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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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malte aus Kupferstichen bekannt sind, dieses Urtheil zu hart finden dürfte und
wir gestehen, daß wir uns vom Talente dieses Malers auch eine andre Vor¬
stellung gemacht hatten. Es ist, als ob die Kupferstiche vom Maler und die
Oelgemälde vom Graveur gemacht worden wären! Man kann den Eindruck,
den Landseer hier bei allen Kunstkennern machte, nicht besser bezeichnen.
Die Vorzüge Landseers sind nämlich alle solche, daß sie sehr wohl durch
den Kupferstich wiedergegeben werden können, ohne daß auch seine Män¬
gel mit reproducirt werden müssen. Die Composition und der Ausdruck der
verschiedenen Thiere, welche dieser Künstler zum Gegenstände seiner Gemälde
nimmt, bilden ' die Lichtseiten derselben. Man kann die Anatomie und
sogar auch die Psychologie der Thierwelt nicht gründlicher studiren und
nicht mit mehr Sorgfalt in der Ausführung, mit mehr Eleganz in der
Anordnung wiedergeben. Landseer besitzt auch als Maler keine gewöhnliche
Technik; aber seine Farbe glaubt daS Höchste geleistet zu haben, indem
sie möglichst natürlich ist, jede andre Bedingung der Schönheit ist sür die
coloristische Begabung Sir Edwins eine unbekannte Größe. Er vergißt, daß
künstlerische Wahrscheinlichkeit und einfach abgeschriebene Naturwahrheit nicht
Hand in Hand miteinander gehen. Landseer verirrt sich ferner auch in der
Auffassung seiner Thiergestalten ebenso arg, wie seine College" im historischen
Fach in der Auffassung ihrer Menschen. Die englischen Maler leiden an
einem Nationalgebrechen, sie sind zu respeetabel und LandseerS Thiere zumal
sind niAl.y 1'vLpöe.l-üzIes. ES sind Gentlemen von sehr vornehmen Manieren
und diese Vornehmheit wird wie in der englischen Anschauung überhaupt mit
wirklichem Adel' verwechselt. Betrachten wir z. B. das Bild: Jack auf der
Wache. Jack sitzt auf einem verschlossenen Karren -- hinter ihm sehen wir
den Hut des abwesenden Herrn und ein Fleischermesser ist in den Tisch ge¬
schlagen. Jack sitzt mit halbverschlossene" Augen da, im Bewußtsein seiner
Majestät und Machtvollkommenheit, die um ihn her versammelten Gefährten
überwachend. Aus einer Wagschale glänzt das verführerische Noth eines Stückes
Fleisches hervor, der Gegenstand begreiflicher Gelüste. Eine magere Hündin
von starkem Appetit beschnüffelt einen Korb, der manches leckere Stück zu ent¬
halten scheint. Den Schwanz anziehend, sucht sie sich unbemerkt dem Schatze
zu nahen. Hinter ihr sitzt ein andrer Hund, der durch die Ergebenheit heikles
Ausdrucks zu erreichen hofft, was die andern zu erlisten suchen. Ein Bastard¬
mops steht auf der Lauer vor dem Karren, bereit, eine unerwartete Gelegen¬
heit zu benutzen. Das ist gewiß ebenso geistvoll aufgefaßt, als eS vorzüglich
ausgeführt ist. Die Anatomie wie der Charakter deS einzelnen Thieres ist vor¬
züglich wiedergegeben. Und doch ist diese Antrvpomorphisintng, um uns ge¬
nauer auszudrücken-, diese Gentlementisirung wol witzig und geistreich, aber
künstlerisch nicht befriedigend. Die Manierirtheit ist dem Dinge auf zehn Schritte


malte aus Kupferstichen bekannt sind, dieses Urtheil zu hart finden dürfte und
wir gestehen, daß wir uns vom Talente dieses Malers auch eine andre Vor¬
stellung gemacht hatten. Es ist, als ob die Kupferstiche vom Maler und die
Oelgemälde vom Graveur gemacht worden wären! Man kann den Eindruck,
den Landseer hier bei allen Kunstkennern machte, nicht besser bezeichnen.
