeit geltendgemacht wurde. So ist denn allerdings auch
ein Theil ihres innern Wesens durch die äußern Vortheile dem russischen Wesen
angenähert worden. Und weiteres Widerstreben, als jenes leise passive, läßt
sich unter den heutigen Verhältnissen nicht wohl denken.

Man darf aber nicht vergessen, daß Finnlands Flachland in seinen Ver¬
hältnissen zu den Küstenstädten das gerade Widerspiel zum baltischen Lande
bildet. In Kur-, Liv- und Esthland sind die Städte fast ausschließlich auf
das Flachland gewiesen, in Finnland lebt das ganze Land von den Städten.
Ihre Richtungen und Interessen, ihr Charakter und Wesen wirkt also mit un¬
widerstehlicher Gewalt in das Innere des Landes hinein.


Grenzboten. I. i8on. 27
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[0217] des Jahres in Neval, den andern in Helsingfors spielte, machte mit einem guten deutschen Repertoir und Uebersetzungen der dänischen und schwedischen Lustspiele vortreffliche Geschäfte. Jemehr sich das russische Publicum (zu Anfang der vierziger Jahre, in denen überhaupt ein massenhaftes Vorrücken der vor¬ nehmern russischen Elemente in die baltischen und finnischen Städte begann) den Schaustellungen zuwendete, desto auffallender ward das Ausbleiben des vorherigen Publicums. Und umsonst war die Herstellung eines neuen Theaters, umsonst die Subvention der Direktionen durch den Staat, umsonst die Heran¬ ziehung von Opern und Balleten — das Theater hat jetzt ein fast ausschließlich russisches Auditorium, welches indessen nach und nach ebenfalls äußerst spärlich geworden ist. Es würde den uns gestatteten Raum überschreiten, wenn wir diese Sym¬ ptome des passiven Widerstandes gegen das Eindringen Rußlands in Finnland weiter verfolgen möchten. Sie würden dem fremden Leser vielleicht ebenso reiz¬ los erscheinen, als die Bilder baltischer Landschaften mit ihren unvermeidlichen Schwarzholzwäldern, Halben, Sümpfen, verstreuten Hütten und vereinsamten Menschen. Nur wenn man sich darin eingelebt, verfolgt man die Einzelheiten mit steigendem Interesse. Aber' dies Interesse ist ein schmerzliches. Mit offenem Zwang und Härte würde Rußland in Finnland nur wenig erreichen. So geht es denselben Weg wie im Anfänge seiner Herrschaft über die Ostsee¬ provinzen. Es bietet mancherlei Vortheile und unterbindet gleichzeitig die Wurzeln der selbstständigen, eigenthümlichen Entwicklungen. Um Helsingfors, das von Sweaborg militärisch beherrschte, zur Landeshauptstadt zu machen, ward Abo, die natürliche Landeshauptstadt, ihrer historischen Besitzthümer (der Universität und der Senatsresidenz) beraubt, ward sein Seehandel beschränkt, ward sein Hafen vernachlässigt, ward verhältnißmäßig nichts zur Unterstützung der Stadt nach dem furchtbaren Brande (1827) gethan. Aber die Helsingforser Entwicklung ward ebenfalls an russische Bedingungen gebunden, als deren Rechtfertigung einestheils der kriegerische Charakter seines Vorhafens Sweaborg, anderntheils die allerdings durchaus staatliche Neuschöpfung der Stadt Hel¬ singfors mit Leichtigkeit geltendgemacht wurde. So ist denn allerdings auch ein Theil ihres innern Wesens durch die äußern Vortheile dem russischen Wesen angenähert worden. Und weiteres Widerstreben, als jenes leise passive, läßt sich unter den heutigen Verhältnissen nicht wohl denken. Man darf aber nicht vergessen, daß Finnlands Flachland in seinen Ver¬ hältnissen zu den Küstenstädten das gerade Widerspiel zum baltischen Lande bildet. In Kur-, Liv- und Esthland sind die Städte fast ausschließlich auf das Flachland gewiesen, in Finnland lebt das ganze Land von den Städten. Ihre Richtungen und Interessen, ihr Charakter und Wesen wirkt also mit un¬ widerstehlicher Gewalt in das Innere des Landes hinein. Grenzboten. I. i8on. 27

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/217>, abgerufen am 26.06.2024.