Die Vorzüge Landseers sind nämlich alle solche, daß sie sehr wohl durch
den Kupferstich wiedergegeben werden können, ohne daß auch seine Män¬
gel mit reproducirt werden müssen. Die Composition und der Ausdruck der
verschiedenen Thiere, welche dieser Künstler zum Gegenstände seiner Gemälde
nimmt, bilden ' die Lichtseiten derselben. Man kann die Anatomie und
sogar auch die Psychologie der Thierwelt nicht gründlicher studiren und
nicht mit mehr Sorgfalt in der Ausführung, mit mehr Eleganz in der
Anordnung wiedergeben. Landseer besitzt auch als Maler keine gewöhnliche
Technik; aber seine Farbe glaubt daS Höchste geleistet zu haben, indem
sie möglichst natürlich ist, jede andre Bedingung der Schönheit ist sür die
coloristische Begabung Sir Edwins eine unbekannte Größe. Er vergißt, daß
künstlerische Wahrscheinlichkeit und einfach abgeschriebene Naturwahrheit nicht
Hand in Hand miteinander gehen. Landseer verirrt sich ferner auch in der
Auffassung seiner Thiergestalten ebenso arg, wie seine College» im historischen
Fach in der Auffassung ihrer Menschen. Die englischen Maler leiden an
einem Nationalgebrechen, sie sind zu respeetabel und LandseerS Thiere zumal
sind niAl.y 1'vLpöe.l-üzIes. ES sind Gentlemen von sehr vornehmen Manieren
und diese Vornehmheit wird wie in der englischen Anschauung überhaupt mit
wirklichem Adel' verwechselt. Betrachten wir z. B. das Bild: Jack auf der
Wache. Jack sitzt auf einem verschlossenen Karren — hinter ihm sehen wir
den Hut des abwesenden Herrn und ein Fleischermesser ist in den Tisch ge¬
schlagen. Jack sitzt mit halbverschlossene» Augen da, im Bewußtsein seiner
Majestät und Machtvollkommenheit, die um ihn her versammelten Gefährten
überwachend. Aus einer Wagschale glänzt das verführerische Noth eines Stückes
Fleisches hervor, der Gegenstand begreiflicher Gelüste. Eine magere Hündin
von starkem Appetit beschnüffelt einen Korb, der manches leckere Stück zu ent¬
halten scheint. Den Schwanz anziehend, sucht sie sich unbemerkt dem Schatze
zu nahen. Hinter ihr sitzt ein andrer Hund, der durch die Ergebenheit heikles
Ausdrucks zu erreichen hofft, was die andern zu erlisten suchen. Ein Bastard¬
mops steht auf der Lauer vor dem Karren, bereit, eine unerwartete Gelegen¬
heit zu benutzen. Das ist gewiß ebenso geistvoll aufgefaßt, als eS vorzüglich
ausgeführt ist. Die Anatomie wie der Charakter deS einzelnen Thieres ist vor¬
züglich wiedergegeben. Und doch ist diese Antrvpomorphisintng, um uns ge¬
nauer auszudrücken-, diese Gentlementisirung wol witzig und geistreich, aber
künstlerisch nicht befriedigend. Die Manierirtheit ist dem Dinge auf zehn Schritte


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[0514] malte aus Kupferstichen bekannt sind, dieses Urtheil zu hart finden dürfte und wir gestehen, daß wir uns vom Talente dieses Malers auch eine andre Vor¬ stellung gemacht hatten. Es ist, als ob die Kupferstiche vom Maler und die Oelgemälde vom Graveur gemacht worden wären! Man kann den Eindruck, den Landseer hier bei allen Kunstkennern machte, nicht besser bezeichnen. Die Vorzüge Landseers sind nämlich alle solche, daß sie sehr wohl durch den Kupferstich wiedergegeben werden können, ohne daß auch seine Män¬ gel mit reproducirt werden müssen. Die Composition und der Ausdruck der verschiedenen Thiere, welche dieser Künstler zum Gegenstände seiner Gemälde nimmt, bilden ' die Lichtseiten derselben. Man kann die Anatomie und sogar auch die Psychologie der Thierwelt nicht gründlicher studiren und nicht mit mehr Sorgfalt in der Ausführung, mit mehr Eleganz in der Anordnung wiedergeben. Landseer besitzt auch als Maler keine gewöhnliche Technik; aber seine Farbe glaubt daS Höchste geleistet zu haben, indem sie möglichst natürlich ist, jede andre Bedingung der Schönheit ist sür die coloristische Begabung Sir Edwins eine unbekannte Größe. Er vergißt, daß künstlerische Wahrscheinlichkeit und einfach abgeschriebene Naturwahrheit nicht Hand in Hand miteinander gehen. Landseer verirrt sich ferner auch in der Auffassung seiner Thiergestalten ebenso arg, wie seine College» im historischen Fach in der Auffassung ihrer Menschen. Die englischen Maler leiden an einem Nationalgebrechen, sie sind zu respeetabel und LandseerS Thiere zumal sind niAl.y 1'vLpöe.l-üzIes. ES sind Gentlemen von sehr vornehmen Manieren und diese Vornehmheit wird wie in der englischen Anschauung überhaupt mit wirklichem Adel' verwechselt. Betrachten wir z. B. das Bild: Jack auf der Wache. Jack sitzt auf einem verschlossenen Karren — hinter ihm sehen wir den Hut des abwesenden Herrn und ein Fleischermesser ist in den Tisch ge¬ schlagen. Jack sitzt mit halbverschlossene» Augen da, im Bewußtsein seiner Majestät und Machtvollkommenheit, die um ihn her versammelten Gefährten überwachend. Aus einer Wagschale glänzt das verführerische Noth eines Stückes Fleisches hervor, der Gegenstand begreiflicher Gelüste. Eine magere Hündin von starkem Appetit beschnüffelt einen Korb, der manches leckere Stück zu ent¬ halten scheint. Den Schwanz anziehend, sucht sie sich unbemerkt dem Schatze zu nahen. Hinter ihr sitzt ein andrer Hund, der durch die Ergebenheit heikles Ausdrucks zu erreichen hofft, was die andern zu erlisten suchen. Ein Bastard¬ mops steht auf der Lauer vor dem Karren, bereit, eine unerwartete Gelegen¬ heit zu benutzen. Das ist gewiß ebenso geistvoll aufgefaßt, als eS vorzüglich ausgeführt ist. Die Anatomie wie der Charakter deS einzelnen Thieres ist vor¬ züglich wiedergegeben. Und doch ist diese Antrvpomorphisintng, um uns ge¬ nauer auszudrücken-, diese Gentlementisirung wol witzig und geistreich, aber künstlerisch nicht befriedigend. Die Manierirtheit ist dem Dinge auf zehn Schritte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/514>, abgerufen am 22.07.2024.